Marc-André ter Stegen verlängert seinen Vertrag beim FC Barcelona bis 2025. Seine Ablöse wird auf 500 Millionen Euro festgeschrieben. Im September 2019 trafen wir den Nationalkeeper in seiner katalonischen Wahlheimat zum Interview. Das komplette Gespräch über die Konkurrenz zu Manuel Neuer, Trainingsspiele mit Lionel Messi und Gehälterwahnsinn – jetzt erstmals auf 11freunde.de
Marc André ter Stegen, unser Interview findet mittags in einen Straßencafé in Barcelona statt. Offenbar ist der Umgang mit Fußballprofis in der Öffentlichkeit recht entspannt.
Kommt drauf an. Wir sind hier nicht direkt im Stadtzentrum. Nach fünf Jahren weiß ich recht gut, wo ich mich frei bewegen kann und wo Leute direkt auf mich zukommen.
Wohnen Sie zentral?
In den ersten drei Jahren haben meine Frau und ich außerhalb gelebt. Inzwischen sind wir mittendrin, wir wollten mehr vom Leben in der Stadt mitbekommen. Barcelona ist über die Jahre für mich ein Stück Heimat geworden, wo ich mich fast wohler fühle als in Mönchengladbach.
Dabei hatten Sie anfangs keine einfache Zeit. Sie waren in der Liga lange hinter Claudio Bravo nur die Nummer zwei. Abgesehen von der sportlichen Situation hätte man mir den Einstieg aber kaum leichter machen können. Im Kern ist Barça wie eine große Familie. Und mit Dani (Alves, d.Red.) und Ivan (Rakitic) hatte ich von Beginn an zwei Kollegen, die mir sehr unter die Arme gegriffen haben.
Würden Sie diese Beziehungen als Freundschaften bezeichnen? Das sind Verbindungen, die auch über die Laufbahn hinaus bestehen bleiben. Fußball ist sehr schnelllebig, viele Lebenswege gehen schnell wieder auseinander, aber momentan kann ich sagen, dass ich in Barcelona mit vielen einen sehr engen Zusammenhalt verspüre.
Es gibt eine lange Tradition von Protagonisten, die aus Mönchengladbach nach Barcelona wechselten: Hennes Weisweiler, Alan Simonsen, Udo Lattek. Werden Sie damit oft konfrontiert?
Am Anfang schon. Die Wertschätzung für Deutsche, allen voran Bernd Schuster, ist sehr groß. Und für die Leute hier bin nach wie vor „der Deutsche“.
Das heißt?
Mein Opa hat viel Wert auf Disziplin, Ehrlichkeit und Pünktlichkeit gelegt. Mit der Pünktlichkeit nehmen sie es in Katalonien aber nicht ganz so genau, daran musste ich mich erst gewöhnen. Aber wenn Sie ständig überpünktlich bei einem Termin auftauchen und 15 Minuten alleine dastehen, fangen Sie irgendwann an, auch mal etwas später zu kommen. (Lacht.)
Stimmt die Geschichte, dass ein Mitspieler, als Sie im Kreis mit Feldspielern eine gute Figur machten, gesagt hat: „Hey Messi, der spielt ja besser als du!“
Ich frage mich, wer diese Begebenheit nach außen getragen hat.
Wer hat es denn gesagt?
Keine Ahnung, habe ich vergessen. (Lacht.)
Sprich: Im Viereck können Sie mit den Hochbegabten locker mithalten?
Wäre doch schlimm, wenn ich in den heutigen Zeiten nicht mit den Jungs kicken könnte, oder?
Aber Lionel Messi ist natürlich eine besondere Güteklasse.
Der Leo ist auch nicht in meinem Kreis, aber auch in der angestammten Gruppe sind ein paar, die ganz gut sind. (Lächelt.)
An wen denke Sie?
Ich habe jetzt länger nicht mitgespielt, weil ich mit meinem Torwarttrainer neue Trainingsformen ausgearbeitet habe, aber Ivan und Busquets sind oft dabei.
Müssen Sie sich manchmal noch kneifen, wenn um Sie herum Typen wie Messi, Suarez oder Griezmann zaubern?
Nein, so ticke ich nicht.
Wie ticken Sie denn?
Ich habe nicht diese Fan-Momente. Als ich zu Barça kam, war mir klar, worauf ich mich einlasse. Ich war gespannt, wie das Leben in der Kabine abläuft, und ob ich mit diesen Kollegen nicht nur Erfolge feiern, sondern auch eine gute Zeit haben kann.
