BVB-Boss Hans-Joachim Watzke spricht im Interview über die Sorgen der Spieler, die finanzielle Lage des BVB und Geisterspiele als kleineres Übel.
Herr Watzke, hätten Sie vor zwei Wochen gedacht, dass sich die Liga Mitte März in einer existentiellen Krise befindet?
Ehrlich gesagt, leider habe ich das auch nicht. In meinem Umfeld wies man mich schon recht früh auf die mögliche Eskalation hin, und deswegen haben wir beim BVB auf vielfältigen Wegen Vorkehrungen getroffen. Sei es bei der Abschirmung der Spieler oder der Mitarbeiter. Als weitsichtig hat sich erwiesen, dass wir unsere Kreditlinie schon früh sehr erweitert haben, so dass wir – auch in der jetzigen Situation, in der mehrere Erlöse auf der Kippe stehen – kein Liquiditätsproblem haben werden. Aber eines ist auch klar, dies ist eine Situation für alle Menschen in Deutschland, Europa und in vielen Ländern dieser Welt, die wir alle so noch nicht hatten, die uns vor enorme Herausforderung stellt und für deren Lösungen wir keinerlei Blaupausen haben. Jetzt muss der Fußball – allen wirtschaftlichen Risiken und der soziokulturellen Bedeutung zum Trotz – in den Hintergrund treten. Die Eindämmung der Virusausbreitung in der Bevölkerung wird auf allen Ebenen selbstverständlich priorisiert.
Nach der Vollversammlung der DFL hat Geschäftsführer Christian Seifert Geisterspiele als „einzige Überlebenschance“ für die Bundesliga bezeichnet? Stimmen Sie ihm zu?
Leider ja. Wir stehen natürlich auch im direkten Austausch mit dem Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, den zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Behörden und auch den wichtigsten Instituten. Die sagen uns leider: In den nächsten Wochen werden eher noch mehr Maßnahmen eingeleitet, eine Rücknahme der Einschränkungen ist vorerst nicht wahrscheinlich. Sie glauben gar nicht, wie gern wir hier gerade in Dortmund vor mehr als 80.000 Leuten spielen wollen würden, aber das wird uns aus gutem Grund leider keine Behörde in nächster Zeit zugestehen. So schlimm es ist und so sehr es unserer stimmungsvollen Fußballkultur in Deutschland widerstrebt. Wir müssen diese Saison aber zu Ende bringen. Ich sage auch, dass das emotional sehr anders wird. Die Meisterschaft hat dieses Jahr emotional sicherlich am Ende einen anderen Wert als sämtliche Titel vorher. Die Schale wird weder der Menge am Borsigplatz gezeigt noch auf dem Marienplatz oder sonstwo. Dennoch müssen wir die Saison beenden, ansonsten wird’s finanziell für zu viele Vereine so dramatisch, dass sich Dinge im Fußball verändern werden, an die man jetzt nicht einmal denken mag. Und wenn uns die Behörden grünes Licht geben, dass diese Spiele im ganz kleinen Kreis erlaubt werden, dann werden wir die Möglichkeit nutzen, unsere Arbeit machen. Wie viele andere Unternehmen auf der Welt dies aktuell auch eingeschränkt machen, um Arbeitsplätze zu schützen. Was den Fußball angeht, reden wir über fast 60.000. Und viele Branchen, die noch dranhängen. Aber natürlich können wir auch erst dann weitermachen, wenn es seitens der Experten keine Bedenken diesbezüglich gibt.
Ihr Auftritt in der ARD-Sportschau wirkte so, als würde Sie die Unterbrechung der Saison eher nerven als beunruhigen. Ein falscher Eindruck?
