Nach einem Last-Minute-Sieg beleidigen die Fans von Dinamo Zagreb ihr eigenes Team und wollen die Trikots der Spieler nicht haben. Wie konnte es so weit kommen?
Vergangenen Sonntag gewann Serienmeister Dinamo Zagreb mit 2:1 beim Tabellenletzten der ersten kroatischen Liga Cibalia Vinkovci. So weit – so normal. Auch, dass der Champions-League-Teilnehmer einen Elfmeter zum Sieg benötigte, kann mal passieren. Und dass der Schiedsrichter in der letzten Minute auf den Punkt zeigte, würde man in vergleichbaren Fällen hierzulande vermutlich als Bayern-Dusel abtun.
Trotzdem führten der Sieg und die ihm zu Grunde liegende Entscheidung zum Eklat: In der 90. Minute startet Dinamo-Stürmer Soulani in den Strafraum, hinterläuft einen Gegenspieler, verpasst den Ball und fällt mit fast einer Sekunde Verspätung und ohne jeglichen Kontakt zu irgendetwas anderem als dem Rasen. Für alle im Stadion eine offensichtliche Schwalbe. Außer für den fünf Meter entfernten Schiedsrichter mit freier Sicht auf die Situation, der auf den Punkt zeigt.
Den „fälligen“ Strafstoß verwandelt Hodzic und sichert so den Sieg für das große Dinamo. Doch auch die mitgereisten Dinamo-Ultras der Bad Blue Boys haben die Fehlentscheidung registriert – und sind wenig angetan. Als die Mannschaft nach Abpfiff zum Auswärtsblock geht und den Fans ihre Trikots schenken will, fliegen sie zurück in ihre Gesichter, gefolgt von wüsten Beleidigungen.
Nicht die erste Fehlentscheidung pro Dinamo
Dabei hatte Dinamo den Sieg beim Aufsteiger bitter nötig. Nachdem das Team in der Gruppenphase der Champions League dieses Jahr schon einen Negativrekord aufstellte, liegt Zagreb auch in der Liga nur auf Platz zwei. Nach elf Meisterschaften in Folge. Warum freuten sich die Ultras nicht über einen Sieg ihres Klubs, auch wenn er auf so glückliche Weise entstand?
Weil die lachhafte Entscheidung von Schiedsrichter Damir Batinić bei Weitem nicht die erste war, die Dinamo einen Vorteil verschaffte. Für die Bad Blue Boys war sie nur ein weiteres Symptom der Korruption, die den kroatischen Fußball und ganz besonders ihren Klub fest in der Hand hat und gegen die sie seit fast einem Jahrzehnt ankämpfen. Verschiedene kroatische Medien haben die anscheinend systematische Bevorteilung Dinamos bereits thematisiert und die Fehlentscheidungen aufgelistet. Fans sprechen von Fehlern, die man „nur absichtlich machen kann“.
Das Gesicht der Ungerechtigkeit ist Zdravko Mamić, ehemaliger Präsident von Dinamo, Ex-Vize-Präsident des kroatischen Fußballverbands und seit 2015 im Zentrum von Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung, Bestechung und Korruption. Dass er seine Posten im Zuge der Vorwürfe aufgeben musste, hält ihn nicht davon ab, weiterhin im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Mamić ist nach wie vor die Nummer eins im kroatischen Fußball. 2015 listete ESPN ihn auf Rang 46 der „Liste der wichtigsten Personen im Fußball“, die kroatische Trainerlegende Ciro Blazević nannte ihn das „Alpha und Omega des kroatischen Fußballs“.
Mamić ist berüchtigt für seine Kontakte zu Richtern und Politikern sowie für sklaverei-ähnliche Verträge mit Spielern von Dinamo, die jeder Nachwuchskicker unterzeichnen muss und die Mamić große Anteile des Gehalts der Spieler auf Lebenszeit zusichern. Neben Dinamo kontrolliert er auch Lokomotiva Zagreb. Der Klub spielt ebenfalls in der nur zehn Mannschaften großen ersten Liga Kroatiens. Seit dem Aufstieg unter fragwürdigen Umständen hat Lokomotiva in 24 Begegnungen mit Dinamo nur ein einziges Unentschieden geholt.
Mamićs Einfluss reicht in alle Ecken des kroatischen Fußballs. Er gilt als maßgeblicher Entscheider in allen Angelegenheiten der Nationalmannschaft bis hin zur bevorzugten Aufstellung von Dinamo-Spielern und der Nichtberücksichtigung solcher Sportler, die sich in der Vergangenheit gegen ihn stellten. Auch der Ligaverband und die Schiedsrichtervereinigung werden von ihm beeinflusst. Auch deshalb haben die Fans die Schnauze voll.
Dinamo ist Gemeinschaftseigentum
Die Bad Blue Boys gelten selbst als kein Hort von Friedfertigkeit und Toleranz, sind nationalistisch, rechtsradikal und gewaltsuchend. Mamić wiederum äußerte sich wie ein Bruder im Geiste mehrfach abfällig über die serbische Minderheit in Kroatien und behauptete, Homosexuelle hätten keinen Platz im Fußball. Trotzdem haben die „Boys“ in der Vergangenheit alles versucht, um ihn loszuwerden. Per Petition forderten sie freie Wahlen und sammelten 50.000 Unterschriften von Fans. Dinamo ist im Besitz der Stadt Zagreb und der Klubmitglieder, die Verantwortlichen sollen demokratisch gewählt sein. Bis zur Verhaftung Mamićs waren sie nicht erfolgreich. Und auch seitdem hat sich nicht viel verändert.
Außer, dass Dinamo diese Saison nach 22 Spieltagen nur auf Platz zwei liegt, sechs Punkte hinter HNK Rijeka. Demselben Klub, der 1999 durch Bestechung der Meisterschaft beraubt wurde, die dann an Dinamo (damals noch als Croatia Zagreb) ging. In den letzten elf Jahren holte jeweils Dinamo den Titel. Der Klub ist der größte und auch beste des Landes. Trotzdem liegt der Zuschauerschnitt im 40.000 Zuschauer fassenden Stadion Maksimir unter 1.000.
Das wird sich auch so bald nicht ändern, die Fußballverdrossenheit ist im ganzen Land auf einem Rekordhoch. Alles, was sich die Fans wünschen, ist eine ehrliche Meisterschaft. Ein Dinamo-Anhänger schreibt online: „Rijeka wurde schon 1999 betrogen. Das werden wir nicht wieder zulassen.“ Doch bevor der Sumpf der Korruption nicht ausgetrocknet ist, müssen sie wohl davon ausgehen, dass Dinamo seinen ärgsten Konkurrenten auch dieses Jahr noch abfängt.
Update: Kroatische Medien berichten, dass ein Gericht die Untersuchungshaft und andere Maßnahmen gegen Zdravko Mamić aufgehoben hat. Dadurch kann er wieder offiziell als Funktionär von Dinamo Zagreb arbeiten und erhält auch seine Kaution in Millionenhöhe zurück. Noch ist die Entscheidung jedoch nicht rechtskräftig, da die USKOK, die Behörde zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität Berufung gegen die Entscheidung eingelegt hat.