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Marc André ter Stegen, unser Inter­view findet mit­tags in einen Stra­ßen­café in Bar­ce­lona statt. Offenbar ist der Umgang mit Fuß­ball­profis in der Öffent­lich­keit recht ent­spannt.
Kommt drauf an. Wir sind hier nicht direkt im Stadt­zen­trum. Nach fünf Jahren weiß ich recht gut, wo ich mich frei bewegen kann und wo Leute direkt auf mich zukommen.

Wohnen Sie zen­tral?
In den ersten drei Jahren haben meine Frau und ich außer­halb gelebt. Inzwi­schen sind wir mit­ten­drin, wir wollten mehr vom Leben in der Stadt mit­be­kommen. Bar­ce­lona ist über die Jahre für mich ein Stück Heimat geworden, wo ich mich fast wohler fühle als in Mön­chen­glad­bach.

Dabei hatten Sie anfangs keine ein­fache Zeit. Sie waren in der Liga lange hinter Claudio Bravo nur die Nummer zwei. Abge­sehen von der sport­li­chen Situa­tion hätte man mir den Ein­stieg aber kaum leichter machen können. Im Kern ist Barça wie eine große Familie. Und mit Dani (Alves, d.Red.) und Ivan (Rakitic) hatte ich von Beginn an zwei Kol­legen, die mir sehr unter die Arme gegriffen haben.

Würden Sie diese Bezie­hungen als Freund­schaften bezeichnen? Das sind Ver­bin­dungen, die auch über die Lauf­bahn hinaus bestehen bleiben. Fuß­ball ist sehr schnell­lebig, viele Lebens­wege gehen schnell wieder aus­ein­ander, aber momentan kann ich sagen, dass ich in Bar­ce­lona mit vielen einen sehr engen Zusam­men­halt ver­spüre.

Es gibt eine lange Tra­di­tion von Prot­ago­nisten, die aus Mön­chen­glad­bach nach Bar­ce­lona wech­selten: Hennes Weis­weiler, Alan Simonsen, Udo Lattek. Werden Sie damit oft kon­fron­tiert?
Am Anfang schon. Die Wert­schät­zung für Deut­sche, allen voran Bernd Schuster, ist sehr groß. Und für die Leute hier bin nach wie vor der Deut­sche“.

Das heißt?
Mein Opa hat viel Wert auf Dis­zi­plin, Ehr­lich­keit und Pünkt­lich­keit gelegt. Mit der Pünkt­lich­keit nehmen sie es in Kata­lo­nien aber nicht ganz so genau, daran musste ich mich erst gewöhnen. Aber wenn Sie ständig über­pünkt­lich bei einem Termin auf­tau­chen und 15 Minuten alleine dastehen, fangen Sie irgend­wann an, auch mal etwas später zu kommen. (Lacht.)

Wäre doch schlimm, wenn ich mit den Jungs nicht kicken könnte“

Stimmt die Geschichte, dass ein Mit­spieler, als Sie im Kreis mit Feld­spie­lern eine gute Figur machten, gesagt hat: Hey Messi, der spielt ja besser als du!“
Ich frage mich, wer diese Bege­ben­heit nach außen getragen hat.

Wer hat es denn gesagt?
Keine Ahnung, habe ich ver­gessen. (Lacht.)

Sprich: Im Viereck können Sie mit den Hoch­be­gabten locker mit­halten?
Wäre doch schlimm, wenn ich in den heu­tigen Zeiten nicht mit den Jungs kicken könnte, oder?

Aber Lionel Messi ist natür­lich eine beson­dere Güte­klasse.
Der Leo ist auch nicht in meinem Kreis, aber auch in der ange­stammten Gruppe sind ein paar, die ganz gut sind. (Lächelt.)

An wen denke Sie?
Ich habe jetzt länger nicht mit­ge­spielt, weil ich mit meinem Tor­wart­trainer neue Trai­nings­formen aus­ge­ar­beitet habe, aber Ivan und Bus­quets sind oft dabei.

Müssen Sie sich manchmal noch kneifen, wenn um Sie herum Typen wie Messi, Suarez oder Griez­mann zau­bern?
Nein, so ticke ich nicht.

