Volker Fürderer ist der mächtigste Mann, wenn es bei Schalke 04 um die Themen Fans und Sicherheit geht. Vor dem Derby gegen Borussia Dortmund sprachen wir mit ihm.
Volker Fürderer, seit dem 1. Januar 2014 bekleiden Sie die neu geschaffene Position des „Direktors Fanbelange, Mitglieder und Sicherheit“ beim FC Schalke. Bitte definieren Sie Ihr Jobprofil.
Nun, das ergibt sich schon aus dem Namen des Titels: Alles, was auf Schalke mit den Themen Fans, Mitglieder und Sicherheit zu tun hat, fällt in diesen Verantwortungsbereich. Der neue Posten geht mit einer internen Neustrukturierung einher, vor allem, was die Arbeit mit unseren Fans betrifft. Gemeinsam mit aktuell 14 Mitarbeitern will ich diesen Anforderungen gerecht werden.
In der Zusammenarbeit mit Fußballfans ist ein gewisser Stallgeruch nicht von Nachteil. Verfügen Sie darüber?
Ich habe eine Stadionvergangenheit, wenn Sie das meinen. Was für meinen Job allerdings noch wichtiger ist, ist, dass ich mich auf Schalke extrem gut auskenne. Ich bin hier kurz vor der Inbetriebnahme der Arena 2001 angefangen, war zunächst für das elektronische Bezahlsystem zuständig, später Ordnungsdienstleiter und Veranstaltungsleiter, zuletzt Sicherheitsbeauftragter. Darüber hinaus war ich seit 2005 Geschäftsführer der Arena Management GmbH. Ich kenne mein Umfeld und mein Umfeld kennt mich.
Als Sicherheitsbeauftragter waren Sie in der jüngeren Vergangenheit für einige unpopuläre Maßnahmen zuständig, die Ihnen in der Fanszene eine Menge Kritik eingebracht haben. Das Fanzine „Schalke Unser“ schrieb nach Ihrer Ernennung zum Direktor Fanbelange: „Da haben sich viele Gräben aufgetan, die es zuzuschütten gilt – ein Bagger allein wird da kaum reichen.“ Fehlt Ihnen das nötige Standing in der Kurve?
Das glaube ich nicht. Aber ich habe mir viele Gedanken gemacht, ob es die richtige Entscheidung ist, Fans und Sicherheit im gleichen Arbeitsbereich miteinander zu verbinden. Als Sicherheitsbeauftragter habe ich in der Vergangenheit Entscheidungen fällen müssen, die zum Teil mit den Interessen der Fans kollidiert sind. Letztlich bin ich aber davon überzeugt, dass wir sehr gut daran tun, die Themen Fans, Mitglieder und Sicherheit eng miteinander zu verzahnen.
Warum?
Weil es letztlich zusammengehört. Sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen funktionieren natürlich besser, wenn Fans sie unterstützen. Jene können umgekehrt profitieren, zum Beispiel, wenn durch Absperrmaßnahmen gewalttätige Auseinandersetzungen verhindert werden. Am Ende des Tages geht es darum, zum Wohle des Vereins zu handeln und alles unter einen Hut zu bringen. Dafür müssen auch mal Maßnahmen getroffen werden, die nicht jedem gefallen.
Wie die äußerst umstrittenen Ganzkörperkontrollen beim Champions-League-Spiel gegen den FC Basel?
Aus damaliger Sicht war es die richtige Entscheidung Zelte aufstellen zu lassen, um die Fans entsprechend zu kontrollieren. Die Informationen, die wir von den Kollegen aus Basel hatten, haben das gerechtfertigt. Aus heutiger Sicht würde ich jedoch sagen: Diese Art von Kontrollen sind nicht mehr nötig. Zwar wird sich der ein oder andere beim Zelt überlegen, ob er tatsächlich versucht, Pyrotechnik in eine Arena einzubringen. Es wird jedoch von den Kritikern immer mit Intimkontrollen gleichgesetzt. Diese hat es übrigens beim Basel-Spiel nicht gegeben, nur in Einzelkabinen wurde genauer kontrolliert.
