Trost ist das Schlimmste. „Immerhin Ecke“, sagte Sky-Kommentator Kai Dittmann bei der Niederlage von Werder Bremen gegen den FC Bayern München. 1:3. Aber immerhin Ecke. Die Ecke, dieser entfernte Verwandte des Tores. Kein Tor. Sondern Ecke. Immerhin Ecke.
Im Satz Dittmanns steckt die ganze Traurigkeit der Situation bei Werder Bremen: Immerhin, wenigstens das, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Toll gekämpft, Jungs! Jungs heißt soviel wie „Ihr armen Loser“. Als wäre Werder Bremen nicht mehr Werder Bremen, sondern der FSV Salmrohr, als wäre das hier kein Bundesligaspieltag, sondern ein Vorbereitungskick auf dem Dorfanger. Gnädiger Applaus der Umstehenden. Nichts gerissen. Aber immerhin Ecke.
Werder Bremen hat den Anschluss verloren
Den Teilsatz mit dem „zwar“, der dem „immerhin“ eigentlich voraus gehen muss, verschwieg Dittmann geflissentlich. Er hätte so lauten können: „Werder Bremen hat zwar längst den Anschluss an den FC Bayern München verloren und in diesem Spiel nichts zu wollen, aber immerhin Ecke.“
„Immerhin“ weist auf Tatsachen hin, die „dennoch“ bestehen. Hier: Werder Bremen hat sich zuletzt gezeigt wie ein Absteiger, während der FC Bayern München wieder stark aufspielte. Dennoch erkämpfte der Außenseiter sich einen Blumentopf: immerhin Ecke.
Eine Ecke ist ergebnisarithmetisch nichts. Aus der Summe all ihrer Nullen aber errechnet sich der so genannte moralische Sieger. Das Eckenverhältnis, präsentiert von einem regionalen Teppichhändler, bildet eine Art Schattenergebnis, an dem man sich festhalten kann, wenn das tatsächliche Ergebnis nicht wunschgemäß ausfällt. Scheiße, wir liegen hinten. Und Scheiße, wir haben keine Chance. Aber immerhin Ecke.
Die Aussichten auf einen sportlichen Sieg für Werder Bremen waren von vorn herein schlecht. Die Art und Weise, wie die Niederlage dann zu Stande kam, bestätigte die Prognosen. In chronologischer Reihenfolge: Ganz gut gespielt, sogar geführt, Fehlentscheidung von Schiri Kinhöfer, dann plötzlich ein monumentales Phlegma, das ungleiche Duell Robben/Silvestre, das epische Missgeschick Per Mertesackers, Müller linkt Frings, Wiese macht den Schumacher. Ein Gemengelage aus Verunsicherung, Selbstzweifeln, Pech, athletischer Unterlegenheit und Frust. Das 1:3 war logisch. Aber immerhin Ecke.
Die Ecke: Der Trostpreis des Fußballs. Die Teilnehmerurkunde. Die einzige Vier in einem Zeugnis voller Sechsen. Hat sich bemüht, unseren Anforderungen zu genügen. Werder Bremen, letzte Saison noch Champions-League-Qualifikant und Pokalfinalist, ist unter die Underdogs geraten. Ein Sieg gegen den FC Bayern München, auf den die Chancen jahrelang fiftyfifty standen, wäre nunmehr eine Sensation gewesen. Hat nicht geklappt. Was soll’s? Immerhin Ecke.
Werder Bremen gegen Bayern München: ein ungleiches Duell
Werder Bremen kämpfte treuherzig. Auch das verdient das Prädikat „immerhin“, denn es war ein Fortschritt gegenüber dem 0:3 in Köln. Aber es blieb eine Niederlage, auch wenn Manager Klaus Allofs sie zu marginalisieren versuchte, indem er sie als irgendwie eingeplant bezeichnete. Tatsächlich hat Werder Bremen nun schlichtweg zu oft verloren (zehn Mal), um Niederlagen noch als Straucheleien abtun zu können. Die Pleiten haben ein Prinzip. Die Mannschaft ist jetzt da, wo sie hingehört (auf Platz 15). Werder Bremen gegen den FC Bayern München: Die Zeiten, in denen das ein gleiches Duell war, sind vorbei. Es ist ein ungleiches. Immerhin Ecke.
Werder Bremen hat den Abgang des überragenden Mesut Özil hinter sich, hinzu kommt Naldos langwierige Verletzung. Von daher war zu erwarten, dass die Saison durchwachsen sein würde. Wie schlecht sie nun zu werden droht, das dürfte selbst den auf Deeskalation bedachten Allofs deutlich mehr beunruhigen, als er zugeben will. Auf dem Transfermarkt wurde er dennoch nicht tätig, abgesehen vom Einkauf des unbeschriebenen Schweden Denni Avdic. Dabei warnte Keeper Tim Wiese schon im Herbst eindringlich: „Özil fehlt uns an allen Ecken und Enden.“ Immerhin Ecke. Oder das Ende?