Der Fanverein AFC Wimbledon ist in die League One aufgestiegen – dank eines Stürmers, der eigentlich nicht gemacht ist für den Profifußball.
Wunder gibt es immer wieder, und in England gibt es sie sogar ziemlich häufig. Zumindest wenn man Fan des AFC Wimbledon ist.
Dabei klingt der Anfang, nüchtern betrachtet, gar nicht so atemberaubend. Der AFC Wimbledon ist am Montag in die League One aufgestiegen, Englands dritthöchste Spielklasse. Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, woher der Klub kommt, ist das ein beinahe größeres Wunder als die Meisterschaft von Leicester City.
Es ist eine Geschichte von jungen wilden Spielern, von enthusiastischen Fans, von enttäuschter Liebe, von Rache und Stolz.
Man kann sie in epischer Länge erzählen. Man kann zurückgehen in die Geschichte des Klubs, die glorreiche Vergangenheit des FC Wimbledon, der FA-Cup-Gewinn 1988, die Crazy Gang, die Ritter des Wahnsinns, Vinnie Jones, der auf den Rasen lief und schrie: „Let’s fucking kill them!“.
In 11FREUNDE SPEZIAL London: Die Geschichte des FC Wimbledon »
Man kann von 2002 erzählen, vom Umzug ins 100 Kilometer entfernte Milton Keynes, in diese unwirkliche Retortenstadt, die wirkt, als habe sie jemand aus einem Katalog für „Wohnen in der Zukunft“ ausgeschnitten.
Man kann von all den langjährigen Anhängern aus London schreiben, die auf einmal ohne Verein dastanden und nun ihren alten Verein unter einem leicht modifizierten Namen neu gründeten: AFC Wimbledon. Die mit 5000 Leuten zu Heimspielen in der neunten Liga tingelten. Die Castings mit über 100 potenziellen Spielern für das erste Teams durchführten. Von den anderen Fanvereinen, die sich nach ihrem Vorbild gründeten, von Austria Salzburg, vom HFC Falke aus Hamburg, vom FC United of Manchester.
Eine einzige endlose Heldengeschichte
Man kann von all den Aufstiegen berichten, Seagrave Haulage Premier Division, Isthmian League Premier Division, Conference South, Conference National und so weiter. Vom 21. Mai 2011, als Wimbledon im Elfmeterschießen gegen Luton gewann und neun Jahre nach der Neugründung in den Profifußball zurückkehrte.
Es ist alles eine einzige endlose Heldengeschichte, und es ist alles hunderte Male erzählt worden.
Vielleicht reicht es diesmal, da Wimbledon nach einem 2:0 gegen Plymouth Argyle in die Dritte Liga aufgestiegen ist, die Geschichte von Adebayo Akinfenwa Revue passieren zu lassen.
Dieser Akinfenwa, 1,80 Meter groß, 108 Kilogramm schwer, spielt seit 2014 beim AFC Wimbledon. Und eigentlich ist das schon ein kleines Wunder.
„Willst du dich von diesen Idioten einschüchtern lassen?“
Denn viele Jahre glaubte ihm niemand, dass er mit seinem Amboss-Körper überhaupt einen Ball geradeaus schießen könnte. Mit 18 wurde er beim FC Watford aussortiert, weil er zu behäbig, zu massiv und zu langsam war. Akinfenwa wechselte zum FK Atlantas in die zweite litauische Liga. Er war einer der wenigen Schwarzen in der Stadt, und die Fans stimmten Affenrufe an, wenn er am Ball war.
Als ihn eines Tages ein Mädchen mit dem Hitlergruß auf dem Trainingsgelände begrüßte, packte er seine Koffer. Aber sein Bruder fragte: „Willst du dich von diesen Idioten einschüchtern lassen?“ Akinfenwa blieb, holte den nationalen Pokal und schwor sich, nie wieder kleinbeizugeben. Er wollte sich wehren, er wurde wie Hulk, und wenn er den Platz betrat, legte er den Schalter auf „Beast Mode“ um.
Akinfenwa wurde in England zu einem, den man Kultspieler nennt. Einer, der weiterhin ungläubig gefragt wurde, wenn er erzählte, dass er Profifußballer ist. Seine Lieblingsgeschichte ist die einer Polizeikontrolle, bei der ihm der Beamte fragte, was er beruflich mache. Akinfenwa sagte: „I’m a footballer.“ Der Mann grinste und sagte: „Der letzte Super Bowl war klasse.“
Dabei hat er als Fußballer wirklich was drauf. Er, der Sturmtank aus Islington, schoss Tore für den FC Gillingham, Swansea City, Torquay United. Besonders gut spielte er bei Nothampton Town, für die er in 168 Spielen 72 Treffer erzielte.
„Who ate all the pies?“ Wer hat die Kuchen aufgegessen?
Die gegnerischen Anhänger verspotteten ihn, sie sangen dieselben Lieder , die ihre Vorfahren schon für den dicksten Fußballer aller Zeiten, William Henry „Fatty“ Foulke, gesungen hatten: „Who ate all the pies?“ Wer hat all die Kuchen aufgegessen?
Die Fans in Wimbledon liebten ihn vom ersten Tag. Er war einer, der ganz offenbar nicht der Fußballnorm entsprach. Er war ein Außenseiter. Er war wie sie. Also kauften sie Shirts, die er selbst produziert hatte mit Slogans wie „Too big to play“ oder „Beast Mode“.
Am Montag im Playoffspiel gegen Plymouth Argyle wurde Akinfenwa in der 75. Minute eingewechselt. Ein Raunen ging durchs Wembley-Stadion, in das über 55.000 Zuschauer gekommen waren. Zwei Minuten später holte Akinfenwa die Ecke raus, die das 1:0 nach sich zog. In der Nachspielzeit machte er das Tor zum 2:0. Schon im Playoff-Halbfinale gegen Accrington Stanley FC hatte er einen wichtigen Treffer erzielt.
Der AFC Wimbledon ist zurück in der League One, und wie es der Fußballgott so will, spielt das Team in der kommenden Saison gegen die MK Dons, die in der abgelaufenen Spielzeit aus der Championship abgestiegen sind.
Wer hat einen Job für Akinfenwa?
Nach dem Sieg gegen Plymouth gab Akinfenwa ein Interview, das man sich gar nicht oft genug anschauen kann. Es umfasst alles, was diesen Klub ausmacht. Der Koloss steht da mit dem „Beast-Mode“-Shirt, schweißgebadet vom Spiel und Jubeln.
Er sagt: „Daraus sind Träume gemacht.“ Er schickt ein Jobgesuch raus: „Liebe Trainer, ich habe nun keinen Vertrag mehr. Wenn ihr also einen Stürmer sucht, schickt mir eine Nachricht über Whats App.“ Und kurz verwandelt er sich noch mal in einen Motivationscoach US-amerikanischer Prägung. Im Beast-Mode-Sprech sagt er: „Jeder kann es schaffen. Jeder! All die Leute, die gesagt haben, ich sei zu dick für Fußball, come on now – ha, ha!“
Akinfenwa ist mittlerweile 34 Jahre alt. Dass er nächste Saison ohne Profiklub dasteht, mag man sich kaum vorstellen. Ein bisschen Wunder hat jedenfalls noch keinem Team geschadet.