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Spiele unseres Lebens

QUADRAT 1 1 für Hochformate 30

Dieses Inter­view erschien erst­mals in unserem Spe­zial Spiele unseres Lebens“. Die gesamte Aus­gabe ist wei­terhin hier im Shop erhält­lich.

Oliver Reck, Thomas Schaaf, Mirko Votava, glauben Sie an Wunder?
Mirko Votava: Warum nicht? Schließ­lich geschehen in jedem gesell­schaft­li­chen Bereich hin und wieder Dinge, die wir uns nicht vor­stellen können.
Thomas Schaaf: Wenn Sie Wunder so defi­nieren, dass Dinge pas­sieren, die unmög­lich vor­aus­zu­sehen sind, gibt es im Fuß­ball defi­nitiv welche.
Oliver Reck: Als Fuß­baller neigen wir heute dazu, alles berechnen zu wollen. Wir meinen, alles über den Gegner zu wissen. Und den­noch gibt es Aktionen und Zufälle in Spielen, die sich nicht berechnen lassen. Und dann wird es wun­dersam.

Heißt das im Umkehr­schluss, dass durch die minu­tiöse Daten­er­fas­sung im Fuß­ball die Zahl der Wunder abnimmt?
Reck: Ich denke schon. In den späten Acht­zi­gern gab es nicht einmal vor Bun­des­li­ga­par­tien eine Video­vor­be­rei­tung. Wenn wir im Euro­pacup antraten, kannten wir Gegen­spieler manchmal nur von Fotos.
Schaaf: Über Mann­schaften aus dem Ost­block wussten wir prak­tisch nichts und mussten die Fragen, die sich uns bei einem Gegner stellten, spontan auf dem Platz beant­worten.
Votava: Wir gingen mit nicht viel mehr als dem Glauben an unsere eigene Stärke auf den Rasen und dachten nicht dar­über nach, wel­cher Gegen­spieler oder welche tak­ti­sche Vari­ante uns Pro­bleme bereiten könnte. Bei den Wun­dern von der Weser“ wussten wir nur: Wir müssen Tore machen, wenn wir noch wei­ter­kommen wollen.

Die soge­nannten Wunder von der Weser“ zwi­schen 1987 und 1993 ereig­neten sich alle­samt vor spär­lich besetzten Rängen an kalten, oft reg­ne­ri­schen Herbst­tagen. Brauchte der SV Werder wid­rige Umstände, um zu Höchst­form auf­zu­laufen?
Votava: Damals war Fuß­ball noch kein Fami­li­en­ver­gnügen. Es kamen fast achtzig Pro­zent Männer ins Sta­dion. Reck: Und wenn die keine Hoff­nung mehr hatten, blieben sie an kalten Mitt­woch­abenden auch mal zu Hause. Aller­dings war zu der Zeit das Weser­sta­dion ohnehin nur aus­ver­kauft, wenn wir gegen den FC Bayern oder den HSV spielten, sonst kamen nie mehr als 15 000 Zuschauer.

Die Kulisse war für die Wunder“ also nicht ent­schei­dend.
Schaaf: Nun ja, es waren Abend­spiele! Und wenn im Weser­sta­dion das Licht anging, eröff­nete sich hier eine andere Welt. Und dann machten die 16 000 gegen Moskau Krach, als wäre das Sta­dion prop­pen­voll.

Das Hin­spiel in Moskau im Herbst 1987 war in die Hose gegangen.
Schaaf: Das Match kam erst im zweiten Anlauf zustande. Wir hatten uns schon einige Tage zuvor nach Moskau auf­ge­macht, bekamen aber wegen starken Nebels keine Lan­de­er­laubnis und lan­deten in Wilna zwi­schen. Dort schliefen wir in einem Zoll­haus auf unseren Taschen und aßen das biss­chen Pro­viant, das wir dabei hatten. Im Mor­gen­grauen bestiegen wir einen Bus, der noch zwei Stunden auf der Lan­de­bahn rum­stand, und flogen zurück nach Bremen.

Stimmt es, dass Sie im Wil­naer Zoll­haus Fünf gegen Zwei gespielt haben, um im Falle des Wei­ter­flugs auf­ge­wärmt zu sein.
Schaaf: Das ist Legende. Aber damals sahen die Regu­la­rien der UEFA vor, dass wir los­fliegen müssen, auch wenn die Vor­aus­set­zungen widrig sind, sonst wären wir dis­qua­li­fi­ziert worden.

