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Als ich Teen­ager war, gingen wir jeden Sonn­tag­nach­mittag in eine Disco. Die Musik war mit­tel­mäßig, aber das Licht gedimmt, die Mäd­chen unbe­schwert und ein paar Jungs vom Land gaben den Ton an. Nicht, weil sie beson­ders gute Sprüche drauf hatten, einen coolen Look oder die rich­tigen Platten hörten. Sie hatten uns ledig­lich voraus, dass es ihnen nichts aus­machte, anderen Leuten ohne Skrupel in die Fresse zu hauen, wenn ihnen danach war. Inso­fern war die Ent­schei­dung, sich frei­willig in die Gesell­schaft sol­cher Typen zu begeben, für uns ein erster Flirt mit der Gefahr.

Der Skru­pel­lo­seste unter den Land­schlä­gern hieß Hartmut. Nüch­tern war er eine naive Seele, der auf den ersten Blick ganz umgäng­lich erschien. Offenbar hatte er einen Narren an mir gefressen, sodass er sich öfters mit mir unter­hielt, was mein Pres­tige am Tresen der Dorf­disco sprung­haft erhöhte.

Bock auf Zanke

Doch hatte Hartmut einen Schnaps zu viel, bekam er, wie er zugab Bock auf Zanke“. Und so ver­lief jeder Sonntag nach einem fest­ge­legten Ritual. Wie in einer rum­pe­ligen Bal­lett­auf­füh­rung war­tete er ab einer bestimmten Uhr­zeit vor der Ein­gangstür darauf, dass sich irgend­je­mand auf­fällig ver­hielt. Auf­fällig konnte in seinem Fall alles bedeuten: lautes Spre­chen, Rum­knut­schen, Han­tieren mit einem Fahr­rad­schlosses, was auch immer.

Sobald Hartmut ein poten­ti­elles Opfer aus­ge­macht hatte, begann im Pia­nis­simo“ unmerk­lich der Tanz. Viele Besu­cher wussten bereits, wann die Show in etwa los­geht, im Ver­lauf des spä­teren Nach­mit­tags kamen immer mehr Leute vor die Tür. Das übliche Geplänkel: Was willst Du denn?“, Machst Du mich an?“, Vor­sicht, mein Lieber, vor­sicht!“. Ein biss­chen Aus­drucks­tanz mit den Kum­pels: Lasst mich los, lasst mich, ich hau ihm auf die Schnauze.“ Und schließ­lich: zack! Jeder Schläger weiß, das Über­ra­schungs­mo­ment sollte man immer auf der eigenen Seite habe.

Es folgte ein kurzes Hand­ge­menge, das meist ohne Gegen­wehr des Opfers ver­lief. Um den Schaden gering zu halten. Hartmut war ein Bär, Kör­per­treffer machten ihm nichts aus, son­dern för­derten seine Freude am Schlag­ab­tausch erst. Und wenn ich abends beim Essen meiner Mutter von den Ereig­nissen erzählte, sagte sie besorgt: Ist ja furchtbar, ist ja furchtbar. Willst da wirk­lich wieder hin­gehen?“

Wer knallt hier durch?

Woche für Woche, Jahr für Jahr das­selbe Schau­spiel. Irgend­wann ent­wuchs ich dem Alter, in dem man in Tee­nie­dissen geht. Später las ich, dass der Laden wegen Dro­gen­han­dels geschlossen worden war. Von Hartmut habe ich nie wieder gehört. Der Ein­gang der Tanz­halle war sein König­reich, seine rechte Faust das Zepter, ohne Frat­zen­ge­baller war er ein Nichts. Ein Bekannter eines Bekannten erzählte mir Jahre später, er sei in den Knast geg­wan­dert. Keine Ahnung, ob da was dran ist.

An Hartmut musste ich nun denken, als ich das Spiel von Hertha BSC bei Hansa Ros­tock sah. Ähnelte die Dra­ma­turgie doch auf selt­same Weise dem Schau­spiel in meiner Dorf­disco damals in den Acht­zi­gern. Jedem in der Fuß­ball­ge­meinde war klar, dass Teile des Anhangs beider Klubs nur allzu gern auf­ein­ander los­gehen. Hansa-Vor­stand Robert Marien hatte im Vor­feld des Spiels in einem offenen Brief inständig gebeten, im Inter­esse des gebeu­telten Ostsee-Klubs ruhig zu blieben, um keine wei­teren Sank­tionen durch das DFB-Sport­ge­richt her­vor­zu­rufen. Für den erleb­nis­ori­en­tierten Anhang war dieser Aufruf offenbar wie für Hartmut die Jungs, die ihn, den wilden Stier, noch mit ver­einten Kräften vorm Durch­knallen zurück­halten wollten.