Heute wird einer der größten polnischen Spieler aller Zeiten 70 Jahre alt – Grzegorz Lato. Ob er Weltmeister wäre, wenn an einem Julitag 1974 die Sonne geschienen hätte?
Am 17. Oktober 1973 brauchte Polen vor 100.000 Zuschauern im Wembleystadion von London ein Unentschieden gegen England, um sich für die WM zu qualifizieren. Fast eine Stunde lang war es eine einzige Abwehrschlacht, dann spielte Kasperczak einen etwas zu langen Pass auf Lato. Englands Norman Hunter kam vor dem Polen an den Ball, doch Lato spitzelte ihm das Leder weg und war plötzlich am linken Flügel auf und davon. Er zog nach innen und legte quer zu Domarski, dessen Schuss Peter Shilton durch die Hände rutschte. England 0, Stal Mielec 1.
Und so fuhren die Polen nach Westdeutschland, wo sie die Favoriten gleich reihenweise besiegten: Brasilien, Argentinien und – als beiden Teams ein Unentschieden gereicht hätte, um die Vorrunde zu überstehen, – sogar das hoch eingeschätzte Italien. (Es gibt Hinweise drauf, dass die italienischen Spieler, die pro Kopf 30.000 Dollar fürs Weiterkommen erhalten hätten, dem Gegner zehn Prozent ihrer Prämie für ein Remis boten. Offenbar gingen die Polen nicht darauf ein.) Dann kam die Wasserschlacht. „Ich bin sicher, dass wir ohne diese Umstände nicht gewonnen hätten“, sagte Breitner 2007. „Die Polen waren damals eine Mannschaft, die ähnlich perfekt aufgebaut und perfekt strukturiert war wie unsere Nationalmannschaft 1972. Diese perfekte Mischung ergab eine Harmonie, die einen Fußball produzierte, der fantastisch war.“
Nach dem Turnier bekamen viele Polen Angebote aus aller Welt. Der FC Bayern wollte Gadocha, Lato wurde bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres Sechster und hätte sich einen Verein im Westen aussuchen können. Doch polnische Fußballer durften erst nach ihrem 30. Geburtstag ins Ausland gehen. Das hatte zumindest den Vorteil, dass die Goldene Generation zusammenblieb. Bei Olympia 1976 holten die Polen Silber (Lato traf im Finale gegen die DDR), zwei Jahre später hatten sie in Argentinien zwar bis zum Schluss noch die Chance aufs Finale, doch man merkte schon, dass die große Elf in die Jahre gekommen war.
Im Sommer 1980, wenige Monate nach seinem 30. Geburtstag, wechselte Lato zum belgischen Klub Sporting Lokeren. Er führte den Klub zum größten Erfolg seiner Geschichte, der Vizemeisterschaft, und wurde dafür zum zweiten Mal (und als erster Auslandsprofi) Polens Fußballer des Jahres. Später spielte er noch in Mexiko und Kanada, bevor er in die Heimat zurückkehrte. Die Zeit nach der aktiven Karriere hat Latos Ruf allerdings eher geschadet. Ein Ausflug in die Politik (für die sozialdemokratische SLD) war ebenso wenig erfolgreich wie seine Zeit als Präsident des nationalen Fußballverbandes. Die meisten Polen verbinden jene vier Jahre mit vielen unglücklichen Auftritten – so entließ er Nationaltrainer Leo Beenhakker vor laufender Kamera, während der Holländer sich in Hörweite befand, aber natürlich nicht verstehen konnte, was Lato da auf Polnisch sagte, – sowie der völlig verpatzten Heim-EM 2012.
Doch als Spieler bleibt Lato auf ewig einer der großen Fußballhelden seines Landes. Übrigens ist er bis heute anderer Meinung als Breitner. Jedenfalls zum Teil. Vor einige Jahren sagte er „Przeglad Sportowy“, einer polnischen Sportzeitung: „Was mich angeht, so hatten die Westdeutschen damals keine besonders starke Mannschaft. Es war kein Zufall, dass sie gegen die DDR verloren und in ihrer Gruppe nur Zweiter wurden.“ Doch er fügte hinzu: „Doch selbst wenn wir sie geschlagen hätten, wären wir nicht Weltmeister geworden. Meiner Meinung nach hatten die Niederländer 1974 die beste Elf. Nicht Polen.“