Wenn Gladbach deutscher Meister wird, will Podcast-Guru Tommi Schmitt von Köln nach Gladbach zu Fuß gehen. Ein Gespräch über die Borussia, den Doppelpass und missratenen Smalltalk mit Oliver Neuville.
Sie selbst teilten auf Twitter kürzlich ein Foto von Marco Rose und schrieben, er sei zu hübsch für einen Gladbacher Trainer. Wer wäre denn hässlich genug?
Das will ich nicht beantworten! (Lacht.) Aber bei Marco Rose fällt mir schon auf, dass er neben seiner fachlichen Kompetenz viele Faktoren mitbringt, die einen modernen Trainer ausmachen.
Was denn?
Ich will jetzt keinen Leitfaden für den perfekten Trainer unseres Zeitalters erstellen, ich bin ja auch nur ein einfacher Fan.
Versuchen Sie es!
Na gut, zuerst einmal ist natürlich der eigene Auftritt wichtig. Marcus Thuram hat über Marco Rose gesagt, er fühle sich unter ihm so wohl, weil er wie einer von ihnen wirkt. Die Klamotten, die er trägt, die Schuhe die er anzieht. So banal das klingen mag, das macht bestimmt schon einen Unterschied aus bei den jungen Profis.
Was noch?
Generelle Empfänglichkeit für Interessen der Spieler. Es ist leider so, dass der durchschnittliche Bundesligaprofi nach dem Spiel sofort ein Foto von sich in den sozialen Medien hochladen wird. Das wirkt nach Niederlagen besonders unglücklich, ist aber schlicht der heutigen Zeit geschuldet. Wenn ein Trainer „vom alten Schlag“ den dann öffentlich zur Sau macht, kriegt er dafür meistens Lob – verprellt aber die Chance, weiterhin am Mannschaftsgefüge teilzuhaben.
Trainer sollen sich den Trends anpassen?
Natürlich müssen sie nicht die neusten Sneaker und verrückte Instagram-Stories parat haben. Aber Handlungsweisen nicht direkt abzulehnen, bloß weil sie selbst damit nichts anzufangen wissen, reicht oft schon. Am Wichtigsten ist aber eine andere Eigenschaft.
Welche denn?
Charisma. In der bereits erwähnten Zeit als Volontär wurde bei uns mal der Telekom-Cup ausgetragen. Als ich vor Spielbeginn die Aufstellungen für die Journalisten holen wollte, kamen auf einmal Lucien Favre, Pep Guardiola und Jürgen Klopp in den vier Quadratmeter großen Kopierraum, wahrscheinlich um sich noch kurz unbemerkt zu unterhalten. Was da für eine Charisma-Bombe im Raum geplatzt ist, war unglaublich!
Nun kann man von einem Trainer schlecht fordern …
… „hab mal mehr Charisma“, das stimmt. Aber allein lockeres und sympathisches Auftreten kann einem Verein große Image- und Aufmerksamkeitsgewinne bescheren. Hält Jürgen Klopp eine einfache Pressekonferenz ab, würde man ihm doch am liebsten ewig zuschauen.
Das Image verbessert sich auch, wenn es fußballerisch gut läuft.
Das spielt immer noch die größte Rolle, aber einem Typ wie Jürgen Klopp treten die Leute nicht missgünstig gegenüber. Er ist wahnsinnig erfolgreich, sehr wohlhabend und lebt in einer ganz anderen Welt – trotzdem wirkt er so, als ob er nichts lieber täte, als mit jedem Fan dieser Welt in der nächstbesten Eckkneipe ein Bier zu trinken und über Fußball zu schnacken. Vermutlich würden die Deutschen Kloppo sogar zum Bundeskanzler wählen. Das fasst sein Erfolgsrezept und auch die Probleme der Gesellschaft ganz gut zusammen.
„Natürlich gehören Fußball und Politik zusammen“
Welche Probleme meinen Sie?
Klingt bescheuert, aber Authentizität hat heutzutage fast schon einen zu hohen Stellenwert erreicht. Es zählt heutzutage oft nicht mehr das „was“, sondern nur noch das „wie“. Überspitzt: Da könnte man fast jemanden umbringen oder beknackte Dinge sagen – solange man dabei authentisch, nahbar oder „real“ wirkt, wäre es den Leuten egal.
Verlieren öffentliche Personen dadurch ihre Haltung?
Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen sich öffentlichkeitswirksam positionieren. Jedoch immer nur draufzuhauen und Fußballern vorzuhalten, warum sie nicht zu Thema X oder Problem Y Stellung bezogen haben, wird ihnen nicht gerecht. Das funktioniert ja auch nur, wenn der öffentliche Raum es zulässt.
Lässt er es inzwischen zu?
Er erweitert sich mit jedem Spieler, der mit dem Narrativ bricht, Fußball und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Natürlich gehören Fußball und Politik zusammen, der Fußball repräsentiert immer die Gesellschaft.
Diesem Vorwurf sind Sportler häufig ausgesetzt, sobald sie sich für Toleranz engagieren.
Und das zeigt ja schon, aus was für einer Ecke diese Äußerungen kommen. Sich für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus zu positionieren, ist nicht politisch. Das ist menschlich und logisch. Christoph Kramer hat in dieser Beziehung schon häufig Haltung bewiesen, vor allem Leon Goretzkas Aussagen gegen Rassismus haben mich sehr beeindruckt.
Was war an seinen Äußerungen so besonders?
Mit ihm hat sich die Spitze des deutschen Fußballs geäußert. Der spielt für Bayern, ist Leistungsträger in der Nationalmannschaft. Dazu kommt, dass er es ja gar nicht nötigt hatte. Niemand hätte nach der Rassismus-Debatte gefragt: „Warum hat sich Leon Goretzka eigentlich nicht dazu geäußert?“ Trotzdem hat er sich klar positioniert. Vermutlich musste er dafür sogar viel Gegenwind einstecken, in sein Postfach hätte ich danach nicht schauen wollen.
Bekommen Sie ähnliche Anfeindungen?
Wenn ich mich im Podcast gegen die AfD ausspreche, erhalte ich auch Drohnachrichten oder Beleidigungen – allerdings in einem viel geringeren Ausmaß als Personen, die dem tagtäglich ausgesetzt sind. In Niedersachen musste neulich ein Bürgermeister wegen rechter Hetze zurücktreten. Das zeigt doch, wie vergiftet das Klima ist. Neben Goretzka gibt es aber auch weitere Lichtblicke.
Was meinen Sie?
Das Outing von Thomas Hitzlsperger zum Beispiel. Eigentlich sollte es normal sein, trotzdem freut es mich ungemein, dass sich jemand auch im Fußball-Zirkus ohne öffentlichen Spießrutenlauf outen kann. Ich möchte natürlich niemanden dazu drängen, aber hoffe, dass es in Zukunft weitere selbstbewusste Spieler geben wird, die sich mit dem Rückhalt ihrer Mannschaft frei entfalten und ausleben können.
Glauben Sie, dass Fußballspieler das inzwischen ohne Sorge vor Diskriminierung tun können?
Gerade weil der Fußball die Gesellschaft abbildet, wird es in den Kurven auch immer ein paar homophobe Arschlöcher geben. Und genau dann liegt es am Rest des Stadions – genau wie sonst in der Gesellschaft – sich diesen Leuten in den Weg zu stellen. Denen muss man klar entgegenrufen: „Halt die Fresse, das ist ein Spieler von uns. Völlig egal, wen der liebt.“
Abschließend: Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass Gladbach nicht Meister werden sollte – wem würden Sie den Titel mehr gönnen: Bayern oder Leipzig?
Dann lieber den Bayern. Die Problematik in der Entstehungsgeschichte, Mitgliedersituation oder Fankultur bei Leipzig ist ja bekannt. Dazu ist alles gesagt. Ich empfinde einfach nichts, wenn ich an RB denke. Mir tut das fast schon leid.
RB tut ihnen Leid?
Ja, denn sie spielen ja einen tollen Fußball. Aber das, was ich am Fußball so liebe, das Drumherum und die Tradition, bedienen sie nicht. Deren Erfolge erinnern mich immer an die Kinder, die früher beim Computerspielen gecheated haben: Klar, du hast jetzt gewonnen, du hast gut gespielt – aber Applaus bekommst du dafür von mir nicht. Ich will dich noch nicht mal ärgern. Ich habe einfach keine Lust mehr, mit dir zu spielen. Als sie letztes Jahr im Pokalfinale standen, habe ich zum ersten Mal das Endspiel nicht gesehen. Hat mich nicht interessiert. Ich war Grillen. War auch gut.