Wie ticken Sie denn?
Ich habe nicht diese Fan-Momente. Als ich zu Barça kam, war mir klar, worauf ich mich ein­lasse. Ich war gespannt, wie das Leben in der Kabine abläuft, und ob ich mit diesen Kol­legen nicht nur Erfolge feiern, son­dern auch eine gute Zeit haben kann.

Nur aus aktiven Spiel­si­tiua­tionen lerne ich das Maxi­male“

Und?
Wir haben einen guten Team­geist, auch wenn ich bei jün­geren Spie­lern fest­stelle, dass sie nicht so viel mit­ein­ander spre­chen. Pro­fes­sio­nell und dis­zi­pli­niert sind heut­zu­tage alle, aber als einer der Erfah­re­neren sehe ich mich auch in der Ver­ant­wor­tung dafür zu sorgen, dass das Zwi­schen­mensch­liche stimmt und die Jungen mehr aus sich her­aus­kommen.

In einem 11FREUNDE-Inter­view im Jahr 2014 sagten Sie, dass der Hauptjob des modernen Tor­warts nach wie vor auf der Linie statt­findet. Sehen Sie das nach fünf Jahren als Keeper und Ersatz-Libero des FC Bar­ce­lona immer noch so?
Zu 100 Pro­zent. Natür­lich ist es bei unserer Spiel­phi­lo­so­phie för­der­lich, dass ich in der Lage bin, den Ball mit dem Fuß zu spielen und am Spiel­aufbau mit­wirke, aber letzt­lich besteht der Kern meiner Auf­gabe nach wie vor darin, Tore zu ver­hin­dern.

Sie haben gesagt, dass Sie bei Barça ein ganz neues Niveau erreicht hätten. Inwie­fern? Schon mein erster Trainer, Luis Enrique, hat sehr auf Details geachtet: Mit wel­chem Fuß nehme ich den Ball an? Wie viele Schritte muss ich machen, um einen Ball zu errei­chen? Diese Dinge haben wir im Video­stu­dium sehr genau ana­ly­siert und mit wurde bewusst, welche Mög­lich­keiten sich für mich ergeben – auf der Linie, aber auch außer­halb. So ist es uns im Trai­ning gelungen, immer mehr Klei­nig­keiten zu opti­mieren. Und natür­lich hilft es auch, in einem Team Erfah­rungen zu sam­meln, das dau­er­haft auf höchstem Niveau spielt.

War es so gesehen ein Vor­teil, dass Sie in den ersten Jahren ständig mit Claudio Bravo kon­kur­rierten, weil es Ihren Ehr­geiz noch zusätz­lich beflü­gelte? Bestimmt hat es Effekte, wenn ein Tor­wart ständig in Abwar­te­stel­lung ist und nicht nach­lassen darf, um im ent­schei­denden Moment da zu sein. Aber ich glaube, dass ich nur aus aktiven Spiel­si­tua­tionen das Maxi­male lerne. Nur auf dem Rasen ergeben sich Momente, die völlig unbe­re­chenbar sind. Vor drei­ein­halb Jahren kam ich nur in der Cham­pions League und in der Copa Del Rey zum Ein­satz, was im Extrem­fall hieß, nur alle zwei, drei Wochen auf­zu­laufen. Da ist es schon sehr schwer, sich zu fokus­sieren. Jetzt spiele ich alle drei, vier Tage, bin im Rhythmus und kann das, was ich im Trai­ning ver­bes­sere, direkt im Spiel anwenden.

Wie haben Sie die Situa­tion als zweiter Mann damals kom­pen­siert? Haben Sie Men­tal­trai­ning gemacht?
Es ist nicht leicht, im Trai­ning ständig Höchst­leis­tungen abzu­rufen, wenn man weiß, dass der nächste Ein­satz erst in zwei Wochen ist. Ande­rer­seits ist es auch nach­teilig, ständig mit der Kon­zen­tra­tion ganz oben zu sein. Mir ist jeden­falls auch ohne Men­tal­trainer bewusst, wann es Zeit wird run­ter­zu­fahren und ich meinem Körper Ruhe­phasen gönnen muss.