Und?
Wir haben einen guten Teamgeist, auch wenn ich bei jüngeren Spielern feststelle, dass sie nicht so viel miteinander sprechen. Professionell und diszipliniert sind heutzutage alle, aber als einer der Erfahreneren sehe ich mich auch in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass das Zwischenmenschliche stimmt und die Jungen mehr aus sich herauskommen.
In einem 11FREUNDE-Interview im Jahr 2014 sagten Sie, dass der Hauptjob des modernen Torwarts nach wie vor auf der Linie stattfindet. Sehen Sie das nach fünf Jahren als Keeper und Ersatz-Libero des FC Barcelona immer noch so?
Zu 100 Prozent. Natürlich ist es bei unserer Spielphilosophie förderlich, dass ich in der Lage bin, den Ball mit dem Fuß zu spielen und am Spielaufbau mitwirke, aber letztlich besteht der Kern meiner Aufgabe nach wie vor darin, Tore zu verhindern.
Sie haben gesagt, dass Sie bei Barça ein ganz neues Niveau erreicht hätten. Inwiefern? Schon mein erster Trainer, Luis Enrique, hat sehr auf Details geachtet: Mit welchem Fuß nehme ich den Ball an? Wie viele Schritte muss ich machen, um einen Ball zu erreichen? Diese Dinge haben wir im Videostudium sehr genau analysiert und mit wurde bewusst, welche Möglichkeiten sich für mich ergeben – auf der Linie, aber auch außerhalb. So ist es uns im Training gelungen, immer mehr Kleinigkeiten zu optimieren. Und natürlich hilft es auch, in einem Team Erfahrungen zu sammeln, das dauerhaft auf höchstem Niveau spielt.
War es so gesehen ein Vorteil, dass Sie in den ersten Jahren ständig mit Claudio Bravo konkurrierten, weil es Ihren Ehrgeiz noch zusätzlich beflügelte? Bestimmt hat es Effekte, wenn ein Torwart ständig in Abwartestellung ist und nicht nachlassen darf, um im entscheidenden Moment da zu sein. Aber ich glaube, dass ich nur aus aktiven Spielsituationen das Maximale lerne. Nur auf dem Rasen ergeben sich Momente, die völlig unberechenbar sind. Vor dreieinhalb Jahren kam ich nur in der Champions League und in der Copa Del Rey zum Einsatz, was im Extremfall hieß, nur alle zwei, drei Wochen aufzulaufen. Da ist es schon sehr schwer, sich zu fokussieren. Jetzt spiele ich alle drei, vier Tage, bin im Rhythmus und kann das, was ich im Training verbessere, direkt im Spiel anwenden.
Wie haben Sie die Situation als zweiter Mann damals kompensiert? Haben Sie Mentaltraining gemacht?
Es ist nicht leicht, im Training ständig Höchstleistungen abzurufen, wenn man weiß, dass der nächste Einsatz erst in zwei Wochen ist. Andererseits ist es auch nachteilig, ständig mit der Konzentration ganz oben zu sein. Mir ist jedenfalls auch ohne Mentaltrainer bewusst, wann es Zeit wird runterzufahren und ich meinem Körper Ruhephasen gönnen muss.
Wie offen sind Sie damals mit Ihrer Unzufriedenheit umgegangen?
Nach dem ersten Jahr habe ich klar kommuniziert, dass ich mit der Situation nicht zufrieden bin. Am Ende des zweiten Jahres habe ich gesagt, dass es so nicht weitergehen kann und ich auch einen Wechsel in Betracht ziehe. Der Klub wusste zu jedem Zeitpunkt, was ich empfinde.
Obwohl es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass, wer Barça verlässt, nie mehr zurückkehren kann.
Darüber denkt man in solchen Momenten nicht nach. Aber der Klub war zu jeder Zeit die erste Option. Als mich die Verantwortlichen baten, zumindest noch ein weiteres Jahr dranzuhängen, ehe ich Konsequenzen ziehe, gab mir das ein gutes Gefühl. Kann gut sein, dass sie schon im Hinterkopf hatten, Claudio zu ManCity abzugeben.
