Hansi Müller war einer der ersten Popstars der Bundesliga. Er wurde Europameister und Vizeweltmeister. Dabei träumte er eigentlich von einer DJ-Karriere. Heute wird er 65 Jahre alt.
Einmal telefonierten Sie sogar mit einem Fan.
Ich wollte einen Freund anrufen, verwählte mich aber. Es meldete sich eine mir unbekannte Frau, ich entschuldigte mich für den Anruf und wollte wieder auflegen. Da sagte sie:„Moment, Sie sind doch der Hansi Müller. Ich hole mal eben Francesco, meinen Sohn, der ist großer Fan von Ihnen.“ Ich unterhielt mich dann zehn Minuten mit dem Jungen. Es war so, als ob die Fans jede Sekunde darauf warten, dass ein Inter-Spieler bei ihnen anruft.
Ihr Mitspieler Alessandro Altobelli sagte: „Hansi ist so ein Stilist, man glaubt gar nicht, dass es sich um einen Deutschen handelt.“ Was war denn so italienisch an Ihnen?
Ich mochte Italien, seit ich als kleiner Junge im Urlaub an der Adria war. Als ich im Sommer 1982 nach Mailand wechselte, sog ich alles auf. Die Kultur, die Musik, die Sprache, sogar den Mailänder Dialekt.
Schon zu Saisonbeginn gaben Sie Interviews in fließendem Italienisch.
Ich war immer ganz gut in Sprachen. Meine Eltern sind Donauschwaben, in und um Belgrad geboren, meine Oma sprach Jugoslawisch mit mir. Dann hatte ich Französisch in der Schule, das half mir auch. Und während meiner ersten Verletzung wohnte ich bei unserem Konditionstrainer. Dazu das Fernsehen, die „Gazzetta dello Sport“, und meine Mitspieler waren – bis auf den Brasilianer Juary – alle Italiener. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Sprache zu lernen.
Nach Ihrer ersten Serie-A-Saison ging Ihre Zeit in der Nationalelf zu Ende. Sie waren gerade mal 26 Jahre und hatten 42 Länderspiele gemacht. War die Konkurrenz im Mittelfeld zu groß?
Anfang September 1983 spielten wir mit der Nationalelf in Ungarn. Ich war nicht gut, allerdings auch nicht ganz fit, denn in Italien war noch Sommerpause. Nach dem Spiel schrieb die „Bild“: „Arrivederci Hans, das war dein letzter Tanz.“ Jupp Derwall strich mich aus dem Kader für das nächste Spiel, und ich ahnte bereits, dass es vorbei war. Zumal niemand wusste, wie ich mich bei Inter machte. Wenn du damals bei einem ausländischen Verein gespielt hast, warst du vom Radar verschwunden. Es gab kein DAZN oder Sky, nicht mal so etwas wie „Ranissimo“. In Deutschland konnte man die Ergebnisse in der Zeitung höchstens lesen, mehr nicht.
Andersrum war es genauso.
Absolut. In Italien bekam man nichts mit vom deutschen Fußball. Meine Eltern haben für mich die „Sportschau“ aufgenommen und die Videokassette per Post nach Mailand geschickt. Jeden Dienstag- oder Mittwochabend habe ich mir dann die drei Spiele angeschaut.
Während des Banketts schlichen wir in die Restaurantküche und sprangen dort aus einem Fenster. Manni Kaltz verstauchte sich den Fuß“
Wie bewerten Sie Ihre Zeit in der Nationalelf?
Meine erste WM 1978 war aufregend. Ich war zwanzig Jahre alt und hatte nicht mit einer Nominierung gerechnet. Als ich mitfuhr, habe ich nicht gedacht, dass ich spielen würde. Aber ich durfte viermal ran und machte sogar ein Tor. Meine zweite WM 1982 war der Anfang vom Karriereknick. Bis dahin lief immer alles super, aber schon vor der WM hatte ich Beschwerden im Knie. Ich wollte das Turnier sogar absagen, aber Derwall ließ das nicht zu. Kurz vor WM-Start machte ich noch eine Arthroskopie, verrückt! Und während des Turniers nahm ich dreimal täglich starke Schmerzmittel.
1980 wurden Sie mit der DFB-Elf Europameister.
Eine tolle Sache, klar. Ich wurde sogar in die Mannschaft des Turniers gewählt. Aber das hat mich überrascht, denn ich fand mich nicht so gut. Ich wusste jedenfalls, dass ich besser spielen kann.
Wie war die Party nach dem Finale?
Lustig, aber auch schmerzhaft. Wir wollten mit fünf, sechs Spielern in Rom feiern gehen. Während des Banketts schlichen wir in die Restaurantküche und sprangen dort aus einem Fenster. Manni Kaltz verstauchte sich den Fuß.
Hatten die Profis früher mehr Freiheiten?
Man konnte abends mal weggehen, ohne dass die halbe Welt davon mitbekam. In Italien tranken wir noch vier Stunden vor Spielbeginn ein Glas Rotwein, das war kein Thema. Wenn ich darüber nachdenke, was passiert wäre, wenn es damals am Schluchsee Internet gegeben hätte …
Dort bereiteten Sie sich mit der DFB-Elf auf die WM 1982 vor. Es wurde gepokert und getrunken. Mittendrin Fans und Reporter. In der Presse hieß der Schluchsee „Schlucksee“.
Wenn es damals Social Media gegeben hätte, hätte man uns vermutlich von der WM ausgeschlossen. (Lacht.)
Stimmt es, dass Bernd Schuster nach einer Feier bei Ihnen aus der Nationalelf geflogen ist?
Eine verrückte Geschichte. Es war im Mai 1981 nach einem Freundschaftsspiel gegen Brasilien in Stuttgart. Ich hatte mit meiner Frau gerade ein neues Haus samt Partykeller bezogen. Also schlug ich vor, dass wir nach dem Spiel bei mir was trinken. Derwall gefiel die Idee, alle Spieler kamen mit – bis auf Bernd. Der hatte nämlich am nächsten Tag ein wichtiges Pokalspiel und flog um sechs Uhr früh zurück nach Barcelona. Auf dem Weg aus der Kabine rief er Toni Schumacher zu, dass er ihn bei Derwall entschuldigen solle. Irgendwann nach Mitternacht, wir hatten alle schon gut getrunken, schaute Derwall sich um und fragte: „Wo ist eigentlich der Schuster?“ Niemand wusste etwas, und Toni muss gerade auf Toilette gewesen sein. Derwall wurde richtig wütend und rief im Hotel an. Dort nahm aber nur Bernds Ehefrau Gaby ab und sagte, ihr Mann schlafe bereits. Dann legte sie auf. Das machte Derwall noch rasender. Er sagte: „Der spielt nie wieder unter mir!“ Und so kam es dann. Es war alles ein großes Missverständnis.