Deutschland ist ausgeschieden, das Spiel gegen England war das letzte von Joachim Löw als Bundestrainer. Interessant: Noch mieser als das Spiel lief das Interview danach – Unser Newsletter „11FREUNDE am Morgen“.
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This is the end. „Ohne Holland spielen wir jetzt EM“ hatte die „Bild“-Zeitung nach dem Ausscheiden der Niederlande vor ein paar Tagen einen Spottvers vergangener Jahre variiert. Der Artikel dürfte von den Redakteuren des Boulevardblattes gestern abend in den Untiefen des Internets versteckt worden sein, denn Deutschland spielt kein bisschen EM mehr, weder mit noch ohne Holland. Die verdiente 0:2‑Niederlage in Wembley gegen Gastgeber England bedeutete das Aus im Achtelfinale und zugleich auch das Ende der Ära Löw. Siebzehn Jahre nach dem Amtsantritt, zunächst als Assistent von Jürgen Klinsmann und später als Bundestrainer, demissioniert der Coach. Und das Spiel am Dienstag abend zeigte, warum es jetzt dann auch mal gut ist.
Zwar zeigte die Nationalelf von Beginn an Spielfreude und Siegeswille, und zumindest in der ersten Viertelstunde gelang es auch, damit die ebenfalls engagierten Engländer zu beeindrucken. Im Laufe der ersten Halbzeit zeigte sich jedoch das inzwischen längst notorische Problem der deutschen Mannschaft, dass sie bei aller gefälligen Spielanlage nur allzu selten echte Torgefahr erzeugt. Eine Misere, die diesmal am glücklosen Stürmer Timo Werner festgemacht werden konnte, die aber mindestens genauso durch die Herren Müller, Goretzka und Havertz personifiziert wird. Um nicht missverstanden zu werden, alles hochtalentierte und in ihren Klubs ebenso hocheffiziente Kicker, aber im Löw-System seltsam dysfunktional. Es mangelte der deutschen Spielanlage auch gegen England an der notwendigen Dynamik, an Überraschungsmomenten und an Effizienz. „Was fehlt ist Kaltschnäuzigkeit und Abgebrühtheit, etwas Erfahrung in gewissen Situationen“, konstatierte Löw hinterher. „Die Jungs müssen noch reifen, um als Mannschaft erwachsen zu sein.“ Was natürlich insbesondere auf den blutjungen Youngster Thomas Müller zutraf, der zwischendurch mutterseelenallein aufs englische Tor zurannte und den Ball links neben das Tor setzte. Da muss das Nachwuchtalent einfach noch reifen. Zugleich erwies sich die deutsche Defensive wieder einmal als anfällig für jede Form von Attacken über die Flügel, beide englische Treffer durch Sterling und Kane fielen nahezu baugleich durch scharfe Hereingaben von der linken Seite.
Nach dem Spiel herrschte große Enttäuschung, zwar nicht ganz so brunnentief wie vor drei Jahren nach dem Vorrundenaus in Russland, aber schon so manifest, dass sie eine größere Debatte über die Arbeit des Trainerstabs nach sich ziehen dürfte. Es ist Löw nämlich über die gesamte Dauer des Turniers nicht gelungen, der Mannschaft einen wirklichen Plan mit zu geben. Vom passablen Auftritt gegen Portugal abgesehen, war es für eine erfolgreiche Teilnahme einfach zu wenig. Beim Auftakt gegen Frankreich war die Mannschaft in Respekt vor dem Weltmeister erstarrt. Gegen Ungarn hatten dilettantische Fehler einen limierten Gegner aufgebaut. Und gegen England schließlich war auch schon Schluss.
Im irrlichternden ARD-Interview nach dem Schlusspfiff gab Löw zu seiner persönlichen Zukunft zu Protokoll: „Im Moment habe ich keinen konkreten Plan.“ Den Eindruck hatten wir in den letzten Wochen auch schon.
Paartherapie. Dieses deutsch-englische Paar ließ es am Dienstag in Wembley darauf ankommen. Er im englischen Euro 96-Gedächtnistrikot, sie mit den Hoheitsabzeichen der Berliner Fanmeile, die Gefahr eines größeren Ehekrachs bestand also durchaus. Wahrscheinlich gab es hinterher aber nur die klassischen Gespräche in der U‑Bahn. Er: „Schatz, du hast doch was!“ Sie: „Nein, alles gut!“ Er: „Ich spür doch, dass du was hast!“ usw.
„Wie sagt man: Ende gut, alles gut oder Ende gut, nicht alles gut?“
Prince Boateng kehrt zur Hertha zurück, er soll die Mannschaft anführen und den Klub mit der Stadt versöhnen. Viel Verantwortung für einen Mann, der einst Backpfeifen im Training verteilte und randalierend durch die Straßen zog. Aber immerhin ist Marko Rehmer nicht mehr da.
Ein Bild wie ein Gemälde. Harry Kane trifft zum entscheidenden 2:0 und auf den Rängen brechen alle Dämme. Und der Betrachter weiß gar nicht, wo er zuerst hinschauen soll. Zur stoischen Gelbweste rechts unten, die offenbar gerade von einem Zuschauer nach dem Weg zur Toilette gefragt wird. Zur mittigen Gymnasiastentraube, die sich gegenseitig beglückwünscht, sich für das Spiel und gegen den Kurztrip nach Magaluf entschieden zu haben. Zum Hobbyfotografen links oben, der extra das alte Teleobjektiv mitgeschleppt hat, nun aber das Riesengerät nicht aus der Tasche bekommt. Zum entfesselten Halbnackte unten links, der schon deutlich weiter ist als der Kollege etwas weiter oben, der gerade erst die Regenjacke über den Kopf zieht. Oder zur traurigsten Gestalt des Bildes, dem Volunteer, der inmitten dieser Eruption weiter stumpf ins Publikum starrt, während Harry Kane hinter ihm formvollendet die Gascoigne-Figur aus der Halbfinale 96 nachstellt.
Immer mal was neues. Das Slapstick-Eigentor des spanischen Mittelfeldmanns Pedri gegen Kroatien wurde aus 44 Metern Entfernung erzielt, ein absoluter Rekord. Alle anderen bisher erzielten Eigentore bei Europameisterschaften wurden durch Schüsse oder Kopfbälle im Strafraum erzielt.
Graue Maus. Einer, der das gestrige Rätsel partout nicht zu lösen wusste, schrieb mir in seiner Verzweiflung einfach „VfL Bochum“. Aber gesucht war natürlich Arminia Bielefeld („Arm-Ini-Ja Bi-LEV-ELT“). Der heutige Lösungssatz mag manch einen erleichtert, andere womöglich melancholisch stimmen. So oder so, die Lösungen bitte an philipp@11freunde.de.
Heute ist EM-Pause. Und sogar Fußballpause insgesamt. Mein zugegeben lückenhafter Kalender weist keinerlei nennenswerte Pflichtspiele weltweit af. Das gab es so wahrscheinlich auch zuletzt kurz vor der Einführung von „ranissimo“. Genießen wir also mal diese erzwungene und erholsame Beschäftigungslosigkeit.
Einen schönen Mittwoch wünscht