Inzwischen sind Sie in Ihrem Klub die unumstrittene Nummer eins. In Deutschland ist die Haltung, dass der Stammtorwart den Rückhalt spüren muss, weshalb er in allen Wettbewerben gesetzt ist. In Spanien werden Sie in der Copa del Rey von Ihrem Ersatzmann vertreten.
Wenn’s nach mir ginge, würde ich alles spielen. Das weiß auch der Coach, aber mir ist klar, dass Barça einen Ersatzmann braucht, auf den man sich verlassen kann. In Spanien ist es üblich, auch der Nummer zwei das Selbstwertgefühl und den Respekt zu vermitteln, das er verdient und dazu muss er eben auch Spiele auf Topniveau bekommen.
Bei Borussia Mönchengladbach arbeiteten Sie jahrelang mit Uwe Kamps als Torwarttrainer. Wie unterscheidet sich Kamps von Ihrem jetzigen Coach Jose de la Fuente?
Ich habe das große Glück, dass beide sehr spezifisch in ihrem Denken sind, hohe Erwartungen haben – und unsere Ziele in Einklang zueinander stehen. Schon bei Uwe wusste ich, dass wir uns alles sagen, uns auch Dinge an den Kopf werfen können, weil es der Sache dient. Mit De La ist das genauso.
Von Manuel Neuer ist bekannt, dass ihm das Torwarttraining im italienischen Staff von Carlo Ancelotti teilweise zu soft war. Dieses Problem haben Sie in Barcelona nicht?
Jeder Torwarttrainer hat eine eigene Denke. Vom Uwe nahm ich einiges bezogen auf Eins-Zu-Eins-Situationen mit, was De La am Anfang nicht gefiel. Aber wir haben Wege gefunden, diese Techniken weiterzuentwickeln. Und es ist immer wichtig, neue Perspektiven kennenzulernen.
Wie müssen wir uns diese Analyse konkret vorstellen? Bei Eins-zu-Eins-Situationen geht es beispielweise um die Schritte beim Rauskommen, beim Abwehrverhalten um den Bewegungsablauf: Wie nehme ich den Ball mit, mit dem ersten oder mit dem zweiten Kontakt? Warum habe ich eine bestimmte Entscheidung getroffen, die sich als Fehler erwiesen hat? Wie kann ich es beim nächsten Mal verhindern?
Wie wichtig ist für einen modernen Torhüter die Ausrüstung? Als Profi höre ich ständig auf meinen Körper. Je weniger Verbände oder Kinesiotape ich am Körper trage, desto besser fühle ich mich. Heißt: Ich versuche, meine Ausrüstung so zu optimieren, dass ich so gut wie möglich vorbeuge. Sie müssen sich vorstellen, ich stehe seit 15 Jahren jeden Tag auf dem Platz und falle aufs Knie, auf die Hüfte, auf die Schulter. Jeder Torwart hat andere Stellen, die neuralgisch sind, und da versuche ich gezielt Abhilfe zu schaffen.
Dazu haben Sie eine eigene Torwartlinie entwickelt.
Mein Partner „McDavid“ gibt mir die komfortable Situation, dass ich bei einem Problem sofort auf sie zugehen kann und sie zielgerichtet etwas für mich entwickeln.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Ein Beispiel: Wir haben auf den Trainingsanlagen in Barcelona einen Mischrasen mit fünf bis zehn Prozent Kunstrasenanteil. Wenn es trocken wird, kann der Untergrund sehr hart werden und entsprechend in der Hüfte schmerzen. Deswegen trage ich im Sommer beim Training oft eine Dreiviertelhose mit Seitenschutz, was nicht nur beim Werfen abfedert, sondern nebenbei auch Schürfwunden vorbeugt.
Wenn man Ihren Namen in Google eingibt, taucht schnell das Video eines Eigentors im Nationaldress gegen die USA 2012 auf. Ist es nicht furchtbar, als Torwart ständig mit Patzern konfrontiert zu werden, egal, wie lang sie her sind?
Erstens: Ich google mich nicht so häufig. Zweitens: Wenn ich mir über den Schnitzer noch Gedanken machen würde, wäre ich nicht hier, sondern säße traurig zuhause, hätte nichts mehr mit Fußball am Hut und würde hoffen, dass der Clip aus dem Netz verschwindet. (Lacht.) Im Sessel sitzen und sich lustig machen, ist einfach. Nur wer auf Platz steht, kann Fehler machen. Aber als Profi muss ich mich fragen, warum das passiert und zusehen, dass es nicht wieder vorkommt.
