Schalke ist schon draußen? Von wegen! 2011 kegelten die Knappen den amtierenden Champions-League-Sieger sensationell aus dem Wettbewerb.
Die erste Woche auf Schalke war wie ein riesiges Feuerwerk. Eine Explosion, so wunderschön und zugleich so brutal, dass man an ihr scheitern musste.
Ralf Rangnick, der Rückkehrer, weilte gerade mal vier Tage im Amt, da hatte er schon einen Spielabbruch in Hamburg und ein Wunder in Mailand hinter sich. Danach: das Halbfinale gegen Manchester United, das Zittern zum Klassenerhalt und die Scherben der Post-Magath-Ära. Zum Durchatmen blieb kaum Zeit.
Aber langsam, und der Reihe nach.
Es war der 15. März 2011, als Ralf Rangnick vor dem Fernseher saß und das Champions-League-Achtelfinale der Bayern gegen Inter Mailand verfolgte. Die Deutschen hatten das Hinspiel in Italien mit 1:0 gewonnen und führten zur Halbzeit verdient mit 2:1. Doch dann stellte Inter die Partie auf den Kopf und gewann 3:2.
Später erzählte Rangnick, dass es ein gewöhnlicher Fernsehabend werden sollte. Er hatte weder Stift noch Zettel bei sich, er saß einfach auf dem Sofa und wollte ein bisschen Fußball schauen. Doch dann machte er sich doch wieder Gedanken – vor allem wunderte er sich über die durchlässigen Defensivreihen der beiden Vorjahresfinalisten. Wie konnte eine Topmannschaft wie der FC Bayern eine 1:0- und 2:1‑Führung so fahrlässig aus der Hand geben?
Schalke – die unvollendete Liebe
Rangnick wollte eigentlich erst im Sommer auf die Trainerbank zurückkehren, doch irgendwas reizte ihn jetzt schon. Vielleicht war es seine alte Liebe zum FC Schalke, der Wunsch, seine Mission weiterzuführen, die Ende 2005 unvollendet geblieben war. Vielleicht war es die Hoffnung, im Viertelfinale gegen Inter Mailand zu spielen. Später sagte er jedenfalls: „Irgendwie ahnte ich, dass es so kommt.“
Wenige Tage später sitzt Rangnick aber erst einmal am Hamburger Millerntor auf der Trainerbank. Der FC Schalke steckt in der Liga im Abstiegskampf und braucht jeden Punkt. Auf St. Pauli schießen Raul und Julian Draxler die Schalker zu einem 2:0‑Sieg, in der 87. Minute wird das Spiel abgebrochen, weil ein St.Pauli-Fan dem Schiedsrichterassistenten Thorsten Schiffner einen vollen Bierbecher an den Kopf wirft. Danach: große Aufregung, viele Diskussionen, hitzige Debatten in der Presse, viele Fragen. So etwas kann Rangnick jetzt überhaupt nicht gebrauchen. In vier Tagen geht es schließlich nach Mailand: Inter, der Vorjahressieger, der Triple-Sieger, empfängt die kriselnden Knappen. 80.000 Zuschauer im Guiseppe-Meazza-Stadion erwarten eine leidige Pflichtaufgabe, einen Sieg im Vorbeigehen, bevor ihnen die Champions League im Halbfinale und Finale endlich wieder den echten Glamour beschert.
„Erst einmal begreifen, was hier gelaufen ist“
Gut, Raul ist den Inter-Fans ein Begriff. Vielleicht auch Manuel Neuer. Aber wer sind Alexander Baumjohann, Joel Matip oder Hans Sarpei? In der italienischen Presse kann man über die Erfolge der beiden Trainer lesen. Bei Leonardo prangen die Triumphe seiner aktiven Karriere: Italienischer Meister, Italienischer Pokalsieger, Weltmeister, Copa America oder Weltpokal. Bei Rangnick steht: zwei Aufstiege als Spielertrainer der Bezirksliga des FC Viktoria Backnang, danach als Trainer Erfolge in Ulm und Hoffenheim. Als Schiedsrichter Martin Atkinson die Partie am 5. April 2011 um 20.45 Uhr anpfeift, rätseln die meisten Inter-Fans vermutlich nur über die Höhe des Sieges.
90 Minuten später japst Joel Matip in die Mikrofone: „Ich muss erst einmal begreifen, was hier gelaufen ist.“
Ja, was ist hier gelaufen?
Zunächst läuft alles nach Plan. Zumindest aus Mailänder Sicht. Dejan Stankovic bringt Inter schon nach 27 Sekunden mit einem 50-Meter-Lob in Führung. Es ist der Auftakt zu einem Thriller, dessen Klimax die Italiener gänzlich anders im Drehbuch stehen hatten.
In der 17. Minute fußspitzt Joel Matip den Ball aus dem Gewühl ins Tor. Es folgt wieder Inter, Diego Milito schießt in der 33. Minute das 2:1. Sieben Minuten später wieder Schalke, diesmal egalisiert Edu mit einer Art Sprunggrätsche. 2:2 zur Halbzeit, ein Ergebnis wie ein versehentlich schief hängendes Bild, das man in der zweiten Hälfte schon wieder geraderücken wird. Denkt man jedenfalls in Mailand.