Mit den „Invincibles“ schrieb Arsène Wenger Geschichte. 2004 gewann Arsenal die Premier League, ohne ein einziges Spiel zu verlieren. Für 11FREUNDE #228 haben wir den Großmeister zum ausführlichen Interview getroffen.
Arsenal 2003/04 – das war große Kunst und großer Erfolg. Heute ist die Ansicht weit verbreitet, der Erfolg schließe das schöne Spiel aus. Selbst Joachim Löw, der in einem 11FREUNDE-Interview einst postulierte: „Nur wer schön spielt, holt Titel“, scheint den Pragmatiker in sich entdeckt zu haben. Arsenals „Unbesiegbare“ waren beseelt von der Idee ihres Trainers, zusammengeschweißt für Wengers Visionen. „Wenn man so will, spielten wir Fantasy Football. Wir waren stark, wir schlugen alle und wir hatten die Möglichkeit, auf dem Platz Dinge auszuprobieren, die andere sich nicht trauten“, sagte der grandiose Mittelfeldspieler Robert Pires in einem Interview mit „French Football“ über diese Zeit. Ihre Entschlossenheit, ihre Nonchalance, ihre scheinbare Mühelosigkeit sahen manche Konkurrenten als Arroganz. Pires sagte: „Wir waren nicht arrogant, wir fühlten uns nur unbesiegbar.“
Lehmann spielt seine erste Saison bei Arsenal
Den Glauben an die Unbesiegbarkeit hatte ihnen Arsene Wenger implantiert. Schon in der Vorsaison war er es gewesen, der öffentlich von dem Ziel gesprochen hatte, eine ganze Saison ohne Niederlage durchzustehen. Das war – nicht nur verglichen mit heutiger „Wir-denken-von-Spiel-zu-Spiel“-Rhetorik – mindestens kühn. Doch während andere englische Teams wie das aus Russland alimentierte Chelsea mit dem dicken Geldkoffer in der Hand einkauften, vertraute Wenger auf sein bestehendes Gerüst.
Jens Lehmann kam aus Dortmund und war damit der einzige namhafte Neuzugang. In Wirklichkeit war er als Ersatz für David Seaman nur das wohl letzte fehlende Puzzleteil. Die Mannschaft stand: Sol Campbell, „the rock“, mit Kolo Toure in der Verteidigung, der flinke Ashley Cole auf außen, Patrick Vieira, der Leader, Fredrik Ljungberg, der elegante Robert Pires, der „Magier“ Dennis Bergkamp, der Vollstrecker Thierry Henry. Jeder Spieler war auf seine Weise groß, doch erst im Zusammenspiel mit den anderen genial. Es war wie bei „Ocean’s Eleven“, es war „Wenger’s Eleven“.
Die Mannschaft war fein aufeinander abgestimmt. Jens Lehmann erzählte der „Süddeutschen Zeitung“ damals, wie schwer es für neue Spieler sei, sich in diese Abläufe einzugliedern, die Philosophie zu verinnerlichen. „Jose Reyes, der mittlerweile sehr gut spielt, hat zwei Wochen gebraucht, bis er im Training mal eine Kombination mitmachen konnte“, sagte Lehmann.
Intelligenz beim Kontern
Bei Arsenal kamen die Spieler in der Defensive schnell hinter den Ball, bei eigenen Angriffen schwärmten sie alle aus. Manchmal in so unterschiedlichen Choreografien, dass sich keine gegnerische Abwehrreihe mehr zu helfen wusste. Henry ging auf links, zog dann nach innen, Bergkamp ließ sich zurückfallen, Pires stach aus dem Mittelfeld rein, wechselte zurück, wenn Cole über links vorrückte – es waren tausend kleine Fäden. Doch das Spiel griff, weil die Qualität der Spieler derart hoch war. Und weil jeder Einzelne bereit war, in den Raum des anderen zu laufen. Nahezu in jeder Situation hatte der Ballführende eine Anspielmöglichkeit. Arsenal bewies, dass der Pass nicht vom Passgeber, sondern vom Lauf des Mitspielers bestimmt wird. Mehr noch: Sie liefen nicht nur mit, sie dachten mit.
Thierry Henry sagte 2004 in einem Interview mit der „FAZ“: „Wenn wir auf unserer rechten Seite angegriffen werden und ich stehe auf der linken, dann werde ich allein sein, isoliert, wenn wir den Ball gewonnen haben. Also verlagere ich mich, sorge dafür, dass ich gut stehe für den Gegenangriff. Wenn der Ball dann kommt, sehe ich das ganze Spiel vor mir. Ich sehe die Laufwege, die Passwege, den möglichen Abschluss, alles. Ich weiß meistens intuitiv, wie meine Mitspieler sich bewegen.“
Schönes Spiel, hässliche Momente
Arsene Wenger sagte dieser Tage in einem Interview mit der Buchautorin Amy Lawrence: „Wenn man sich den Erfolg dieser Mannschaft anschaut, muss man auch eines feststellen: Die Jungs waren intelligent.“ Gerade daher mag es überraschen, wie eruptiv und aggressiv diese Truppe von smarten Spielern mit diesem feingliedrigen, philosophischen Trainer sein konnte. Sie spielte schön, doch es gab hässliche Momente wie die Auseinandersetzungen mit Uniteds Ruud van Nistelrooy.
Am 24. Oktober 2004 endete Arsenals beeindruckende Serie mit einer Niederlage gegen Manchester United, im „Battle of The Buffet“ wurde Manchesters Trainer Alex Ferguson mit Pizza beworfen. Arsenals Spieler waren an diesem Tag keine geübten, vielleicht deswegen keine edlen Verlierer.
Auch untereinander verschonten sich die Spieler nicht. Wenger sagte über seine Mannschaft: „Sie alle waren starke Persönlichkeiten, in der Kabine war es nicht immer leicht.“ Im Prinzip waren diese Spieler wie Wenger. Beseelt von diesem Team und bis in die Haarspitzen überzeugt von der Spielidee. Sie waren Besessene.
Nach dem 2:2 gegen Tottenham sicherte sich Arsenal die Meisterschaft, vier Spiele standen in der Saison noch aus. Der Titel war fast egal, sie wollten den Rekord. Wenger sprach zu den Spielern: „Wir sind zwar Meister, schön und gut. Doch jetzt will ich, dass ihr unsterblich werdet.“