Der Bundestrainer lässt sich gegen Mexiko überlisten. Nicht nur seine Mannschaft muss wieder den Biss von 2014 entwickeln, sondern auch er selbst.
2018 müssen sie nichts mehr beweisen. Der WM-Titel hat vieles verändert. Das Bild von Löw changierte vom Handcreme-Löw zum Weltmeister-Jogiiiii, dessen Schrulligkeiten zum Kult verklärt wurden. Bei den TV-Interviews stellten Moderatoren ihm einen Espresso hin und begutachteten ihn beim Trinken, als würde die Queen ihren Nachmittagstee schlürfen. Löw wird nicht mehr laut, er liefert sein „scho au“-Diminuendo, dann geht er.
Nach der Bekanntgabe des endgültigen Kaders lässt er keine Nachfragen zu. Pfiffe gegen Nationalspieler kann er nicht verstehen. Der DFB beendet in bester oder schlechtester Ronald-Pofalla-Manier die Diskussionen um das Erdogan-Foto. Flankiert von dem allgegenwärtigen Protzer-Motto: Best never rest. Der Spruch wirkt wie der mit zu viel Gold behangene Schwergewichtsgürtel eines betagten Boxers. Keiner hat es so deutlich ausgesprochen, aber der Subtext aus vielen Interviews klingt jetzt blasiert: Wat wollense? Wir sind Weltmeister.
Die technische Klasse allein reicht nicht mehr
Mexikos Trainer sagte, seine Mannschaft habe ein halbes Jahr lang die Taktik gegen Deutschland vorbereitet. Tief stehen, schnell umschalten. Das hatte Löw nicht erwartet. Für die Mexikaner war es das Spiel des Jahres. Marco Reus rutschte der Satz heraus, Löw habe ihn nicht gegen die Mexikaner, sondern erst für die „wichtigen Spiele“ eingeplant.
Richtig wichtig wird es gegen die Schweden allemal: Sie räumten Italien aus dem Weg und danach samt ihrer geschlossenen Gruppenstärke ein Fernsehpult. Das war symptomatisch. Der Kapitän Andreas Granqvist steht für ihre Entschlossenheit, er könnte VHS-Kurse in „Bälle resolut aus dem Strafraum schädeln“ anbieten. Deutschland wird sich nicht mehr allein auf seine technische Extraklasse, auf die Zauberfüße von Kroos, Draxler oder Özil verlassen können. Löw muss die Balance finden.
Die Elf braucht in diesem Turnier mehr Körperlichkeit im Strafraum, weil sich auch vermeintlich kleinere Teams in Russland auf eine kompakte Defensive und schnelles Umschalten verstehen. Sie braucht „viele Beine im Mittelfeld“, wie sie in England sagen, also einen für die „Drecksarbeit“ hinter Kroos. Sie braucht die nötige Resilienz auf dem Platz und in der Kabine, die Schweinsteiger oder Mertesacker in Brasilien personifizierten. Sie braucht Pragmatismus beim Torabschluss. Bei der WM 2014 tüftelte Co-Trainer Hansi Flick mit den Spielern Standardsituationen aus, die entscheidende Tore gegen Ghana oder Frankreich einbrachten. Löw sind solche Maßnahmen eigentlich zuwider. Er sagte, man habe dafür „Trainingszeit geopfert“. Doch bei dieser WM in Russland, das zeigen die ersten Tage, fallen bemerkenswert viele Tore nach ruhenden Bällen.
Löw will trotz allem am Plan festhalten – ist er zu stur?
Das wären viele Modifizierungen. Der Bundestrainer meinte jedoch nach dem Mexiko-Spiel: „Den Plan über den Haufen schmeißen – das machen wir schon gar nicht.“ Ist es Entschlossenheit? Oder Sturheit? Natürlich geraten tiefergehende Bewertungen nach nur einem Spiel zu früh. Traditionell lieferte Deutschland immer ein schlechtes Spiel in der Gruppenphase ab und wurde dann meist seinem Ruf als Turniermannschaft gerecht.
Doch selbst im Achtelfinale werden Deutschlands Gegner so auflaufen, als wäre es für sie das Spiel des Lebens. Mexiko war da nur ein Vorgeschmack. Die deutsche Mannschaft hat nicht viel Zeit. Sie muss sich wieder beweisen wollen. Sie muss in den Turniermodus kommen. Das gilt auch und vor allem für Joachim Löw.