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Das immer noch groß­ar­tige Buch Oranje bril­lant“ von David Winner ging schon vor fast 20 Jahren dem neu­ro­ti­schen Genie des hol­län­di­schen Fuß­balls“ nach. Der eng­li­schen Autor inter­es­sierte sich dabei vor allem für den seiner Mei­nung nach beson­ders hoch­ent­wi­ckelten Sinn der Hol­länder für den Raum im Fuß­ball. Dabei kam er zu erstaun­li­chen Par­al­lelen. Etwa zum Pol­derbau, mit denen die Nie­der­länder dem Meer viel Land abge­trotzt haben. Polder ent­stehen dadurch, dass man Deiche baut und das Land dahinter tro­cken­legt, und irgendwie musste Jogi Löw das in den letzten Monaten auch in den Sinn gekommen sein, als das EM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel gegen die Nie­der­lande nahte. 

Keine Rede von Dei­chen

Jeden­falls ließ er, um sein von Manuel Neuer bewachtes Land tro­cken zu halten, einen Deich bauen. Mächtig sollte er sein, um den Stürmen in Oranje zu trotzen. Also bestallte er nicht zwei, son­dern drei Innen­ver­tei­diger und dazu zwei Außen­ver­tei­diger. Massig bauten sich Jona­than Tah, Mat­thias Ginter und Niclas Süle in der Zen­trale auf, außen hielten Lukas Klos­ter­mann und Nico Schulz die Wacht. Früher hätte man gesagt: Löw hatte Beton ange­rührt und ließ Kon­ter­fuß­ball spielen. Heute hin­gegen parkt man den Bus und setzt auf Umschalt­spiel.

Nun würde Löw rigide Defen­sive grund­sätz­lich bestreiten und tat es auch. Wir wollten das Zen­trum stark machen“, sagte er. Die Männer auf des Außen­bahn sollten gegen den Ball weit raus­rü­cken“. Über­haupt sei diese Fünfer-Abwehr gar keine gewesen, son­dern allen­falls eine pen­delnde“, was bedeu­teten sollte, dass nie fünf Mann zur gleiche Zeit die Kette bil­deten. Kein Bus nir­gends! Und keine Rede von Dei­chen.

Wie defensiv war Deutsch­land?

Nun ja, wer will mit dem Bun­des­trainer streiten, ob er sich wirk­lich in einen Deich­graf ver­wan­delt hatte, oder wie viel da wirk­lich gepen­delt oder raus­ge­rückt wurde. Aber man fühlte sich bei der 2:4‑Niederlage an Franz Becken­bauer erin­nert, der ange­sichts der Dar­bie­tungen ver­mut­lich gesagt hätte: Der Deut­sche ist kein Ita­liener.“ Wobei mit dem Ita­liener hier der Meister des Defen­siv­spiels gemeint ist, der den Bus völlig selbst­ver­ständ­lich vor seinem Tor fährt und das auch aus­hält. Denn das ist gar nicht so selbst­ver­ständ­lich.

Wenn du so lange hin­ter­her­läufst, wird es schwierig“, stellte Joshua Kim­mich in der Mixed Zone fest und sah dabei aus wie einer, der zu viel hin­ter­her­laufen musste. Zumal Kim­mich das auch gar nicht kennt, weil der FC Bayern immer die anderen hin­ter­her­laufen lässt. Was auch für die meisten seiner Mann­schafts­ka­me­raden gilt. Toni Kroos hat es bei Real Madrid beson­ders gut, wenn seine Mann­schaft aus­nahms­weise nicht am Ball ist, lässt er dort seine Mit­spieler hin­ter­her­laufen. Es war Kroos, der anmerkte, die deut­sche Mann­schaft hätte zuletzt gegen starke Gegner wie Frank­reich und schon in Hol­land weniger Ball­be­sitz gehabt. Es ist teil­weise so gewollt“, teilte er mit. 

Wan­kende Abwehr

Das ging auch eine Zeit lang gut, die 1:0‑Halbzeitführung ent­sprang einem ast­reinen Konter, und die Hol­länder rannten sich bis zur Pause an den Bus­türen die Nasen platt. Es gab noch ein paar mehr deut­sche Konter, die hübsch aus­sahen, doch mit zuneh­mender Spiel­zeit wurden die deut­schen Spieler müder, konnte das Mit­tel­feld die dau­er­hafte Unter­zahl nicht mehr kom­pen­sieren und bald wankten auch die mäch­tigen Männer vom Abwehr­deich. Irgend­wann wurden es ein paar Fehler zu viel“, fand Löw, was vor allem Jona­than Tah betraf und Mat­thias Ginter.

So hörte man irgend­wann nur noch die Gesänge der hol­län­di­schen Fans im Aus­wärts­block. Wobei das Heim­pu­blikum auch von einem ent­schlos­senen Mob aus Groß­as­pach nie­der­ge­sungen worden wäre, so komatös ver­folgte es über weite Stre­cken dem Spiel. Der schmei­chel­hafte deut­sche Zwi­schen­aus­gleich zum 2:2 ent­sprang einer wieder mal bizarren Aus­le­gung der Hand­spiel­regel, aber letzt­lich ließ sich das Team von Ronald Koeman nicht groß von der Zer­le­gung des inzwi­schen voll­ends über­for­derten deut­schen Geg­ners abhalten. Die Hol­länder spielten mit­rei­ßend offensiv, mit viel Tempo und Mut über die Flügel. Sie wollten den Ball und betrieben das Spiel voller Lust, es war ganz und gar hol­län­disch. 

Löw will seine Mann­schaft nicht über­for­dern

Es gab ja mal Zeiten, die gar nicht so irre lang her sind, in denen die deut­sche Mann­schaft die bes­sere hol­län­di­sche war. Aber gegen Hol­land war sie die schlech­tere ita­lie­ni­sche. Es mag schon in Ord­nung sein, dass Löw seiner jungen Mann­schaft gegen große Gegner nicht zu viel Ball­be­sitz und Spiel­ge­stal­tung auf­halsen will. Aber an diesem Abend ging das spek­ta­kulär in die Hose. Löw wollte das unter der Rubrik Gegner ein­ge­spielter“ und viele tech­ni­sche Fehler“, also quasi als einen schlechten Tag ver­bu­chen. Aber man wurde das Gefühl nicht los, dass er mit der tak­ti­schen Vor­gabe daran nicht ganz unschuldig war. Denn letzt­lich ist Löw trotz aller Espres­so­t­rin­kerei eben ein bes­serer Hol­länder als Ita­liener.