Nach der Länderspielreise im September äußerten Sie Ihre Unzufriedenheit darüber, nicht zum Einsatz gekommen zu sein. Als Manuel Neuer darauf angesprochen wurde, sagte er, dass er diese Anmerkung für unangebracht hielt. Uli Hoeneß attestierte Ihnen sogar, Sie täten, als „hätten Sie schon 17 Weltmeisterschaften“ gewonnen. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?
Ich glaube, es ist für mich als Profi wichtig, mich auf meine Leistung zu konzentrieren und nicht auf das, was in den Medien gesprochen wird. Der Manu weiß, dass ich da nur über mich gesprochen habe. Es gibt auch keinen Streit zwischen uns. Und wie diese Sachen bei anderen angekommen sind, kann ich nicht beeinflussen.
Haben Sie und Manuel Neuer im Nachgang noch einmal darüber gesprochen?
Wir haben uns bei den Länderspielen im Oktober getroffen. Es war alles wie immer, wir sind im Austausch und haben ein gutes, professionelles Verhältnis. Wir sind halt Leistungssportler. Und so wie er, kämpfe auch ich und auch alle Feldspieler darum, die eigenen Ziele zu erreichen.. Aber klar ist: Über allem steht das gemeinsame Ziel, als Mannschaft eine erfolgreiche EM zu spielen.
Der Bundestrainer hat sich mehr oder weniger für Manuel Neuer als Nummer Eins bei der EM ausgesprochen. Warum glauben Sie dennoch an Ihre Chance?
Natürlich ist der Manu im Vorteil, aber im Fußball kann in einem dreiviertel Jahr viel passieren. Deswegen sehe ich zu, mich optimal vorzubereiten.
Sie sind 27, Manuel Neuer 33. Wenn Neuer noch drei Jahre im Nationaltor steht, könnte es passieren, dass Ihnen am Ende ein jüngerer Kollege zuvorkommt, wenn es um die Nachfolger geht. Beispielsweise: Alexander Nübel.
Darüber mache ich mir nicht mal ansatzweise Gedanken.
Äußern Sie Ihre Unzufriedenheit im persönlichen Gespräch mit Jogi Löw und DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke?
So wie ich bei Barça immer offen und ehrlich gesagt habe, wie sich die Situation darstellt und welche Ziele ich habe, so habe ich es auch bei der Nationalelf getan. Die wissen genau, wie ich denke. Nun kann es für mich nur noch darum gehen, Leistung zu zeigen.
Die Argumente, zumindest eine Chance im Nationaltor zu bekommen, haben Sie. Gerade erst waren Sie zum Welttorhüter nominiert und haben auch beim Champions-League Spiel in Dortmund eine herausragnde Leistung gezeigt.
Für einen Keeper ist es nicht einfach, ein gutes Jahr zu spielen und ständig Topleistungen abzurufen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Sie kennen Manuel Neuer und Bernd Leno seit Jahren, doch nur einer kann die Nummer eins sein. Wie wirkt sich das im persönlichen Umgang aus? Trainieren Sie meist wortlos nebeneinander her?
Ach was, die persönliche Ebene hat doch nichts mit der sportlichen Konkurrenz und dem Beruf zu tun. Und wir tun alle gut daran, das nicht zu vermischen. Mein Verhältnis zu Bernd und Manu ist absolut professionell und wir können uns ganz normal über alles Mögliche unterhalten, unabhängig davon, wie die Ambitionen des Einzelnen sind.
Torwartrivalen wie Oliver Kahn und Jens Lehmann, Uli Stein und Toni Schumacher sind in den Fußballgeschichtsbüchern auf immer miteinander verbunden. Denken Sie darüber nach, dass es Ihnen mit Manuel Neuer eines Tages auch so gehen könnte?
Überhaupt nicht. Ich lebe im Jetzt, ich will in der Gegenwart etwas erreichen. Natürlich hat das mittelbar auch mit Manu zu tun, aber das ist eine rein professionelle Frage.
Aber wenn Manuel Neuer nicht weicht, könnte es passieren, dass Sie als Nationalspieler eine Randfigur bleiben.
