David Wagner hat einem gefrusteten Knappen-Kader neues Selbstbewusstsein eingehaucht. Beim Sieg in Leipzig beweist der FC Schalke 04, dass er genug Mentalität besitzt, um an der Tabellenspitze ein Wort mitzureden.
Wenn Kölle ‘ne Jeföhl is und der BVB echte Liebe, ist Schalke 04 eine Panikattacke. Königsblau gibt sich oft berauscht von der eigenen Bedeutungsschwere, die sich auf Werte gründet, die selbst im Epizentrum des Potts eigentlich als überholt gelten. In Gelsenkirchen wundern sie sich dennoch ständig über die Unberechenbarkeit des Glücks und suhlen sich im Selbstmitleid, so dass die innere Verkrampfung irgendwann wieder zum Kollaps führt.
Schalke ist die Überraschungsmannschaft
So zuletzt geschehen, als der zum Inbegriff des Malochercoachs hochgejazzte Domenico Tedesco einen Champions-League-Kader mit Fußball zum Abgewöhnen beinahe in die Zweitklassigkeit gepusht hätte.
Am Samstag zeigte sich jedoch, dass eine deprimierende, aber eindeutige Diagnose manchmal besser ist als romantische Gefühlsduselei. Während sich die Sportjournaille in Ermangelung anderer Aufregerthemen im Bundesligaalltag in die Frage verbeißt, ob dem Kader des Reviernachbarn aus Dortmund womöglich die Siegermentalität abgeht, besinnt sich der FC Schalke 04 aufs Wesentliche, bekämpft die Ursachen der Befunde und avanciert zur Überraschungsmannschaft der Stunde.
Selbst David Wagner ist begeistert
Die zweitbeste Laufleistung seit Beginn der Datenaufzeichnung im Ligabetrieb lieferten die Eleven von David Wagner am Samstagnachmittag in Leipzig. 124,5 Kilometer liefen die Gelsenkirchener Spieler, so dass der Coach am Ende glaubte, Dämonen in ihren Gesichtern zu erkennen: „In den letzten fünf Minuten kam den Jungs das Laktat aus den Augen“, sagte Wagner, „das sind Laktat-Junkies.“ Und als hätte das nicht schon gereicht: „Für solche Nachmittage wurde das Wort Stolz erfunden.“ Wer den Trainer kennt, weiß, dass er nicht unbedingt zu Superlativen oder Pathos neigt. Doch offenbar war auch Wagner von der Kompromisslosigkeit und Opferbereitschaft der Spieler derart überrascht, dass er in seiner Rhetorik für einen Moment verrutschte.
Bei anderen Klubs würde sich an dieser Stelle nun eine Eloge auf die clevere Einkaufspolitik anschließen. Wie es Sportvorstand Jochen Schneider, dem Technischen Direktor Michael Reschke und Wagner gelungen sei, mit ruhiger Hand ein neues Spitzenteam zu zimmern. Doch die größte Überraschung am Erfolg von Schalke 04 (13 Punkte aus sechs Spielen, Platz vier in der Tabelle, ein Punkt Rückstand auf Tabellenführer FC Bayern) zu Beginn der Saison 2019/20 ist, dass er von einer Elf erreicht wurde, die in fast identischer Besetzung im vergangenen Jahr fast abgestiegen wäre.