Wenn Gladbach deutscher Meister wird, will Podcast-Guru Tommi Schmitt von Köln nach Gladbach zu Fuß gehen. Ein Gespräch über die Borussia, den Doppelpass und missratenen Smalltalk mit Oliver Neuville.
Also alles eine Frage der Vermarktung?
Es ist ein schwieriges Thema, vielleicht dauert es einfach noch. Reine Eventisierung hilft aber auch nicht, da reicht ja ein Blick zu den Männern.
Zu viele Hashtags und Vermarktung beim DFB?
So einfach darf man es sich nicht machen. Wenn wir 2018 Weltmeister geworden wären, hätten bestimmt alle die Hashtags und den ganzen Kram cool und innovativ gefunden. Was meinen Sie, wie dem Oliver Bierhoff das Campo Bahia um die Ohren geflogen wäre, wenn wir 2014 in der Vorrunde rausgeflogen wären? Fußball wird halt immer von hinten erzählt. Immer vom Erfolg oder Misserfolg zurück zur Wurzel.
Was sollte sich jetzt ändern?
Im Master habe ich Kommunikationsmanagement studiert. Wäre ich darin jetzt Dozent, würde ich die DFB-Elf wahnsinnig gerne als Fallbeispiel untersuchen. Es gibt ja nicht die eine Antwort, warum die Nationalmannschaft aktuell kaum jemanden interessiert. Bierhoff hat zwar selbst zugegeben, dass sie medial etwas überdreht haben mit Presseterminen …
… oder angeleierten Choreographien auf den Rängen.
Natürlich ist das absurd. Es jetzt aber allein auf den Fanclub-Nationalmannschaft zu schieben, wird der Problematik nicht gerecht. Die Klatschpappen gibt es auch in England und Frankreich, da ist es stimmungstechnisch genauso schlimm. Habe ich alles schon erlebt. Die Engländer singen dreimal pro Spiel ihre Nationalhymne und dann sagen alle, die Stimmung wäre so toll. Das ist einfach nicht wahr.
Was könnte denn helfen?
Es ist wirklich ein spannendes Thema, denn unser Team ist eigentlich hochinteressant. Wir haben ja eine geile Offensive, eine coole junge Mannschaft. Aber die Stimmung bei den Heimspielen ist echt ein Problem. Da frage ich mich oft: Wie kriegen wir die Leute wieder dazu, im Stadion zu singen, anzufeuern, emotional dabei zu sein? Dafür bräuchte es dann ja quasi richtige „Deutschland-Fans“.
Die altbekannte Problematik.
Genau – man muss eben auch bedenken, welches Klientel man damit womöglich anzieht. Schwierig. Kleinere Stadien wären gut. Leider sind Stehplätze bislang nicht möglich. Die würden schon sehr helfen.
„Der dümmstmögliche Leser sollte nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein“
Spielt die Berichterstattung eine Rolle?
Ich wünsche mir tatsächlich etwas nachhaltigere Sportformate. Und eine andere Gewichtung der Schlagzeilen.
Eine andere Gewichtung?
Hm. Beispiel: Lucien Favre ist bislang der punktmäßig erfolgreichste BVB-Trainer der Geschichte. Diese Schlagzeile geht aber in Fußballtalkshows schnell unter, wenn er beim 1:1 nicht so euphorisch jubelt wie seine Vorgänger. Das ins Verhältnis zu setzen, ist doch Quatsch. Viel zu reißerisch.
Haben Sie Lösungsansätze?
Weniger Weißbier, weniger Sonntags, weniger 11 Uhr. (Lacht.) Aber mal im Ernst: Es reicht schon, sich nicht immer einen Wettlauf mit der SportBild um die geilste Überschrift zu liefern. Das ist jedoch in der heutigen Zeit viel verlangt. Es ist ja nicht nur in der Fußballberichterstattung so: Es geht halt um Klicks, das ist ein großes Problem.
Inwiefern?
Der dümmstmögliche Zuschauer oder Leser sollte nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein – genau das ist aber die Herangehensweise vieler Formate und Portale. Weil sie die Klicks brauchen. Die wollen dann wirklich alle abholen. Dass inzwischen auf irgendeiner Fußballseite die Frisur von Jadon Sancho achtmal so viele Likes bekommt wie eine Analyse seiner Spielweise, ist halt die Quittung.
Also braucht es mehr Tiefgang.
Es ist aktuell wirklich schwierig – verlierst du, wirst du negativ gesehen, gewinnst du, ist alles super. Dazwischen liegt eine Woche. Ob du aber durch ein Eigentor gewonnen oder im Negativfall zwei Elfmeter verschossen hast, interessiert dann kaum jemanden. Nur das Ergebnis zählt. Es geht nur um Schwarz und Weiß.
Die Gesellschaft verblödet?
Soweit würde ich jetzt nicht gehen. Aber wenn ich auf mein Handy schaue und ein Foto sehe, auf dem in Großbuchstaben „Ronaldo hat 200.000 Euro für Guten Zweck gespendet“ steht, versehen mit der Unterschrift: „Ein Like = Ein Respekt für Cristiano“, kriege ich diesen Eindruck häufig. Man kann die Mechanismen der heutigen Zeit jedoch auch ins Positive ummünzen.
Wie?
Christian Streich ist ein kluges Beispiel: Wenn der sich politisch äußert, werden seine Aussagen genauso geklickt wie ein Video, in dem sich Zlatan Ibrahimović an die Eier packt. Dafür muss allerdings eine gewisse intellektuelle Bereitschaft der Zuschauerschaft bestehen. Und es muss halt Christian Streich sein, den sehen die Leute gerne, weil er amüsant und anders ist.