Mein Ziel ist, maximal erfolgreich zu sein. Dazu gehört auch die Nationalelf. Aber ich kann nur versuchen, stets noch besser zu sein als gestern. Ich möchte für den FC Barcelona und sein Spiel eine Bereicherung sein. Die Entscheidung bei der Nationalelf liegt nicht in meinen Händen. Ich kann nur zusehen, den Leuten, die darüber befinden, wer im Tor steht, die Entscheidung so schwer wie möglich zu machen.
Wie lange muss ein Keeper Geduld haben? Sagen Sie sich insgeheim, wenn’s bis zum 30. Geburtstag in der DFB-Elf nicht klappt, trete ich ab?
Ich plane nur bis nächsten Samstag, was ich erreichen will. Denn da stehe ich wieder auf dem Platz.
Marc André ter Stegen, der FC Barcelona hat in den letzten drei Champions-League-Saisons unglaubliche Spiele erlebt. Im Achtelfinale 2016/17 drehten Sie gegen Paris St. Germain ein 0:4 aus dem Hinspiel durch ein 6:1, im Viertelfinale 2017/18 schieden Sie spektakulär gegen den AS Rom (4:1/0:3) aus, zuletzt das Halbfinale gegen den FC Liverpool (3:0/0:4). Wie blicken Sie auf solche Spiele zurück: als historische Ereignisse oder als Ärgernis, weil Sie so viele Treffer gefangen haben?
Natürlich sagt mir mein Verstand, dass solche Duelle der Grund sind, warum Menschen ins Stadion gehen. Aber ich analysiere auch die Details und da ist es bitter festzustellen, wie viele Tore gefallen sind, bei denen ich völlig machtlos war. Sowohl das Ausscheiden in Rom, als auch in Liverpool war extrem hart. Nicht nur für mich, fürs ganze Team.
Wie geht der FC Barcelona mit solchen Situationen um?
Wir sind sehr mit uns ins Gericht gegangen. In Rom, in Liverpool, aber auch 2017 im Viertelfinale gegen Juve ist viel schief gelaufen, was nicht vorhersehbar war.
Was konkret?
Dinge, die nicht durch spielerische oder taktische Fehler erklärbar sind, sondern wo man tief in die Psychologie eintauchen muss.
Sprich: Im Kopf hat’s nicht gestimmt.
Zumindest haben sich die Dinge so entwickelt, dass sie schwer greifbar sind. Deshalb würde ich nie sagen, dass uns sowas nicht noch einmal passieren kann.
Warum scheidet der große FC Barcelona in zwei aufeinanderfolgenden Jahren trotz komfortabler Hinspielsiege so schmählich aus?
So ist Fußball. Wenn an der Anfield Road schnell aufeinanderfolgend zwei Tore fallen, ändert sich alles. Dann können Sie das Hinspiel vergessen. Und ich muss auch zugeben, dass der Gegner an diesem Tag in jeder Hinsicht besser war.
Nach dem 6:1‑Sieg gegen Paris St. Germain 2017 sagte Ihr Teamkollege Arda Turan: „Du nennst es Wunder, wir nennen es normal.“ Wie nennen Sie es?
Auf keinen Fall normal. Nach der 0:4‑Niederlage im Hinspiel waren wir am Boden. Aber vor dem Rückspiel hat uns der Trainer eine Überzeugung mitgegeben, wie ich es so noch nie erlebt habe. Es war unglaublich, mit was für einem Gefühl wir auf den Platz gegangen sind. Aber es hat natürlich geholfen, dass wir schon nach drei Minuten in Führung gingen.
Welchen Einfluss können Sie in dramatischen Spielen als Schlussmann ausüben? Während der Partei gegen Paris St. Germain sollen Sie den Vorderleuten zugerufen haben: „Wir sterben nie, wir sind Barcelona, wir werden gewinnen.“ In Ihrer Übersetzung klingt das aber sehr martialisch. Ich würde es eher mit „Wir sind noch nicht tot“, im Sinne von „Leute, es ist noch nicht vorbei“ übersetzen. Als Paris in der 62. Minute das Anschlusstor zum 1:3 machte, gingen bei uns die Köpfe runter. Aber ich wollte nicht aufhören, an das Wunder zu glauben. An diesem Tag hatte ich die Überzeugung und ich wollte keinen negativen Gedanken zulassen. Und dann fiel unser viertes Tor…
Und was haben Sie gerufen, als Liverpool im Frühjahr in Anfield plötzlich Morgenluft witterte? Wir sind alle Menschen, wenn die plötzlich treffen, passiert was in den Köpfen. Meistens versuche ich als Torwart dann beruhigend zu wirken. Sinngemäß: „Nerven behalten, wir kriegen das schon wieder in den Griff.“
Wie müssen wir uns die Stimmung nach dem Halbfinal-Aus in Liverpool in der Barça-Kabine vorstellen?