Ich werde nicht dafür bezahlt, beunruhigt zu sein. Und natürlich nervt es mich, wenn ein Saisonhighlight im europäischen Fußballkalender, „die Mutter aller Derbys“, nicht gespielt werden kann. Ich habe ja den Luxus, auch Fan meines Arbeitgebers zu sein. In so einem Moment darf man als Verantwortlicher nicht beunruhigt sein, sondern muss mit klarem Kopf Entscheidungen treffen. Übrigens nicht bloß im Sinne von einigen Hochbezahlten, sondern im Sinne von 850 Mitarbeitern. Der BVB ist einer der größten Arbeitgeber in Dortmund. Ich trage Verantwortung für diese Menschen und ihre Familien.
Sie haben die Gesundheitsgefahr für eine Profi-Mannschaft „als nicht so gravierend“ eingestuft. Das wirkte angesichts immer neuer positiver Corona-Tests in Profiklubs als arg verharmlosend.
Sie müssen da schon richtig hinhören, ich habe keinesfalls gesagt, dass die Spezies der Profifußballer immun gegen eine Erkrankung mit dem Covid-19-Virus ist. Aber, und dabei bleibe ich: Profisportler gehören nicht zu den Risikogruppen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Profi stationär behandelt werden muss oder Schlimmeres passiert, ist sehr gering, wenn auch nicht ausgeschlossen. Profifußballer gehören qua Alter nicht zur Risikogruppe, zudem werden sie fast rund um die Uhr von mehreren Ärzten gecheckt und begleitet. Wir haben eigene Köche, Gesundheits- und Ernährungsberater. Ich bleibe dabei: Wenn es eine Gruppe gibt, die gut für eine Pandemie gerüstet ist, dann sind’s junge, gesundheitlich dauerkontrollierte Männer im Leistungssport. Und natürlich müssen wir durch tägliches Testen dafür sorgen, dass die Spieler nicht ihre Familien, Gegen- und Mitspieler anstecken.
Viele Spieler sorgen sich um ihre Familien und würden gerne zu ihnen reisen. Sie haben etwas lapidar verkündet, sie verstünden nicht, warum die Familien nicht bei den Spielern seien. Ist das immer noch Ihre Haltung?
Da wurde ich, glaube ich, falsch verstanden am Sonntag. Natürlich haben wir Verständnis für die Sorge um Familienangehörige. Nehmen wir Achraf Hakimi doch als Beispiel, und schauen Sie, was in Spanien los ist. In Madrid ist das Gesundheitssystem doch schon in arger Bedrängnis, es wäre doch aus jeder Perspektive dumm, ihn jetzt dahinzuschicken, Spanien hat den Notstand ausgerufen! In so einer Situation haben priviligierte Fußballer doch sogar die Möglichkeit, ihre Familie nach Dortmund zu holen, wo sie in ein gutes System integriert werden können. Und als verantwortungsvoller Arbeitgeber hören wir da nicht weg, wir helfen ihnen bei jedem Schritt.
Sprechen wir mal über den BVB in der Krise. Wie lang kann ein Klub wie Borussia Dortmund eine solche Situation ohne Einnahmen aus Tagestickets und TV-Geldern aushalten?
Wie oben schon erwähnt, haben wir vorzeitig Vorkehrungen getroffen, damit wir aktuell weit weg von einer Situation sind, die uns Liquiditäts- oder gar Existenz-Sorgen bereiten müsste. Aber ich kenne auch keine andere Branche auf der Welt, die es problemlos hinnehmen könnte, wenn von den drei relevantesten Einnahmeströmen, in unserem Fall also TV-Vermarktung, Sponsoring und Spieltagseinnahmen – Ticketing, Catering und Merchandising am Spieltag – je ein Drittel wegfallen würde. So eine Situation gab es ja noch nie in der Fußballgeschichte, und daher waren die Einnahmen in der wirtschaftlichen Planung natürlich zum Teil eingeplant. Aber um konkret auf die Frage zu antworten: einige Monate würden wir auskommen, wenn in den nächsten Monaten nicht ein Cent dem BVB-Konto gutgeschrieben werden würde.