Sie machten sich eine Woche später erneut auf den Weg und kamen in Moskau mit 1:4 unter die Räder.
Reck: Wir spielten auf gefro­renem Boden und hatten keine Chance.
Schaaf: Die haben uns regel­recht kaputt­ge­rannt.
Reck: Und sie haben trotz des Eis­bo­dens wun­derbar har­mo­niert und den Ball lau­fen­lassen. Zum Glück wech­selte Otto (Reh­hagel, d. Red.) nach der Halb­zeit Manni (Burg­s­müller) ein, dem noch ein Tor gelang. So hatten wir fürs Rück­spiel zumin­dest noch ansatz­weise Hoff­nung.

Wenn Eng­länder von der Insel mussten, waren sie nur halb so gut“

Otto Reh­hagel soll nach dem Hin­spiel sehr sauer gewesen sein.
Reck: Das lag daran, dass wir anschlie­ßend in der Hotelbar saßen und ver­suchten, uns die Nie­der­lage mit ein paar Spon­so­ren­ver­tre­tern schön zu reden.

Thomas Schaaf, Sie schmun­zeln…
Votava: Thomas, gib es doch zu, du warst mit dem Spiel eigent­lich ganz zufrieden. (Lacht.)
Schaaf: Es war eine sur­reale Situa­tion. Wir waren binnen weniger Tage zwei Mal dahin gereist und dem Gegner neunzig Minuten lang nur hin­ter­her­ge­rannt. Da war gar nichts, was einem noch Hoff­nung machte. Doch allen war bewusst: Diese Bla­mage können wir auf keinen Fall so stehen lassen.

Das bedeu­tete fürs Rück­spiel …?
Votava: … volle Kon­zen­tra­tion auf unsere Spiel­weise der kon­trol­lierten Offen­sive. Denken Sie nicht, dass da nur eitel Son­nen­schein war. Im internen Kreis haben wir uns ordent­lich gezofft. Aber das war wichtig, um wieder Zug in die Sache zu kriegen. Otto wusste, dass wir uns selbst am meisten ärgerten und die Sache aus­bü­geln wollten. Nicht zuletzt, weil wir noch nicht so viel ver­dienten und eine wei­tere Runde im Euro­pacup bedeu­tete, dass wir etwas mehr ins Porte­mon­naie bekamen.

Was war Ihr Plan vorm Rück­spiel?
Schaaf: Mit den Sowjets war es ähn­lich wie mit den Eng­län­dern. Über die es hieß: Wenn die von ihrer Insel run­ter­kommen, sind sie nur halb so gut! Spartak war gedrillt, die hatten ihre Vor­gaben, also mussten wir zusehen, ihnen über kör­per­liche Aggres­si­vität den Schneid abzu­kaufen und sie nicht ins Spiel kommen zu lassen. Wir wussten, dass sie sich schwertaten, auf unvor­her­ge­se­hene Tak­tik­va­ri­anten zu reagieren. Also wurde im Rück­spiel von Beginn an zurück­ge­fightet.

Werder 23 07 2020 11 Freunde Werder Bremen 4610 WEB

Oliver Reck

Patrick Runte

Bei Anpfiff waren es fünf Grad im Weser­sta­dion. Spürten Sie, dass etwas in der Luft lag?
Reck: Otto sagte uns, dass es vor Anpfiff eine Ehrung geben würde: Keeper Rinat Das­sejew wurde als bester Tor­hüter Europas aus­ge­zeichnet. Als wir das hörten, haben wir gewit­zelt: Hoffen wir mal, dass es kein schlechtes Omen für ihn ist und er nach dem Spiel noch eine weiße Weste hat.“ Ich glaube, Dass­ajew hat in seiner gesamten Kar­riere nie mehr sechs Stück in einem Spiel gekriegt.

Werder star­tete mit zwei Toren von Frank Neu­barth ful­mi­nant, zur Halb­zeit lagen Sie mit 3:0 vorn und waren auf dem Papier weiter. Erin­nern Sie sich noch an die Ansprache von Otto Reh­hagel? Er soll ja mit­unter zu über­langen Aus­füh­rungen geneigt haben.
Reck: Es gab Halb­zeit­an­spra­chen, in denen Otto bis zum Wie­der­an­pfiff durch­quatschte, und auch welche, in denen er zwei Sätze sagte und uns in Ruhe ließ. Ich denke, er wird an diesem Tag nicht viel gesagt haben. Er wusste, dass wir die Dinge auch unter uns klärten.