Der FC Barcelona scheitert im Champions-League-Halbfinale nicht nur am furiosen FC Liverpool, sondern an einem System, das allein auf Superstar Lionel Messi zugeschnitten ist.
Sieben Tage ist es her, dass die Fußballwelt einmal mehr eine Vorstellung davon bekam, wer nach wie vor der größte Spieler der Welt ist: Im Hinspiel gegen den FC Liverpool lieferte Lionel Messi mal wieder eine seiner Galavorstellungen. Zeitweise fünf englische Gegner nahmen den Argentiner auf einmal in die Zange, ohne seinen Wirkungskreis eindämmen zu können. Wie schon so oft umhüllte Messi die Aura der Unbesiegbarkeit. Ihn, den Magier, der alles intuitiv richtig macht und mit dem Spiel verschmilzt.
Die Konsequenz: Messi erzielte sein 600. Tor für Barca, einen eleganten Freistoßtreffer zum 3:0‑Endstand, der das Camp Nou einmal mehr in Begeisterungsstürme versetzte. Anschließend war vom „besten Messi aller Zeiten“ die Rede. Und das obwohl der gelenkige Angreifer demnächst 32 Jahre alt wird – und damit eigentlich seine Halbwertzeit überschritten haben müsste.
Das „Gemetzel in Anfield“
Doch das Kurzzeitgedächtnis des Fußballs ist furchtbar löchrig. Im gestrigen Rückspiel überrannten Klopps furios aufspielende „Reds“ Barcelona. In der spanischen Presse ging der denkwürdige Abend heute bereits als „Hecatombe en Anfield“ in die Annalen ein – als das „Gemetzel in Anfield“.
Mittendrin im Gemetzel: der bärtige Fußball-Riese von gedrungener Gestalt, der beileibe keine schlechte Vorstellung bot und dennoch zum tragischen Helden wurde. Messi setzte fünf Torschüsse ab, dreimal knapp vorbei, zweimal hielt der starke Schlussmann Alisson Becker. Er leitete die Angriffe ein, indem er sich weit fallen ließ, verhalf seinem Team zu Torchancen, indem er tödliche Pässe spielte. War schnell und agierte mit ähnlicher Brillanz wie im Hinspiel. Und trotzdem versagte er.
Im Sog des Aliens
Nach dem Hinspiel beschwor er den Zusammenhalt. Beteuerte, dass das Team zusammenhalten müsse, um Großes zu erreichen. Doch obwohl die Elf der Katalanen gespickt ist mit Ausnahmetalenten, machte das Match im Anfield deutlich: Die Sogkraft, die von einem Außerirdischen wie Messi ausgeht, die sich nicht nur in der Wahrnehmung, sondern auch im Spielsystem widerspiegelt, kann dazu führen, dass in entscheidenden Momenten selbst arrivierte Mitspieler der Mut verlässt.
Anders ist die Szene in der 16. Minute nicht zu erklären: Sergio Busquets spielt einen maßgeschneiderten Pass aus dem Mittelkreis auf den durchgestarteten Jordi Alba, der nimmt den Ball lässig mit und steht plötzlich halblinks allein vor dem Liverpooler Kasten. Die Abwehr ist ausgehebelt, er muss nur einschieben. Für einen wie Alba eine leichte Übung: trocken verwandeln, abdrehen, jubeln.
Doch im Augenwinkel sieht er plötzlich Messi heranrauschen und legt ihm – offenbar hypnotisiert oder gar eingeschüchtert von dessen Gegenwart – die Kugel per Querpass auf. Ein verhängnisvoller Fehler, denn der Ball kommt nicht mal mehr auf das Tor, sondern trudelt von Joel Matips ausgefahrenem Bein aus der Gefahrenzone.