Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Leipzig rund 20.000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. Darunter: zahlreiche rechte Hooligans. Fan-Forscher Robert Claus erklärt, was es damit auf sich hat.
Robert Claus, Sie waren am vergangenen Samstag in Leipzig, wo rund 20.000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert haben. Wer hat sich da versammelt?
Das war ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher esoterischer, verschwörungstheoretischer, demokratie- und staatsfeindlicher Strömungen. Darunter eben auch 200 bis 300 rechte Hooligans und militante Neonazis, die sich in einer Ecke des Platzes versammelt haben. Zusätzlich standen kleinere Ansammlungen in den Seitenstraßen.
Wie kam es zum Gewaltausbruch?
Das war absehbar. Es war die ganze Zeit klar: Wenn es dunkel wird und die Demonstration losgeht oder aufgelöst wird, steigt das Gewaltpotenzial enorm. So kam es dann auch. Weil Auflagen wie das Einhalten von Abständen und das Tragen von Masken mehrfach nicht eingehalten wurden, hat die Polizei die Demo aufgelöst. Daraufhin haben die Hooligans dem Aufmarsch im wahrsten Sinne des Wortes den Weg freigekämpft. Sie haben nicht nur Polizeiketten durchbrochen, sondern auch politische Feinde und Journalisten angegriffen. Ohne die Hooligans hätte sich der Demonstrationszug nicht in Bewegung setzen können.
Wie hat sich die Polizei verhalten?
Sie hat jedenfalls keinen strategischen Schwerpunkt am Treffpunkt der Hooligans gelegt. Sie war dort nur mit wenigen unbehelmten Beamten präsent. Das hat natürlich symbolische Wirkung: Die Szene bekam den Eindruck vermittelt, dass an diesem Tag etwas gehen könnte. Und so war es dann ja auch. Die rechte Szene feiert diese Gewalt-Erlebnisse als Ereignis der Selbstermächtigung.
„Das sind keine unorganisierten Straßenschläger“
Hat die Polizei die Lage unterschätzt?
Das, was dort passiert ist, war in keiner Weise überraschend. Die Mobilisierung in rechten Szenemedien für diese Demo war unübersehbar. Dass Neonazis und rechte Hooligans an solchen Demos teilnehmen, wusste man spätestens seit der großen Demo in Berlin Ende August. Und dass Leipzig und Sachsen zu den Schwerpunktregionen des rechten Hooliganismus in Deutschland zählen, ist auch kein Geheimnis.
Von welchen Vereinen kamen die Hooligans?
Als ich mich durch die Masse bewegt habe, habe ich Fußballinsignien und Anhänger unterschiedlicher Vereine gesehen: zum Beispiel Lokomotive Leipzig, Hallescher FC, Chemnitzer FC, FSV Zwickau.
Allesamt ostdeutsche Vereine.
Auch alte Hools, die früher zu Werder Bremen gingen, waren dabei. Zudem waren bei anderen Demonstrationen auch westdeutsche Szenen vertreten. In Düsseldorf etwa hat kürzlich Dominik Rösler mit seiner Rumpforganisation, die noch von der „Hooligans gegen Salafisten“-Bewegung übrig ist, zu einer Demo aufgerufen. Das lief allerdings nicht besonders gut, da kamen nur sehr wenige Teilnehmer. Am Wochenende in Leipzig waren jetzt tatsächlich größtenteils ostdeutsche Hooligans beteiligt.
Jahrgang 1983, forscht zu den Themen Fankulturen, Hooligans und Rechtsextremismus. Seit 2015 arbeitet er bei der „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“. In seinem aktuellen Buch „Ihr Kampf“ erklärt er, wie Rechtsextreme für den Umsturz trainieren.
Es gibt auch Bilder, auf denen Fan-Utensilien von Lazio Rom zu sehen sind.
Das waren Leipziger Hools mit Lazio-Mützen. Kleidung von Lazio ist unter rechten Hooligans sehr beliebt, weil den Verein ein europaweiter Mythos umgibt.
Welche Handhabe haben Fußballvereine, um dem Problem Herr zu werden?
Hier zeigt sich, wie wichtig langfristige Präventionsarbeit ist. Viele derjenigen, die da am Wochenende randaliert haben, kennen wir seit bis zu 20, 25 Jahren, z.B. aus Zwickau und Chemnitz. Die kommen aus etablierten Netzwerken. Eine Kürzung der Gelder für Fanprojekte wäre deshalb fatal. Vereine wie der FC Energie Cottbus oder der Chemnitzer FC, die erst in den letzten Jahren mit Präventionsarbeit begonnen haben, müssen das auch langfristig verfolgen können und nicht in der ersten finanziellen Krise wieder über Bord werfen. Und auch in Zwickau sowie bei Lok Leipzig gibt es positive Ansätze, durch die Vereine und nicht zuletzt durch die Fanprojekte.
Täuscht der Eindruck oder gehen mittlerweile Hooligans von eigentlich verfeindeten Vereinen gemeinsam auf die Straße?
Das war eigentlich schon immer so. Es war schon immer ein falscher Eindruck, wenn wir Hooligangruppen als voneinander isolierte und miteinander konkurrierende Gruppen betrachtet haben. Es gab schon immer enge Netzwerke zwischen den Gruppen. Man muss hier zwischen der Fußballlogik und der politischen Logik unterscheiden. Im Fußball gibt es natürlich Rivalitäten. Die politische Logik bei Veranstaltungen wie der in Leipzig ist jedoch das Interesse an Gewalt, der Sozialdarwinismus und die Demokratie- und Staatsfeindlichkeit. Das ist die Klammer, die Hooligans verschiedener Vereine immer wieder gemeinsam auf die Straße bringt.
Also kein neues Netzwerk?
Nein. Es gibt Überschneidungen der Leute, die am Samstag in Leipzig waren, mit dem Mob, der im Januar 2016 im links-alternativ geprägten Stadtteil Connewitz randaliert hat.
Was charakterisiert diese Szene?
Das sind keine unorganisierten Straßenschläger. Die Szene ist in den letzten Jahren jünger geworden. Und professioneller. Einige Gruppen rekrutieren sich gar nicht mehr nur aus dem Fußball, sondern auch aus den Kampfsport-Gyms. Ist ja auch logisch: Wer sich primär über Gewalt definiert, rekrutiert auch dort, wo Gewalt professionell trainiert wird. Leipzig ist da ein Paradebeispiel. Das Imperium Fight Team ist aus der Hooligan-Szene bei Lokomotive Leipzig entstanden. Darüber hinaus wurden auch Studios in Wurzen und Taucha eröffnet und so das Einflussgebiet vergrößert.