Campino ist nicht nur Sänger der Toten Hosen, sondern ewiger Fan des FC Liverpool. Dass Jürgen Klopp dort arbeitet, macht ihn glücklich. Wir haben beide zusammengebracht
Und Sie nehmen in Liverpool Auszeit vom Leben als Popstar?
Campino: Lassen Sie uns die Sache mit dem Popstar nicht so hoch hängen, aber es macht mir großen Spaß, hier nur einer von vielen zu sein. Wenn ich nach Liverpool reise, ziehe ich mein rotes Trikot an und bin Teil dieser Armee. Da fragt niemand, woher ich komme und was ich mache, und es hat auch noch nie jemand gesagt, dass ich nicht hierhin gehöre, weil ich doch nur zur Hälfte Engländer bin. Besonders liebe ich die Auswärtsfahrten, wie zuletzt nach Manchester gegen United in der Europa League.
Klopp: Die Spiele gegen United gehörten auch für mich zu den Highlights. Die Stimmung mag nicht an allen Tagen Weltklasse sein, aber in den beiden Spielen hat es richtig geknallt.
Die deutsche Wahrnehmung der Premier League ist nicht zuletzt wegen der fehlenden Stimmung sehr kritisch.
Campino: Ich kenne tatsächlich einige Engländer, die nach Deutschland fahren, um auch für wenig Geld richtigen Fußball zu erleben. Genau wie sie verstehe ich nicht, warum angesichts der riesigen Einnahmen aus den weltweiten Fernsehdeals die hohen Ticketpreise überhaupt nötig sind. Bei den Klubs sollte das Bewusstsein dafür wachsen, dass junge, euphorische Zuschauer, die man für die Atmosphäre und die Gesänge braucht, noch an erschwingliche Karten kommen.
Klopp: Ich fand es immer eine komische Vorstellung, eine überragende Atmosphäre haben zu wollen, während man irgendwelchen Mist kickt. Stimmung ist immer auch an Erfolg gekoppelt, und in Liverpool gab es schon länger keine größeren Erfolge mehr. Wir sind gerade dabei, das zu drehen. Es geht was, wie man gegen Manchester United gesehen hat. Da lag es natürlich am Gegner und an der Rivalität. Wir müssen aber dahin kommen, dass es passiert, weil wir auf dem Platz stehen und egal ist, gegen wen wir spielen. Wir hatten solche Momente, ich bin immer noch ganz glücklich mit der Schlussphase aus dem Nichts heraus gegen West Brom. Das ist das größte Missverständnis meiner bisherigen Englandgeschichte, dass ich mich da beim Publikum bedankt habe.
Die Presse fand es unangebracht, dass Sie ein Ausgleichstor gegen eine Mannschaft aus dem Mittelfeld der Tabelle vor dem Kop feierten.
Klopp: Aber es war niemand nach Hause gegangen wie drei Wochen zuvor, es hat niemand gemurrt, alle wollten das verdammte Ausgleichstor. Dann schießen wir es, und das Stadion ist explodiert. Das war überragend. Es gab auch noch den 5:4‑Sieg in Norwich, den späten Erfolg über Crystal Palace, den Ausgleich kurz vor Schluss gegen Arsenal. Wir haben Manchester City weggedonnert und Manchester United aus der Europa League geworfen. In der Summe sind Punktzahl und Tabellenplatz nicht das, wo wir hinwollen. Aber wir haben Zeichen gesetzt, was möglich ist.
Wie beurteilen Sie die Premier League sportlich? Sie wird bei uns inzwischen ziemlich kritisch gesehen?
Klopp: Es ist typisch für Deutschland, dass man die Dinge halb beobachtet, aber voll bewertet. Während der Winterpause in Deutschland haben wir zehn Spiele gehabt, wie soll man die wegdiskutieren? Das elfte Spiel war gegen einen ausgeruhten deutschen Klub, und danach hieß es: So toll ist Liverpool nun auch wieder nicht! Ich will mich nicht beschweren, doch das riesige Programm hier führt zu anderen Herausforderungen. Innerhalb der Premier League ist das kein Problem, weil das für alle gilt. Es wird aber eins, wenn man sich mit Europa misst.
Ist es nicht so, dass Bildhauer verpflichtet werden, die dann Nägel in die Wand kloppen müssen?
Klopp: Finde ich nicht, hier wird ganz ansehnlicher Fußball gespielt. Es gibt vielleicht drei oder vier Mannschaften, die, ohne despektierlich zu sein, wie Darmstadt 98 spielen. Deren Spieler sind groß und wuchtig und gehen auf die Standardsituationen. Nur haben sie auch noch Stürmer, die 35 Millionen gekostet haben und wissen, wie man Tore macht. Mannschaften wie Arsenal, Tottenham, Manchester City, Manchester United, Chelsea oder wir spielen Fußball, aber es geht immer auch ums Körperliche. Dass die englischen Mannschaften in den letzten Jahren in der Champions League nicht funktioniert haben, ist eine Wahrheit. Aber liegt es daran, weil sie zu doof sind, oder weil sie vor und nach der Champions League um jeden einzelnen Meter kämpfen müssen?