Partys auf Mallorca, „Spielerfrauenmann“ und Skandalprofi – Dennis Aogo musste viele Schlagzeilen über sich lesen. Heute wird er 35 Jahre alt. Im Interview spricht er ausführlich über seine Stationen, sein Image, die Hilfe von Psychologen und seine Arbeit im Altenheim.
Dieses Interview erschien erstmals im Mai 2020.
Dennis Aogo, Sie starteten 2004 Ihre Profi-Karriere. Was würden Sie heute Ihrem 17-jährigen Ich raten?
Ich würde sagen: „Hör’ ein bisschen mehr hin.“ Dann hätte ich damals mehr von dem verstanden, was mein Trainer von mir verlangte. Ich war in einem rebellischen Alter und dachte, alles besser zu wissen. Mehr Demut hätte mir gut getan.
Ihr Jugendtrainer Christian Streich gilt als Ihr damaliger Förderer.
Ohne ihn hätte ich es nie zu den Profis geschafft, da wäre ich wohl auf die schiefe Bahn geraten. Drei Jahre vor meinem Durchbruch bei den Profis stand ich am Scheideweg. Im Freiburger Fußball-Internat wurden die Spieler nach drei Abmahnungen rausgeschmissen. Ich durfte bleiben, obwohl ich auf mehr als drei kam. Aber Christian Streich und Stefanie von Mertens, die Pädagogin der Schule, haben wohl menschlich und sportlich irgendetwas in mir gesehen. Deswegen bin ich ihnen bis heute sehr dankbar.
Wofür haben Sie die Abmahnungen bekommen?
Partys, Schlägereien, da war alles dabei. Wir haben die Schule geschwänzt und dann irgendwelchen Quatsch in der Stadt gemacht. Kamen nie pünktlich nach Hause. Eigentlich der typische Mist, den man als Teenager anstellt, aber nicht, wenn du Profi werden willst. Im Nachhinein muss ich sagen: Ich habe damals einfach nach Halt gesucht.
Inwiefern?
In meiner Jugend habe ich viele schwierige Momente erlebt. Danach habe ich viel mit mir selbst ausgemacht und wirkte manchmal verschlossen. Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen, mit 13 bin ich mit meinem Vater von zu Hause weggezogen. Da er aber oft arbeiten musste, lebte ich tagsüber bei einer Pflegefamilie. Wenig später wechselte ich dann ins Fußball-Internat. Die frühen Teenagerjahre waren eine harte Zeit für mich: weg von zu Hause, von den Geschwistern, von den Freunden, in eine andere Stadt. Keiner hat mir einen Rahmen vorgegeben, also habe ich in der Internatszeit meine Grenzen ausgetestet.
Was haben Streich und Stefanie von Mertens verändert?
Sie haben mich konsequent in die Schranken verwiesen. Die schlimmste Sanktion war, dass ich manchmal nicht mittrainieren durfte. Streich hat mich auch auf eine Diät gesetzt; jede Woche sollte ich ein halbes Kilo abnehmen. Zusätzlich zum Training musste ich eine Stunde Dauerlauf mit dem Athletiktrainer absolvieren. Ich wurde diszipliniert, bis bei mir der Groschen fiel: Hey, du kannst hier wirklich Profi werden! Von da an wurde ich regelrecht besessen, habe auch zusätzlich viel alleine trainiert und bin öfters mit dem Fahrrad zum SC-Gelände gefahren. Dort habe ich mir das Training der Profis angeschaut.
„An einem Tag spielst du Bundesliga und am anderen Tag wischt du Hintern im Altenheim ab“
Sie arbeiteten wegen eines Freiwilligen Sozialen Jahres im Altenheim. War das auch eine Idee von Streich?
Nein, damals gab es noch die Wehrpflicht und dieses FSJ ersetzte meinen Zivildienst. Es war eine krasse und einschneidende Erfahrung, von der ich bis heute zehre. Sie müssen sich vorstellen: Damals war ich schon eine Art Shootingstar in Freiburg, an einem Tag spielst du Bundesliga und am anderen Tag wischt du Hintern im Altenheim ab. Einen Abend bist du im Showbiz, am nächsten Morgen musst du Senioren füttern. Ich habe die Menschen auch wirklich gepflegt, da gab es keine Extrabehandlung für mich. Ich habe sogar mal eine Leiche gesäubert, den Verband umgebunden und die Hände gefaltet.
Das gehört nicht unbedingt zur Aufgabe eines FSJ-lers.
Ich hatte den Verstorbenen jeden Tag gepflegt und eine besondere Beziehung zu ihm aufgebaut. Es ist unglaublich, wie viel Wärme man von den älteren Menschen zurückbekommt. Die Angestellten haben mich auch vorher gefragt, ob ich wirklich einen Toten pflegen wollte. Wenn ich heute Freunden von dieser Zeit erzähle, halten sie das für bloße Storys. Manche ekeln sich. Aber ich habe einen unglaublichen Respekt vor Menschen, die in der Alten- oder Krankenpflege arbeiten.
Haben Sie in Ihren Mannschaften eher Kontakt gehalten zu Spielern mit einem ähnlich ungeraden Karriereweg?
Nein, man spricht in der Kabine eigentlich selten über den Werdegang. Und bei meinem Wechsel zum HSV war ich regelrecht eingeschüchtert. Ich kam aus der zweiten Liga in Freiburg zu einem Klub, bei dem mit Rafael van der Vaart oder Vincent Kompany richtig gestandene Spieler kickten. Da musste ich mir den Respekt verdienen und gleichzeitig meine Schüchternheit ablegen.
Wie verdient man sich Respekt in einer Mannschaft?
Natürlich zuerst durch Leistung, dann kommt das Zwischenmenschliche. Mitspieler haben generell einen Blick dafür, wenn jemand kein Spinner ist. Aber das Komische im Fußball ist auch, dass der größte Quatschkopf in der Hierarchie oben stehen kann, wenn er seine Leistung bringt. Wenn umgekehrt ein feiner Kerl nicht super spielt, hat er es schwer im internen Ranking.
Gibt es die viel beschworenen Teamabende noch?
In meiner Anfangszeit in Freiburg sind wir auch oft unter der Woche zusammen um die Häuser gezogen, später wurde das immer seltener. Da heißt es gleich: Ach, die konzentrieren sich nicht auf ihren Job. Dabei ist es so wichtig, auch mal den Kopf frei zu bekommen und sich mit dem Mitspieler über andere Themen als Fußball zu unterhalten. Ich bin mir sicher: Wenn du deinen Mitspieler auf diese Art besser kennen lernst, machst du auch auf dem Rasen die entscheidenden Meter für ihn. Doch dieser Teamspirit ist etwas verloren gegangen.