Wie offen sind Sie damals mit Ihrer Unzu­frie­den­heit umge­gangen?
Nach dem ersten Jahr habe ich klar kom­mu­ni­ziert, dass ich mit der Situa­tion nicht zufrieden bin. Am Ende des zweiten Jahres habe ich gesagt, dass es so nicht wei­ter­gehen kann und ich auch einen Wechsel in Betracht ziehe. Der Klub wusste zu jedem Zeit­punkt, was ich emp­finde.

Obwohl es ein unge­schrie­benes Gesetz ist, dass, wer Barça ver­lässt, nie mehr zurück­kehren kann.
Dar­über denkt man in sol­chen Momenten nicht nach. Aber der Klub war zu jeder Zeit die erste Option. Als mich die Ver­ant­wort­li­chen baten, zumin­dest noch ein wei­teres Jahr dran­zu­hängen, ehe ich Kon­se­quenzen ziehe, gab mir das ein gutes Gefühl. Kann gut sein, dass sie schon im Hin­ter­kopf hatten, Claudio zu Man­City abzu­geben.

Inzwi­schen sind Sie in Ihrem Klub die unum­strit­tene Nummer eins. In Deutsch­land ist die Hal­tung, dass der Stamm­tor­wart den Rück­halt spüren muss, wes­halb er in allen Wett­be­werben gesetzt ist. In Spa­nien werden Sie in der Copa del Rey von Ihrem Ersatz­mann ver­treten.
Wenn’s nach mir ginge, würde ich alles spielen. Das weiß auch der Coach, aber mir ist klar, dass Barça einen Ersatz­mann braucht, auf den man sich ver­lassen kann. In Spa­nien ist es üblich, auch der Nummer zwei das Selbst­wert­ge­fühl und den Respekt zu ver­mit­teln, das er ver­dient und dazu muss er eben auch Spiele auf Top­ni­veau bekommen.

Bei Borussia Mön­chen­glad­bach arbei­teten Sie jah­re­lang mit Uwe Kamps als Tor­wart­trainer. Wie unter­scheidet sich Kamps von Ihrem jet­zigen Coach Jose de la Fuente?
Ich habe das große Glück, dass beide sehr spe­zi­fisch in ihrem Denken sind, hohe Erwar­tungen haben – und unsere Ziele in Ein­klang zuein­ander stehen. Schon bei Uwe wusste ich, dass wir uns alles sagen, uns auch Dinge an den Kopf werfen können, weil es der Sache dient. Mit De La ist das genauso.

Als Profi höre ich ständig auf meinen Körper“

Von Manuel Neuer ist bekannt, dass ihm das Tor­wart­trai­ning im ita­lie­ni­schen Staff von Carlo Ance­lotti teil­weise zu soft war. Dieses Pro­blem haben Sie in Bar­ce­lona nicht?
Jeder Tor­wart­trainer hat eine eigene Denke. Vom Uwe nahm ich einiges bezogen auf Eins-Zu-Eins-Situa­tionen mit, was De La am Anfang nicht gefiel. Aber wir haben Wege gefunden, diese Tech­niken wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Und es ist immer wichtig, neue Per­spek­tiven ken­nen­zu­lernen.

Wie müssen wir uns diese Ana­lyse kon­kret vor­stellen? Bei Eins-zu-Eins-Situa­tionen geht es bei­spiel­weise um die Schritte beim Raus­kommen, beim Abwehr­ver­halten um den Bewe­gungs­ab­lauf: Wie nehme ich den Ball mit, mit dem ersten oder mit dem zweiten Kon­takt? Warum habe ich eine bestimmte Ent­schei­dung getroffen, die sich als Fehler erwiesen hat? Wie kann ich es beim nächsten Mal ver­hin­dern?

Wie wichtig ist für einen modernen Tor­hüter die Aus­rüs­tung? Als Profi höre ich ständig auf meinen Körper. Je weniger Ver­bände oder Kine­sio­tape ich am Körper trage, desto besser fühle ich mich. Heißt: Ich ver­suche, meine Aus­rüs­tung so zu opti­mieren, dass ich so gut wie mög­lich vor­beuge. Sie müssen sich vor­stellen, ich stehe seit 15 Jahren jeden Tag auf dem Platz und falle aufs Knie, auf die Hüfte, auf die Schulter. Jeder Tor­wart hat andere Stellen, die neur­al­gisch sind, und da ver­suche ich gezielt Abhilfe zu schaffen.

