Marc-André ter Stegen verlängert seinen Vertrag beim FC Barcelona bis 2025. Seine Ablöse wird auf 500 Millionen Euro festgeschrieben. Im September 2019 trafen wir den Nationalkeeper in seiner katalonischen Wahlheimat zum Interview. Das komplette Gespräch über die Konkurrenz zu Manuel Neuer, Trainingsspiele mit Lionel Messi und Gehälterwahnsinn – jetzt erstmals auf 11freunde.de
Wie offen sind Sie damals mit Ihrer Unzufriedenheit umgegangen?
Nach dem ersten Jahr habe ich klar kommuniziert, dass ich mit der Situation nicht zufrieden bin. Am Ende des zweiten Jahres habe ich gesagt, dass es so nicht weitergehen kann und ich auch einen Wechsel in Betracht ziehe. Der Klub wusste zu jedem Zeitpunkt, was ich empfinde.
Obwohl es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass, wer Barça verlässt, nie mehr zurückkehren kann.
Darüber denkt man in solchen Momenten nicht nach. Aber der Klub war zu jeder Zeit die erste Option. Als mich die Verantwortlichen baten, zumindest noch ein weiteres Jahr dranzuhängen, ehe ich Konsequenzen ziehe, gab mir das ein gutes Gefühl. Kann gut sein, dass sie schon im Hinterkopf hatten, Claudio zu ManCity abzugeben.
Inzwischen sind Sie in Ihrem Klub die unumstrittene Nummer eins. In Deutschland ist die Haltung, dass der Stammtorwart den Rückhalt spüren muss, weshalb er in allen Wettbewerben gesetzt ist. In Spanien werden Sie in der Copa del Rey von Ihrem Ersatzmann vertreten.
Wenn’s nach mir ginge, würde ich alles spielen. Das weiß auch der Coach, aber mir ist klar, dass Barça einen Ersatzmann braucht, auf den man sich verlassen kann. In Spanien ist es üblich, auch der Nummer zwei das Selbstwertgefühl und den Respekt zu vermitteln, das er verdient und dazu muss er eben auch Spiele auf Topniveau bekommen.
Bei Borussia Mönchengladbach arbeiteten Sie jahrelang mit Uwe Kamps als Torwarttrainer. Wie unterscheidet sich Kamps von Ihrem jetzigen Coach Jose de la Fuente?
Ich habe das große Glück, dass beide sehr spezifisch in ihrem Denken sind, hohe Erwartungen haben – und unsere Ziele in Einklang zueinander stehen. Schon bei Uwe wusste ich, dass wir uns alles sagen, uns auch Dinge an den Kopf werfen können, weil es der Sache dient. Mit De La ist das genauso.
Von Manuel Neuer ist bekannt, dass ihm das Torwarttraining im italienischen Staff von Carlo Ancelotti teilweise zu soft war. Dieses Problem haben Sie in Barcelona nicht?
Jeder Torwarttrainer hat eine eigene Denke. Vom Uwe nahm ich einiges bezogen auf Eins-Zu-Eins-Situationen mit, was De La am Anfang nicht gefiel. Aber wir haben Wege gefunden, diese Techniken weiterzuentwickeln. Und es ist immer wichtig, neue Perspektiven kennenzulernen.
Wie müssen wir uns diese Analyse konkret vorstellen? Bei Eins-zu-Eins-Situationen geht es beispielweise um die Schritte beim Rauskommen, beim Abwehrverhalten um den Bewegungsablauf: Wie nehme ich den Ball mit, mit dem ersten oder mit dem zweiten Kontakt? Warum habe ich eine bestimmte Entscheidung getroffen, die sich als Fehler erwiesen hat? Wie kann ich es beim nächsten Mal verhindern?
Wie wichtig ist für einen modernen Torhüter die Ausrüstung? Als Profi höre ich ständig auf meinen Körper. Je weniger Verbände oder Kinesiotape ich am Körper trage, desto besser fühle ich mich. Heißt: Ich versuche, meine Ausrüstung so zu optimieren, dass ich so gut wie möglich vorbeuge. Sie müssen sich vorstellen, ich stehe seit 15 Jahren jeden Tag auf dem Platz und falle aufs Knie, auf die Hüfte, auf die Schulter. Jeder Torwart hat andere Stellen, die neuralgisch sind, und da versuche ich gezielt Abhilfe zu schaffen.
Dazu haben Sie eine eigene Torwartlinie entwickelt.
Mein Partner „McDavid“ gibt mir die komfortable Situation, dass ich bei einem Problem sofort auf sie zugehen kann und sie zielgerichtet etwas für mich entwickeln.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Ein Beispiel: Wir haben auf den Trainingsanlagen in Barcelona einen Mischrasen mit fünf bis zehn Prozent Kunstrasenanteil. Wenn es trocken wird, kann der Untergrund sehr hart werden und entsprechend in der Hüfte schmerzen. Deswegen trage ich im Sommer beim Training oft eine Dreiviertelhose mit Seitenschutz, was nicht nur beim Werfen abfedert, sondern nebenbei auch Schürfwunden vorbeugt.
Wenn man Ihren Namen in Google eingibt, taucht schnell das Video eines Eigentors im Nationaldress gegen die USA 2012 auf. Ist es nicht furchtbar, als Torwart ständig mit Patzern konfrontiert zu werden, egal, wie lang sie her sind?
Erstens: Ich google mich nicht so häufig. Zweitens: Wenn ich mir über den Schnitzer noch Gedanken machen würde, wäre ich nicht hier, sondern säße traurig zuhause, hätte nichts mehr mit Fußball am Hut und würde hoffen, dass der Clip aus dem Netz verschwindet. (Lacht.) Im Sessel sitzen und sich lustig machen, ist einfach. Nur wer auf Platz steht, kann Fehler machen. Aber als Profi muss ich mich fragen, warum das passiert und zusehen, dass es nicht wieder vorkommt.
Nach der Länderspielreise im September äußerten Sie Ihre Unzufriedenheit darüber, nicht zum Einsatz gekommen zu sein. Als Manuel Neuer darauf angesprochen wurde, sagte er, dass er diese Anmerkung für unangebracht hielt. Uli Hoeneß attestierte Ihnen sogar, Sie täten, als „hätten Sie schon 17 Weltmeisterschaften“ gewonnen. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?
Ich glaube, es ist für mich als Profi wichtig, mich auf meine Leistung zu konzentrieren und nicht auf das, was in den Medien gesprochen wird. Der Manu weiß, dass ich da nur über mich gesprochen habe. Es gibt auch keinen Streit zwischen uns. Und wie diese Sachen bei anderen angekommen sind, kann ich nicht beeinflussen.
Haben Sie und Manuel Neuer im Nachgang noch einmal darüber gesprochen?
Wir haben uns bei den Länderspielen im Oktober getroffen. Es war alles wie immer, wir sind im Austausch und haben ein gutes, professionelles Verhältnis. Wir sind halt Leistungssportler. Und so wie er, kämpfe auch ich und auch alle Feldspieler darum, die eigenen Ziele zu erreichen.. Aber klar ist: Über allem steht das gemeinsame Ziel, als Mannschaft eine erfolgreiche EM zu spielen.
Der Bundestrainer hat sich mehr oder weniger für Manuel Neuer als Nummer Eins bei der EM ausgesprochen. Warum glauben Sie dennoch an Ihre Chance?
Natürlich ist der Manu im Vorteil, aber im Fußball kann in einem dreiviertel Jahr viel passieren. Deswegen sehe ich zu, mich optimal vorzubereiten.