In dem Moment waren alle nur fassungslos, weil es für uns schlichtweg keine Erklärung gab. Da fragt man sich: Wie soll ich meinen Eltern oder meiner Frau plausibel die Frage beantworten, warum wir trotz eines 3:0‑Siegs im Hinspiel nicht weitergekommen sind?
Fragen Ihre Eltern danach?
Zum Glück nicht, aber natürlich kommen viele Fragen von Leuten aus dem Verein. Und da braucht man schon mentale Stärke, um damit zurechtzukommen.
Sind die Barça‑Superstars besser in der Verarbeitung solcher Niederlagen als durchschnittliche Bundesligaspieler?
Auf dem Niveau, auf dem sich der Klub bewegt, müssen alle Spieler in der Lage sein, Enttäuschungen schnell abzuhaken. Weil schon die nächste Herausforderung auf uns wartet und immer die höchsten Erwartungen an uns gestellt werden.
Als Sie 2014 nach Barcelona wechselten, wurde Ihre Ablöse auf 80 Millionen Euro festgeschrieben. Damals hielten Sie die Klausel für symbolisch, weil Sie sich nicht vorstellen konnten, dass die Option je gezogen würde. Inzwischen verlangt der FC Barcelona 180 Millionen für Sie.
Der Markt ist dauernd in Bewegung. In der Zwischenzeit sind auch schon 80 Millionen für Torhüter bezahlt worden, das war damals unvorstellbar. Fußball ist heute nicht mehr nur elf gegen elf, sondern ein riesiges Marketinginstrument. Deswegen haben sich auch die Summen verändert, die in den Verträgen stehen.
Laut Transfermarkt.de hat das Team des FC Barcelona aktuell einen Marktwert von 1,18 Milliarden Euro. Ist das krank?
Ob das gut oder schlecht ist, sollen die beurteilen, die das Geld in die Hand nehmen. Wir Profis tun nur unser Bestes, um im Verein einen Stellenwert zu erhalten. Und damit steigt der Wert des Kaders. Aber dass sich der Markt so entwickelt, war sicherlich nicht abzusehen.
Sprechen Sie mit Ihren Teamkollegen über derlei Entwicklungen?
Nein, in Spanien werden schon lange hohe Summen im Fußball bezahlt, in Deutschland ist Geld ein sensibleres Thema. Hier werden die Ablöseklauseln als Absicherung für den Verein betrachtet. Aber natürlich bin auch ich verwundert, wenn in Ausnahmefällen wie beim Ney (Neymar, d.Red.), solche Summen tatsächlich bezahlt werden.
Vor zehn Jahren beging Robert Enke Selbstmord, wohl auch, weil er dem Druck des Fußballbusiness nicht gewachsen war. Wie empfinden Sie als heutiger Profi die Situation?
Diese Welt ist für den ein oder anderen sicher nicht leicht zu verkraften. Wer nicht in der Lage ist, Kritik abzufedern, wer alles persönlich nimmt, für den ist es in diesem Geschäft schwer.
Was macht das Fußballgeschäft so anstrengend?
Dass die Kritik oft über den Sport hinausgeht.
Haben Sie negative Erfahrungen gemacht?
Sportliche Kritik ist okay, aber wenn Menschen, die mich gar nicht kennen, persönlich über mich urteilen und Unwahrheiten verbreiten, trifft einen das schon hart. Ich erinnere mich an einen Artikel nach einem Champions-League-Spiel vor ein paar Jahren, da würde ich noch heute gern wissen, was sich der Schreiber dabei gedacht hat und mit ihm drüber reden.
Warum machen Sie es nicht?
Weil sich der Autor bei der Zeitung leider nicht herausfinden ließ.
Letzte Frage: Wie stellen Sie sich eine vollendete Profikarriere vor?
Eine vollendete Laufbahn wäre es, wenn ich stets Spaß am Fußball gehabt habe, Titel gesammelt und im Einklang mit den Mitspielern gelebt habe. Denn mindestens so wichtig wie eine Trophäe sind die Erinnerungen an die Momente, die man mit dem Team erlebt hat.