Wie bewerten Sie nachträglich den unverhältnismäßig harten Einsatz der Polizei während der Champions-League-Partie gegen PAOK Saloniki?
Da die Vorfälle noch Teil eines laufenden Ermittlungsverfahrens sind, werde ich zu Geschehnissen selbst nichts sagen. Nur so viel: Da wurden Fehler gemacht und auch wir werden daraus unsere Lehren ziehen.
Welche Lehre haben Sie persönlich aus dem Spiel gezogen?
Dass die Abstimmung mit der Polizei und den Fans am Spieltag noch wesentlich klarer sein muss. Wir als Verantwortliche müssen genau wissen, wer wann wie handelt.
Das dürfte gerade bei einem Fußballspiel sehr schwer sein.
Allerdings. Es geht schon damit los, dass die Zuschauer begründeten Anweisungen des Ordnungsdienstes unbedingt Folge zu leisten haben.
Das ist utopisch.
Das haben Sie jetzt gesagt. Wir haben im Nachgang zum Saloniki-Spiel sehr vernünftige Gespräche mit den Fans zu diesem Thema geführt.
Sie waren als Sicherheitsbeauftragter für die Vorfälle bei den Spielen gegen Saloniki und Basel mitverantwortlich. Wie sieht Ihre Charmeoffensive aus, um sich wieder mit dem Schalker Anhang zu versöhnen?
Eine Charmeoffensive benötige ich nicht. Aber selbstverständlich werde ich mich in den kommenden Wochen mit so vielen Fans und Fanvertretern wie möglich treffen, um Gespräche zu führen.
Wie muss man sich das vorstellen? Tingeln Sie dann von Fanklub-Stammtisch zu Fanklub-Stammtisch?
Unter anderem. Aber auch in meinem Büro oder in der Arena kann man sich ganz wunderbar unterhalten.
Anfang Januar sorgten diverse Informationen für Unruhe, wonach zunächst ernsthaft überlegt wurde, das nächste Revierderby gegen Borussia Dortmund ohne den Gästeanhang auszutragen. Also ohne Fans vom FC Schalke. Auslöser waren die Vorfälle beim vergangenen Derby…
…darf ich die Chance nutzen, um diesbezüglich einmal Licht ins Dunkle zu bringen?
Gerne.
Das Spiel gegen Dortmund war im Oktober 2013. Meiner Meinung nach erreichten die Krawalle vor, während und nach dem Spiel damals leider ein neues Level. Als wir uns darüber Gedanken machten, wie man so etwas künftig verhindern kann, war eine von vielen Überlegungen, Derbys ohne Gästefans durchzuführen. Aber diese Idee wurde aus der ersten Emotion heraus formuliert. Nach vielen schlaflosen Nächten kamen wir zu der Erkenntnis, dass diese Maßnahme nicht angemessen wäre. Im November haben wir den Kollegen vom BVB bereits mitgeteilt, dass eine komplett gesperrte Gästekurve für uns keine Option sei. Anschließend verabredeten wir uns für Mitte Januar 2014 zu einem neuerlichen Gespräch, um dort eine abschließende Entscheidung zu fällen und zu besprechen, wie wir diese kommunizieren.
Kurz vor diesem Gespräch spekulierten allerdings verschiedene Medien über ein mögliches Auswärtsfansverbot.
Das wurde nach den Ausschreitungen bei unserem Freundschaftsspiel in Köln lanciert. Von uns drang keine Information nach außen und ich bin mir sehr sicher, dass auch der BVB kein Interesse daran hatte.
Wie ging es danach weiter?
Sie können sich vorstellen, dass die Spekulationen in den Medien nicht gerade förderlich waren, um in Ruhe eine Entscheidung zu fällen. Wir saßen dann mit dem BVB zusammen. Dabei ging es schwerpunktmäßig um die An- und Abreise. Die Dortmunder haben uns mitgeteilt, dass sie bei der DFL eine Vorverlegung der Anstoßzeit von 20 auf 18 Uhr beantragen wollen. Der BVB hat als Veranstalter das Recht dazu. Gleichzeitig haben wir die Runde dazu genutzt, uns dafür auszusprechen, die Begegnung mit Gästefans auszutragen.