Dazu haben Sie eine eigene Tor­wart­linie ent­wi­ckelt.
Mein Partner McDavid“ gibt mir die kom­for­table Situa­tion, dass ich bei einem Pro­blem sofort auf sie zugehen kann und sie ziel­ge­richtet etwas für mich ent­wi­ckeln.

Wie müssen wir uns das vor­stellen?
Ein Bei­spiel: Wir haben auf den Trai­nings­an­lagen in Bar­ce­lona einen Misch­rasen mit fünf bis zehn Pro­zent Kunst­ra­sen­an­teil. Wenn es tro­cken wird, kann der Unter­grund sehr hart werden und ent­spre­chend in der Hüfte schmerzen. Des­wegen trage ich im Sommer beim Trai­ning oft eine Drei­vier­tel­hose mit Sei­ten­schutz, was nicht nur beim Werfen abfe­dert, son­dern nebenbei auch Schürf­wunden vor­beugt.

Ich google mich nicht so häufig“

Wenn man Ihren Namen in Google ein­gibt, taucht schnell das Video eines Eigen­tors im Natio­nal­dress gegen die USA 2012 auf. Ist es nicht furchtbar, als Tor­wart ständig mit Pat­zern kon­fron­tiert zu werden, egal, wie lang sie her sind?
Ers­tens: Ich google mich nicht so häufig. Zwei­tens: Wenn ich mir über den Schnitzer noch Gedanken machen würde, wäre ich nicht hier, son­dern säße traurig zuhause, hätte nichts mehr mit Fuß­ball am Hut und würde hoffen, dass der Clip aus dem Netz ver­schwindet. (Lacht.) Im Sessel sitzen und sich lustig machen, ist ein­fach. Nur wer auf Platz steht, kann Fehler machen. Aber als Profi muss ich mich fragen, warum das pas­siert und zusehen, dass es nicht wieder vor­kommt.

Nach der Län­der­spiel­reise im Sep­tember äußerten Sie Ihre Unzu­frie­den­heit dar­über, nicht zum Ein­satz gekommen zu sein. Als Manuel Neuer darauf ange­spro­chen wurde, sagte er, dass er diese Anmer­kung für unan­ge­bracht hielt. Uli Hoeneß attes­tierte Ihnen sogar, Sie täten, als hätten Sie schon 17 Welt­meis­ter­schaften“ gewonnen. Wie haben Sie die Situa­tion wahr­ge­nommen?
Ich glaube, es ist für mich als Profi wichtig, mich auf meine Leis­tung zu kon­zen­trieren und nicht auf das, was in den Medien gespro­chen wird. Der Manu weiß, dass ich da nur über mich gespro­chen habe. Es gibt auch keinen Streit zwi­schen uns. Und wie diese Sachen bei anderen ange­kommen sind, kann ich nicht beein­flussen.

Haben Sie und Manuel Neuer im Nach­gang noch einmal dar­über gespro­chen?
Wir haben uns bei den Län­der­spielen im Oktober getroffen. Es war alles wie immer, wir sind im Aus­tausch und haben ein gutes, pro­fes­sio­nelles Ver­hältnis. Wir sind halt Leis­tungs­sportler. Und so wie er, kämpfe auch ich und auch alle Feld­spieler darum, die eigenen Ziele zu errei­chen.. Aber klar ist: Über allem steht das gemein­same Ziel, als Mann­schaft eine erfolg­reiche EM zu spielen.

Der Bun­des­trainer hat sich mehr oder weniger für Manuel Neuer als Nummer Eins bei der EM aus­ge­spro­chen. Warum glauben Sie den­noch an Ihre Chance?
Natür­lich ist der Manu im Vor­teil, aber im Fuß­ball kann in einem drei­viertel Jahr viel pas­sieren. Des­wegen sehe ich zu, mich optimal vor­zu­be­reiten.

Sie sind 27, Manuel Neuer 33. Wenn Neuer noch drei Jahre im Natio­naltor steht, könnte es pas­sieren, dass Ihnen am Ende ein jün­gerer Kol­lege zuvor­kommt, wenn es um die Nach­folger geht. Bei­spiels­weise: Alex­ander Nübel.
Dar­über mache ich mir nicht mal ansatz­weise Gedanken.

