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Seite 2: „Meine Eltern schickten mir jede Woche eine Sportschau-Videokassette"

Einmal tele­fo­nierten Sie sogar mit einem Fan.
Ich wollte einen Freund anrufen, ver­wählte mich aber. Es mel­dete sich eine mir unbe­kannte Frau, ich ent­schul­digte mich für den Anruf und wollte wieder auf­legen. Da sagte sie:​„Moment, Sie sind doch der Hansi Müller. Ich hole mal eben Fran­cesco, meinen Sohn, der ist großer Fan von Ihnen.“ Ich unter­hielt mich dann zehn Minuten mit dem Jungen. Es war so, als ob die Fans jede Sekunde darauf warten, dass ein Inter-Spieler bei ihnen anruft.

Ihr Mit­spieler Ales­sandro Alt­obelli sagte: Hansi ist so ein Sti­list, man glaubt gar nicht, dass es sich um einen Deut­schen han­delt.“ Was war denn so ita­lie­nisch an Ihnen?
Ich mochte Ita­lien, seit ich als kleiner Junge im Urlaub an der Adria war. Als ich im Sommer 1982 nach Mai­land wech­selte, sog ich alles auf. Die Kultur, die Musik, die Sprache, sogar den Mai­länder Dia­lekt.

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1982

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Schon zu Sai­son­be­ginn gaben Sie Inter­views in flie­ßendem Ita­lie­nisch.
Ich war immer ganz gut in Spra­chen. Meine Eltern sind Donau­schwaben, in und um Bel­grad geboren, meine Oma sprach Jugo­sla­wisch mit mir. Dann hatte ich Fran­zö­sisch in der Schule, das half mir auch. Und wäh­rend meiner ersten Ver­let­zung wohnte ich bei unserem Kon­di­ti­ons­trainer. Dazu das Fern­sehen, die Gaz­zetta dello Sport“, und meine Mit­spieler waren – bis auf den Bra­si­lianer Juary – alle Ita­liener. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Sprache zu lernen.

Nach Ihrer ersten Serie-A-Saison ging Ihre Zeit in der Natio­nalelf zu Ende. Sie waren gerade mal 26 Jahre und hatten 42 Län­der­spiele gemacht. War die Kon­kur­renz im Mit­tel­feld zu groß?
Anfang Sep­tember 1983 spielten wir mit der Natio­nalelf in Ungarn. Ich war nicht gut, aller­dings auch nicht ganz fit, denn in Ita­lien war noch Som­mer­pause. Nach dem Spiel schrieb die Bild“: Arri­ve­derci Hans, das war dein letzter Tanz.“ Jupp Der­wall strich mich aus dem Kader für das nächste Spiel, und ich ahnte bereits, dass es vorbei war. Zumal nie­mand wusste, wie ich mich bei Inter machte. Wenn du damals bei einem aus­län­di­schen Verein gespielt hast, warst du vom Radar ver­schwunden. Es gab kein DAZN oder Sky, nicht mal so etwas wie Ranis­simo“. In Deutsch­land konnte man die Ergeb­nisse in der Zei­tung höchs­tens lesen, mehr nicht.

Andersrum war es genauso.
Absolut. In Ita­lien bekam man nichts mit vom deut­schen Fuß­ball. Meine Eltern haben für mich die Sport­schau“ auf­ge­nommen und die Video­kas­sette per Post nach Mai­land geschickt. Jeden Dienstag- oder Mitt­woch­abend habe ich mir dann die drei Spiele ange­schaut.

Wäh­rend des Ban­ketts schli­chen wir in die Restau­rant­küche und sprangen dort aus einem Fenster. Manni Kaltz ver­stauchte sich den Fuß“

Wie bewerten Sie Ihre Zeit in der Natio­nalelf?
Meine erste WM 1978 war auf­re­gend. Ich war zwanzig Jahre alt und hatte nicht mit einer Nomi­nie­rung gerechnet. Als ich mit­fuhr, habe ich nicht gedacht, dass ich spielen würde. Aber ich durfte viermal ran und machte sogar ein Tor. Meine zweite WM 1982 war der Anfang vom Kar­rie­re­knick. Bis dahin lief immer alles super, aber schon vor der WM hatte ich Beschwerden im Knie. Ich wollte das Tur­nier sogar absagen, aber Der­wall ließ das nicht zu. Kurz vor WM-Start machte ich noch eine Arthro­skopie, ver­rückt! Und wäh­rend des Tur­niers nahm ich dreimal täg­lich starke Schmerz­mittel.

1980 wurden Sie mit der DFB-Elf Euro­pa­meister.
Eine tolle Sache, klar. Ich wurde sogar in die Mann­schaft des Tur­niers gewählt. Aber das hat mich über­rascht, denn ich fand mich nicht so gut. Ich wusste jeden­falls, dass ich besser spielen kann.

Wie war die Party nach dem Finale?
Lustig, aber auch schmerz­haft. Wir wollten mit fünf, sechs Spie­lern in Rom feiern gehen. Wäh­rend des Ban­ketts schli­chen wir in die Restau­rant­küche und sprangen dort aus einem Fenster. Manni Kaltz ver­stauchte sich den Fuß.

Hatten die Profis früher mehr Frei­heiten?
Man konnte abends mal weg­gehen, ohne dass die halbe Welt davon mit­bekam. In Ita­lien tranken wir noch vier Stunden vor Spiel­be­ginn ein Glas Rot­wein, das war kein Thema. Wenn ich dar­über nach­denke, was pas­siert wäre, wenn es damals am Schluchsee Internet gegeben hätte …

Dort berei­teten Sie sich mit der DFB-Elf auf die WM 1982 vor. Es wurde gepo­kert und getrunken. Mit­ten­drin Fans und Reporter. In der Presse hieß der Schluchsee Schlucksee“.
Wenn es damals Social Media gegeben hätte, hätte man uns ver­mut­lich von der WM aus­ge­schlossen. (Lacht.)

Stimmt es, dass Bernd Schuster nach einer Feier bei Ihnen aus der Natio­nalelf geflogen ist?
Eine ver­rückte Geschichte. Es war im Mai 1981 nach einem Freund­schafts­spiel gegen Bra­si­lien in Stutt­gart. Ich hatte mit meiner Frau gerade ein neues Haus samt Par­ty­keller bezogen. Also schlug ich vor, dass wir nach dem Spiel bei mir was trinken. Der­wall gefiel die Idee, alle Spieler kamen mit – bis auf Bernd. Der hatte näm­lich am nächsten Tag ein wich­tiges Pokal­spiel und flog um sechs Uhr früh zurück nach Bar­ce­lona. Auf dem Weg aus der Kabine rief er Toni Schu­ma­cher zu, dass er ihn bei Der­wall ent­schul­digen solle. Irgend­wann nach Mit­ter­nacht, wir hatten alle schon gut getrunken, schaute Der­wall sich um und fragte: Wo ist eigent­lich der Schuster?“ Nie­mand wusste etwas, und Toni muss gerade auf Toi­lette gewesen sein. Der­wall wurde richtig wütend und rief im Hotel an. Dort nahm aber nur Bernds Ehe­frau Gaby ab und sagte, ihr Mann schlafe bereits. Dann legte sie auf. Das machte Der­wall noch rasender. Er sagte: Der spielt nie wieder unter mir!“ Und so kam es dann. Es war alles ein großes Miss­ver­ständnis.