Was erhoffen sich die Vereine von der veränderten Anstoßzeit?
Das ermöglicht uns, die Anreise beider Fanlager besser begleiten zu können. An den Schwierigkeiten der Handhabung mit der Abreise wird das freilich nichts ändern.
Schalke wurde in einer Pressemitteilung mit den Worten zitiert, dass man das Derby „als letzte Chance für die überwältigende Mehrheit der friedlichen Fans beider Vereine“ sehe. Heißt das: Wird auch nur eine Ohrfeige verteilt oder ein bengalisches Feuer entzündet, finden die nächsten Derbys vor leeren Rängen statt?
Nein, so konkret haben wir das bewusst nicht benannt. „Letzte Chance“ bedeutet in diesem Fall, dass wir positive Zeichen der Fanlager erwarten, ein klares Bekenntnis zum friedlichen Miteinander. Das Verhalten der Fans über den gesamten Tag hinweg wird entscheidend sein. Und wenn wieder Mist gebaut wird, werden wir Maßnahmen ergreifen.
Zum Beispiel: Stadionverbote erteilen?
Das wäre eine Möglichkeit.
Der „Sport-Informations-Dienst“ (sid) verbreitete jüngst eine Meldung, wonach der FC Schalke nach den Vorfällen vom Derby im Oktober 397 Stadionverbote erteilt habe. Woher kommt diese Zahl?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Diese Zahl ist nicht korrekt. Wir haben nach dem Spiel 498 Hausverbote bis zum 30. Juni 2019 an Anhänger vom BVB erteilt. Außerdem 51 Stadionverbote für BVB-Fans, die bis zum Januar 2017 gelten. Dazu kommen 16 Anhörungsverfahren für Anhänger vom FC Schalke.
Wie sehen diese Anhörungsverfahren konkret aus?
Die betreffenden Personen bekommen von uns Post und können auf Anfrage über unser Fanprojekt einen Anhörungstermin erhalten. Sie haben dann die Möglichkeit, sich vor dem Anhörungsgremium zu äußern. Dieses besteht aus einem Mitarbeiter des Fanprojektes, zwei Fanbeauftragten, sowie dem Stadionverbotsbeauftragten. Anschließend wird eine Entscheidung getroffen. Ich selbst werde mich aus diesem Gremium zurückziehen.
Im Januar prügelten sich Schalker Hooligans mit Kölnern und Dortmundern in der Kölner Innenstadt. Wie gut wissen Sie über Ihre Kategorie C‑Fans Bescheid?
Wir kennen jeden einzelnen.
Und trotzdem können Sie einen solchen Gewaltausbruch nicht verhindern?
In diesem Fall: leider nein.
Machen Sie Vorfälle wie die vom Derby oder in Köln eigentlich wütend?
Im ersten Moment natürlich.
Wie schaffen Sie es dann, inmitten des Geflechts aus friedlichen und gewaltbereiten Fans, Polizei- und Vereinsinteressen, vernünftige Entscheidungen zu treffen?
Indem ich mich nicht von der Emotion leiten lasse, sondern sachlich-fachlich nachvollziehbare Maßnahmen einleite. Das ist gerade bei einem Verein wie Schalke 04, der vielleicht mehr als jeder andere von Emotionen lebt, nicht immer leicht. Aber das macht den Job ja auch reizvoll.
Welche Maßnahmen oder Entscheidungen Sie auch immer in Zukunft treffen werden – es wird Kritik geben. Ist Ihr Fell dick genug, um diesem Druck standzuhalten?
(lacht) Ich arbeite jetzt seit 13 Jahren auf Schalke. Wenn ich etwas habe, dann ist es ein dickes Fell, glauben Sie mir.