Äußern Sie Ihre Unzu­frie­den­heit im per­sön­li­chen Gespräch mit Jogi Löw und DFB-Tor­wart­trainer Andreas Köpke?
So wie ich bei Barça immer offen und ehr­lich gesagt habe, wie sich die Situa­tion dar­stellt und welche Ziele ich habe, so habe ich es auch bei der Natio­nalelf getan. Die wissen genau, wie ich denke. Nun kann es für mich nur noch darum gehen, Leis­tung zu zeigen.

Die Argu­mente, zumin­dest eine Chance im Natio­naltor zu bekommen, haben Sie. Gerade erst waren Sie zum Welt­tor­hüter nomi­niert und haben auch beim Cham­pions-League Spiel in Dort­mund eine her­aus­ragnde Leis­tung gezeigt.
Für einen Keeper ist es nicht ein­fach, ein gutes Jahr zu spielen und ständig Top­leis­tungen abzu­rufen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Sie kennen Manuel Neuer und Bernd Leno seit Jahren, doch nur einer kann die Nummer eins sein. Wie wirkt sich das im per­sön­li­chen Umgang aus? Trai­nieren Sie meist wortlos neben­ein­ander her?
Ach was, die per­sön­liche Ebene hat doch nichts mit der sport­li­chen Kon­kur­renz und dem Beruf zu tun. Und wir tun alle gut daran, das nicht zu ver­mi­schen. Mein Ver­hältnis zu Bernd und Manu ist absolut pro­fes­sio­nell und wir können uns ganz normal über alles Mög­liche unter­halten, unab­hängig davon, wie die Ambi­tionen des Ein­zelnen sind.

Tor­wart­ri­valen wie Oliver Kahn und Jens Leh­mann, Uli Stein und Toni Schu­ma­cher sind in den Fuß­ball­ge­schichts­bü­chern auf immer mit­ein­ander ver­bunden. Denken Sie dar­über nach, dass es Ihnen mit Manuel Neuer eines Tages auch so gehen könnte?
Über­haupt nicht. Ich lebe im Jetzt, ich will in der Gegen­wart etwas errei­chen. Natür­lich hat das mit­telbar auch mit Manu zu tun, aber das ist eine rein pro­fes­sio­nelle Frage.

Aber wenn Manuel Neuer nicht weicht, könnte es pas­sieren, dass Sie als Natio­nal­spieler eine Rand­figur bleiben.
Mein Ziel ist, maximal erfolg­reich zu sein. Dazu gehört auch die Natio­nalelf. Aber ich kann nur ver­su­chen, stets noch besser zu sein als ges­tern. Ich möchte für den FC Bar­ce­lona und sein Spiel eine Berei­che­rung sein. Die Ent­schei­dung bei der Natio­nalelf liegt nicht in meinen Händen. Ich kann nur zusehen, den Leuten, die dar­über befinden, wer im Tor steht, die Ent­schei­dung so schwer wie mög­lich zu machen.

Ich plane nur bis nächsten Samstag“

Wie lange muss ein Keeper Geduld haben? Sagen Sie sich ins­ge­heim, wenn’s bis zum 30. Geburtstag in der DFB-Elf nicht klappt, trete ich ab?
Ich plane nur bis nächsten Samstag, was ich errei­chen will. Denn da stehe ich wieder auf dem Platz.

Marc André ter Stegen, der FC Bar­ce­lona hat in den letzten drei Cham­pions-League-Sai­sons unglaub­liche Spiele erlebt. Im Ach­tel­fi­nale 2016/17 drehten Sie gegen Paris St. Ger­main ein 0:4 aus dem Hin­spiel durch ein 6:1, im Vier­tel­fi­nale 2017/18 schieden Sie spek­ta­kulär gegen den AS Rom (4:1/0:3) aus, zuletzt das Halb­fi­nale gegen den FC Liver­pool (3:0/0:4). Wie bli­cken Sie auf solche Spiele zurück: als his­to­ri­sche Ereig­nisse oder als Ärgernis, weil Sie so viele Treffer gefangen haben?
Natür­lich sagt mir mein Ver­stand, dass solche Duelle der Grund sind, warum Men­schen ins Sta­dion gehen. Aber ich ana­ly­siere auch die Details und da ist es bitter fest­zu­stellen, wie viele Tore gefallen sind, bei denen ich völlig machtlos war. Sowohl das Aus­scheiden in Rom, als auch in Liver­pool war extrem hart. Nicht nur für mich, fürs ganze Team.

