Die Zeit, als Brasilianer bei Bayer zauberten, schien vorbei – bis ein 21-Jähriger mit Fresh-Prince-Frisur und Pelé-Hommage im Namen auftauchte: Wendell Nascimento Borges.
Wenn man Fußballfans in Südostasien oder Afrika nach ihren Lieblingsklubs fragt, schwärmen sie für gewöhnlich von Real Madrid, Barcelona, Arsenal oder Manchester United. Gelegentlich sieht man auch Straßenverkäufer, die Dortmund- oder Bayern-Trikots anbieten. Doch Bayer 04 Leverkusen? Ach ja, die waren mal Zweiter. Im Champions-League-Finale, in der Meisterschaft. Michael Ballack spielte mal dort. Dimitar Berbatov auch. Tolle Spieler. Aber ein Trikot? Nehmen Sie doch eines vom FC Liverpool. Das ist auch rot.
In Brasilien ist das ganz anders. Das jedenfalls behauptet der 21-jährige Wendell Nascimento Borges. Dort schwärmten die Kids vom Werksklub, dort gibt es sogar das Sprichwort „Bayer é bom“ – alles was von Bayer kommt, ist gut. „Leverkusen genießt in Brasilien einen exzellenten Ruf“, sagte der neue Außenverteidiger, als er im Juli 2014 der Presse vorgestellt wurde. Er ist der 21. Brasilianer im Dress von Bayer Leverkusen.
Am Anfang war der „Mann mit dem Geldkoffer“
Der Schlüssel zu allem, da sind sich alle einig, war Milton Queiroz da Paixão, kurz: Tita. Der quirlige Offensivspieler wechselte 1987 von CR Vasco da Gama als erster Brasilianer nach Leverkusen. Er spielte grandiosen Fußball und gewann mit der Mannschaft 1988 den Uefa-Cup. Die imposante Erscheinung, die zuvor den Schlüssel gefunden hatte, nannten sie in Brasilien bald ehrfürchtig den „Mann mit dem Geldkoffer“. In Deutschland war er bekannt als Reiner Calmund.
Im Frühjahr 1987 saß er beim Abschiedsspiel für die Klublegende Raúl im Estádio São Januário, dem Stadion von Vasco da Gama, und staunte nicht schlecht, als sich eben jener Tita selbst von den ganz Großen nichts sagen ließ. „Er war nicht bereit, seine Nummer 10 für Zico abzulegen, also spielten ausnahmsweise beide mit der Nummer“, sagte Calmund einmal in einem Interview mit 11freunde.de.
In den folgenden Jahren reiste Calmund immer wieder nach Südamerika und intensivierte seine Beziehung zum Spielerberater Juan Figer. Mal kehrte er mit Spielern heim, die eine Ära prägen sollten, mit Jorginho, Paulo Sergio, Lucio, Emerson oder Zé Roberto. Seltener griff er daneben und brachte Spieler wie Ramon Hubner oder Rodrigo Chagas mit.
Wer waren noch mal Carlinhos und Athirson?
Im Sommer 2004 gab Calmund seinen Rücktritt bekannt, und man musste in der Folge ein wenig den Eindruck gewinnen, dass es doch nicht immer so einfach war, gute Brasilianer nach Leverkusen zu locken. Zwar kam 2008 noch Renato Augusto, Strahlkraft eines Lucio oder Zé Roberto hatte er aber nicht. Und wer waren überhaupt Carlinhos oder Athirson?
Calmund beobachtete die Entwicklung nunmehr aus sicherer Entfernung, mal aus Thailand, mal aus den Studios des Privatfernsehens. „Brasilianer sind immer teurer und schwerer zu finanzieren“, sagte er in einem Interview mit der ARD.
Im Frühjahr 2014 ging es trotzdem sehr schnell. Dieses Mal brauchte es zwar auch einen Mann mit dem Geldkoffer, doch wichtiger soll das Werben von Zé Roberto gewesen sein. Wendell hatte den ehemaligen Bayer-Brasilianer, mit dem er bei Porto Alegre noch zusammengespielt hatte, angerufen und dieser empfahl den Werksklub und Deutschland in höchsten Tönen. Im Februar 2014 nutzte Leverkusen eine wenige Tage später auslaufende Ausstiegsklausel, um den Brasilianer für 6,5 Millionen Euro zu verpflichten.
Die „große Tradition der brasilianischen Topspieler“
„Wendell ist für Bayer Leverkusen ein wichtiger Transfer im Rahmen unserer langfristigen Strategie. Wendell passt genau in unser Planungs-Schema und deshalb haben wir den Vertrag bereits jetzt unter Dach und Fach gebracht“, sagte Bayer-Geschäftsführer Michael Schade zur Vertragsunterzeichnung. Und Rudi Völler befand, dass Wendell ein „sehr großes Talent“ sei. Der Spieler könnte die „große Tradition der brasilianischen Topspieler bei Bayer fortsetzen“.
Doch der Start verlief holprig. Am vierten Spieltag bestritt Wendell sein Debüt, das Kopfzerbrechen bereitete. Der Spieler hüpfte am vierten Spieltag verloren auf der Außenbahn hin und her, und Bayer verlor 1:4 gegen Wolfsburg. Das kommende Spiel durfte er 89 Minuten von der Bank aus betrachten. In den folgenden Wochen lief es besser, aber so richtig wollte der Turbo nicht zünden.