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Wenn heute Abend Deutsch­land gegen Argen­ti­nien spielt, muss ich an den Sommer 1990 denken. Ich saß im Wohn­zimmer meiner Eltern. Wir schauten zusammen das WM-Finale. Die gesamte Familie saß vor dem Fern­seh­gerät und fie­berte mit der Natio­nalelf. Die Anspan­nung war groß. Mein Bruder kom­men­tierte für uns das Spiel, sprang ab und an vom Stuhl und ges­ti­ku­lierte wild. Ich sagte nicht viel, son­dern war kon­zen­triert, als würde ich selbst spielen. Viel­leicht war ich aber auch nur nervös, denn das wahre High­light sollte erst noch folgen.

24 Jahre später hielt sich meine Auf­re­gung in Grenzen. Wieder spielte Deutsch­land gegen Argen­ti­nien im WM-Finale, aber meine Fuß­bal­ler­lauf­bahn war zu Ende. Einige der WM-Fina­listen sind ehe­ma­lige Kol­legen. Ich saß vor dem Fern­seher und ver­folgte ent­spannt das Finale. In dem Moment, als Mario Götze den Ball in die Maschen drosch, sprangen wir alle von den Stühlen auf. Nun ja, fast alle. Aus­ge­rechnet am Finaltag fei­erte eine argen­ti­ni­sche Freundin von mir Geburtstag. Die Sitz­auf­tei­lung im Wohn­zimmer glich in etwa der im Sta­dion. Ich saß auf der Haupt­tri­büne, umgeben von Men­schen, die sich ent­weder nicht für Fuß­ball inter­es­sierten, oder die ich zum ersten Mal gesehen hatte.

Götze bringt nichts

Die deut­sche Kurve war leicht in der Über­zahl. Die argen­ti­ni­sche bestand aus der Gast­ge­berin und einigen argen­ti­ni­schen Freunden. Ein paar WM-Fans setzten sich zu mir und stellten Fragen, wie sie mir in letzter Zeit oft gestellt werden: Ist man bei so einem Spiel nervös?“ Warum singen die nicht die Natio­nal­hymne?“, oder Bist Du ent­täuscht, dass Du nicht dabei bist?“. Es war das WM-Finale, ich beant­wor­tete Fragen und schaute gleich­zeitig auf den Fern­seher.

Wäh­rend der Welt­meis­ter­schaft war ich für das ZDF-Mor­gen­ma­gazin als Experte tätig. Ich war es gewohnt, Fragen der Fans zu beant­worten und tat dies geduldig bis zum Abpfiff des Finales. Ich musste aber nicht nur Fan­fragen beant­worten, son­dern auch Vor­her­sagen treffen. Die Auf­stel­lung der deut­schen Mann­schaft konnte ich anfangs treff­si­cher vor­her­sagen. Im Vier­tel­fi­nale wollte ich Götze ins Mit­tel­feld stellen. Die Fern­seh­zu­schauer waren damit nicht ein­ver­standen: Götze bringe nichts, schlechte Saison bei Bayern Mün­chen, der helfe der Mann­schaft nicht weiter. Lieber Klose, so die Mei­nung vieler Fans. Löw sah es genauso und lies den Bayern auf der Bank.

Um die Spiele in Ruhe sehen zu können, saß ich meis­tens auf meinem Hotel­zimmer und stu­dierte die Begeg­nungen, als müsste ich Jogi Löw ein Dos­sier über den nächsten Gegner prä­sen­tieren. Public Vie­wing war meine Sache nicht. Auf­fal­lend war die Inten­sität der Par­tien. Obwohl im Vor­feld häufig die Rede von den extremen kli­ma­ti­schen Bedin­gungen war, rannten die Spieler von der ersten bis zur letzten Minute. Es fielen mehr Tore als je zuvor bei einer WM. Tak­tieren war nicht ange­sagt, es wurde atta­ckiert.

Ohne Public Vie­wing ging für mich die WM den­noch nicht zu Ende. Als die Natio­nalelf den Fans in Berlin den WM-Pokal prä­sen­tierte, stand ich unweit der Bühne, mit dem Mikrofon in der Hand, und kom­men­tierte die Party für das ZDF. Aus der Party wurde Gaucho-Gate“. Die Argen­ti­nier haben die Jubel­feier der deut­schen Mann­schaft teil­weise kri­ti­siert. Ob sie sich heute noch daran erin­nern werden? Ich denke nicht.

Erin­ne­rungen Por­tugal – Deutsch­land

Heute Abend wird das also ver­mut­lich keine Rolle mehr spielen. An einer Revanche sind die Argen­ti­nier wenig inter­es­siert. Im Vor­der­grund werden die Ereig­nisse abseits des Platzes stehen. Die Ver­ab­schie­dung der zurück­ge­treten Natio­nal­spieler Lahm, Mer­te­sa­cker und Klose. Wie üblich, spielen sich rund um ein der­ar­tiges Län­der­spiel viele Dinge ab, die die Zuschauer nicht mit­be­kommen, die aber das Leben ein­zelner ein­schnei­dend ver­än­dern können. Wie bei mir vor 24 Jahren. Viel­leicht wird auch diesmal ein Nach­wuchs­spieler neben dem Rasen stehen, der von der großen Kar­riere träumt, wie ich es damals getan habe. Ich denke an die Partie Por­tugal gegen Deutsch­land im August 1990.

Als Gewinner eines Talent­wett­be­werbs durfte ich mit der Welt­meister-Elf nach Lis­sabon zum ersten Län­der­spiel unter Berti Vogts reisen. Ich war beim Trai­ning dabei und sam­melte die Bälle von Klins­mann und Co. ein. Ich durfte sogar mit der Mann­schaft im Team­hotel Mittag essen. Ich wollte unbe­dingt ein Foto mit Lothar Mat­thäus. Wenn ich mir heute das Bild anschaue, ärgere ich mich immer noch über den Foto­grafen. Wäh­rend Lothar in die Kamera grinste, schaute ich auf den Boden. Er hat´s ver­bockt. Ich werde die Reise den­noch nie ver­gessen. Das erste Test­län­der­spiel nach dem Titel­ge­winn war für mich bedeu­tender als die gesamte WM. Wer das heute Abend wohl von sich behaupten kann?