Wie geht der FC Bar­ce­lona mit sol­chen Situa­tionen um?
Wir sind sehr mit uns ins Gericht gegangen. In Rom, in Liver­pool, aber auch 2017 im Vier­tel­fi­nale gegen Juve ist viel schief gelaufen, was nicht vor­her­sehbar war.

Was kon­kret?
Dinge, die nicht durch spie­le­ri­sche oder tak­ti­sche Fehler erklärbar sind, son­dern wo man tief in die Psy­cho­logie ein­tau­chen muss.

Sprich: Im Kopf hat’s nicht gestimmt.
Zumin­dest haben sich die Dinge so ent­wi­ckelt, dass sie schwer greifbar sind. Des­halb würde ich nie sagen, dass uns sowas nicht noch einmal pas­sieren kann.

Warum scheidet der große FC Bar­ce­lona in zwei auf­ein­an­der­fol­genden Jahren trotz kom­for­ta­bler Hin­spiel­siege so schmäh­lich aus?
So ist Fuß­ball. Wenn an der Anfield Road schnell auf­ein­an­der­fol­gend zwei Tore fallen, ändert sich alles. Dann können Sie das Hin­spiel ver­gessen. Und ich muss auch zugeben, dass der Gegner an diesem Tag in jeder Hin­sicht besser war.

Nerven behalten, wir kriegen das schon wieder in den Griff“

Nach dem 6:1‑Sieg gegen Paris St. Ger­main 2017 sagte Ihr Team­kol­lege Arda Turan: Du nennst es Wunder, wir nennen es normal.“ Wie nennen Sie es?
Auf keinen Fall normal. Nach der 0:4‑Niederlage im Hin­spiel waren wir am Boden. Aber vor dem Rück­spiel hat uns der Trainer eine Über­zeu­gung mit­ge­geben, wie ich es so noch nie erlebt habe. Es war unglaub­lich, mit was für einem Gefühl wir auf den Platz gegangen sind. Aber es hat natür­lich geholfen, dass wir schon nach drei Minuten in Füh­rung gingen.

Wel­chen Ein­fluss können Sie in dra­ma­ti­schen Spielen als Schluss­mann aus­üben? Wäh­rend der Partei gegen Paris St. Ger­main sollen Sie den Vor­der­leuten zuge­rufen haben: Wir sterben nie, wir sind Bar­ce­lona, wir werden gewinnen.“ In Ihrer Über­set­zung klingt das aber sehr mar­tia­lisch. Ich würde es eher mit Wir sind noch nicht tot“, im Sinne von Leute, es ist noch nicht vorbei“ über­setzen. Als Paris in der 62. Minute das Anschlusstor zum 1:3 machte, gingen bei uns die Köpfe runter. Aber ich wollte nicht auf­hören, an das Wunder zu glauben. An diesem Tag hatte ich die Über­zeu­gung und ich wollte keinen nega­tiven Gedanken zulassen. Und dann fiel unser viertes Tor…

Und was haben Sie gerufen, als Liver­pool im Früh­jahr in Anfield plötz­lich Mor­gen­luft wit­terte? Wir sind alle Men­schen, wenn die plötz­lich treffen, pas­siert was in den Köpfen. Meis­tens ver­suche ich als Tor­wart dann beru­hi­gend zu wirken. Sinn­gemäß: Nerven behalten, wir kriegen das schon wieder in den Griff.“

Wie müssen wir uns die Stim­mung nach dem Halb­final-Aus in Liver­pool in der Barça-Kabine vor­stellen?
In dem Moment waren alle nur fas­sungslos, weil es für uns schlichtweg keine Erklä­rung gab. Da fragt man sich: Wie soll ich meinen Eltern oder meiner Frau plau­sibel die Frage beant­worten, warum wir trotz eines 3:0‑Siegs im Hin­spiel nicht wei­ter­ge­kommen sind?

Fragen Ihre Eltern danach?
Zum Glück nicht, aber natür­lich kommen viele Fragen von Leuten aus dem Verein. Und da braucht man schon men­tale Stärke, um damit zurecht­zu­kommen.

Wer alles per­sön­lich nimmt, für den ist es in diesem Geschäft schwer“

Sind die Barça‑Superstars besser in der Ver­ar­bei­tung sol­cher Nie­der­lagen als durch­schnitt­liche Bun­des­li­ga­spieler?
Auf dem Niveau, auf dem sich der Klub bewegt, müssen alle Spieler in der Lage sein, Ent­täu­schungen schnell abzu­haken. Weil schon die nächste Her­aus­for­de­rung auf uns wartet und immer die höchsten Erwar­tungen an uns gestellt werden.

Als Sie 2014 nach Bar­ce­lona wech­selten, wurde Ihre Ablöse auf 80 Mil­lionen Euro fest­ge­schrieben. Damals hielten Sie die Klausel für sym­bo­lisch, weil Sie sich nicht vor­stellen konnten, dass die Option je gezogen würde. Inzwi­schen ver­langt der FC Bar­ce­lona 180 Mil­lionen für Sie.
Der Markt ist dau­ernd in Bewe­gung. In der Zwi­schen­zeit sind auch schon 80 Mil­lionen für Tor­hüter bezahlt worden, das war damals unvor­stellbar. Fuß­ball ist heute nicht mehr nur elf gegen elf, son­dern ein rie­siges Mar­ke­ting­in­stru­ment. Des­wegen haben sich auch die Summen ver­än­dert, die in den Ver­trägen stehen.

Laut Trans​fer​markt​.de hat das Team des FC Bar­ce­lona aktuell einen Markt­wert von 1,18 Mil­li­arden Euro. Ist das krank?
Ob das gut oder schlecht ist, sollen die beur­teilen, die das Geld in die Hand nehmen. Wir Profis tun nur unser Bestes, um im Verein einen Stel­len­wert zu erhalten. Und damit steigt der Wert des Kaders. Aber dass sich der Markt so ent­wi­ckelt, war sicher­lich nicht abzu­sehen.

Spre­chen Sie mit Ihren Team­kol­legen über derlei Ent­wick­lungen?
Nein, in Spa­nien werden schon lange hohe Summen im Fuß­ball bezahlt, in Deutsch­land ist Geld ein sen­si­bleres Thema. Hier werden die Ablö­se­klau­seln als Absi­che­rung für den Verein betrachtet. Aber natür­lich bin auch ich ver­wun­dert, wenn in Aus­nah­me­fällen wie beim Ney (Neymar, d.Red.), solche Summen tat­säch­lich bezahlt werden.

Vor zehn Jahren beging Robert Enke Selbst­mord, wohl auch, weil er dem Druck des Fuß­ball­busi­ness nicht gewachsen war. Wie emp­finden Sie als heu­tiger Profi die Situa­tion?
Diese Welt ist für den ein oder anderen sicher nicht leicht zu ver­kraften. Wer nicht in der Lage ist, Kritik abzu­fe­dern, wer alles per­sön­lich nimmt, für den ist es in diesem Geschäft schwer.

Was macht das Fuß­ball­ge­schäft so anstren­gend?
Dass die Kritik oft über den Sport hin­aus­geht.

Haben Sie nega­tive Erfah­rungen gemacht?
Sport­liche Kritik ist okay, aber wenn Men­schen, die mich gar nicht kennen, per­sön­lich über mich urteilen und Unwahr­heiten ver­breiten, trifft einen das schon hart. Ich erin­nere mich an einen Artikel nach einem Cham­pions-League-Spiel vor ein paar Jahren, da würde ich noch heute gern wissen, was sich der Schreiber dabei gedacht hat und mit ihm drüber reden.

Warum machen Sie es nicht?
Weil sich der Autor bei der Zei­tung leider nicht her­aus­finden ließ.

Letzte Frage: Wie stellen Sie sich eine voll­endete Pro­fi­kar­riere vor?
Eine voll­endete Lauf­bahn wäre es, wenn ich stets Spaß am Fuß­ball gehabt habe, Titel gesam­melt und im Ein­klang mit den Mit­spie­lern gelebt habe. Denn min­des­tens so wichtig wie eine Tro­phäe sind die Erin­ne­rungen an die Momente, die man mit dem Team erlebt hat.