Weltmeister, Europameister, Fußballer des Jahres – und ab kommendem Sommer Trainer eines Achtligisten. Warum, das weiß Icke Häßler offenbar selber nicht so ganz genau.
Ab Sommer wolle er „Tag und Nacht“ für den Erfolg arbeiten, doch jetzt steht Thomas Häßler erst mal im Stau. Der Weltmeister verspäte sich um 15 Minuten, verkündet Kristof Kuhn, Pressesprecher von Club Italia 80. Kann ja keiner ahnen, dass es viel Verkehr geben könnte an einem Montagmorgen auf Berlins Straßen. Zumindest Häßler nicht, schließlich war er lange nicht mehr in seiner Heimatstadt. Nun ist er unpünktlich, ausgerechnet heute, bei seiner Vorstellung als kommender Cheftrainer bei Club Italia, einem Berliner Bezirksligisten. Hier, in einem Autohaus, irgendwo im Norden Pankows.
Vor dem Eingang wellt sich der rote Teppich, im Innern läuft Dackelmischling Sissi aufgeregt zwischen wartenden Journalistenbeinen hin und her. Auf weißen Fliesen hat Hausmeister Dieter Krebs, Camouflage-Latzhose und Schnurrbart, die Bühne errichtet, 2×4 Meter, vor der Ecke mit den Topfpalmen. Die Kameras und Mikrofone der Presse beeindrucken ihn wenig. „Hier findet ja öfter sowas statt“, erzählt er gelassen. Mit „sowas“ meint Krebs Auftritte von Jürgen Drews („Na, der König von Mallorca“) und Nino de Angelo. „Kulturelle Veranstaltungen“, nennt Autohaus-Besitzer Bernd Quinque solche Termine.
Mourinho und Guardiola passten nicht ins Anforderungsprofil
Nun also Icke. Doch der Welt- und Europameister spielt nicht nach Protokoll. Als Häßler endlich eintrifft, kommt er durch die Hintertür. Da steht er auf einmal, graue Kapuzenjacke, graue Augenringe. Enttäuscht senken die Fotografen die Objektive. Wie so ein Start denn aussehe, und überhaupt, ob er nicht noch einmal über den roten Teppich gehen könne. Häßler schüttelt kurz mit genervtem Blick den Kopf, willigt dann aber ein, schreitet raus und kommt gleich wieder rein, diesmal über die feuchte Stoffbahn – hat sich die Arbeit doch gelohnt, denkt sich wohl Hausmeister Krebs.
Kurz darauf nimmt Häßler auf der Bühne Platz, nach dem obligatorischen Shakehands mit Sportdirektor Eric Meissner. Tief graben sich die Krähenfüße in seine Schläfen, mit zusammengekniffenen Augen blickt er über die Ausstellungskarossen hinweg. Wirklich glücklich schaut er nicht drein. Auch Meissner hat sein Lächeln zu Hause gelassen – obwohl er in Häßler einen Wunschkandidaten verpflichten konnte. „Als Welt- und Europameister, ehemaliger Italien-Legionär und letztendlich als geborener Berliner passt Häßler perfekt in unser Anforderungsprofil“, hatte er wenige Tage zuvor verlauten lassen. Meissner hatte wohl Glück, dass Häßler gerade auf Jobsuche war. Denn selbst Mourinho und Guardiola wären angesichts dieser gewünschten Qualifikationen wahrscheinlich nicht mal zum Vorstellungsgespräch geladen worden.
Meissner hat sich in Schale geworfen für die Pressekonferenz: Sein schwarzes Sakko fällt über die breiten Schultern, im Nacken klumpt die Pomade in den Haarspitzen. Der Sportdirektor hat ambitionierte Ziele mit dem Verein, der nach eigener Aussage ein bisschen „Dolce Vita“ in den Berliner Amateursport bringen soll. In acht bis zehn Jahren wolle man „im Idealfall“ in der Dritten Liga spielen, sagt Meissner. „Aber das wollen andere auch.“ Mit Häßler hätte man aber nun jemanden gefunden, der „von der Fußballphilosophie her die selbe Sprache spricht.“
Häßler selbst hört sich das alles an, nicht gespannt, eher desinteressiert. Warum er mit seiner Vita zu einem Achtligisten gehe, wird er gefragt. „Meine Frau und ich wollten eh umziehen – München oder Berlin. Schön, wenn man da das Private mit dem Beruflichen vereinbaren kann.“ Er schaut auf. „Ich kann mich bei dem Verein nur bedanken, denn andere Möglichkeiten habe ich nicht gehabt.“
Das Publikum schaut etwas betreten hoch, zu Häßler auf dem Podium. Da sitzt er, der Welt- und Europameister, und spricht von seinem einzigen Angebot. Von einem Berliner Achtligisten. Über Paul Steiner, mit dem er 1990 in Italien den WM-Pokal in den römischen Nachthimmel reckte, sei der Kontakt zu Club Italia zu Stande gekommen. Beim 25-Jahr-Treffen der Weltmeistermannschaft habe Häßler von seiner Jobsuche erzählt, wenig später vermittelte Steiners Sohn die Gespräche mit dem Bezirksligisten. Häßler habe nicht lange überlegt: „Ich hatte ja nichts zu tun. Was soll ich zu Hause die Wände anstarren?“.
Vor dem Traineramt steigt Icke in die Tanzschuhe
Da ist er also angekommen, am unteren Ende der Karriereleiter. Nach einer Weltkarriere als Spieler bei Juve und der Roma versuchte sich Icke lange in Hilfstätigkeiten bei Vereinen und Verbänden: der 1. FC Köln stellte ihn unter Christoph Daum als Technik-Trainer ein, in Nigeria gab er ein kurzes Gastspiel als Assistent von Nationaltrainer Berti Vogts. Zuletzt arbeitete er für ein Jahr beim iranischen Erstligisten Padideh Maschad – eine „spannende Zeit mit vielen negativen Sachen“, er warte weiter auf ausstehende Gehaltszahlungen.
Ein finanzielles Risiko geht Häßler beim Club Italia offenbar nicht ein: sein Salär übernehmen mehrere Sponsoren des Vereins. Und sollte es doch nicht mit der Trainerkarriere klappen, arbeitet der kleine Freistoßkünstler aus der Hauptstadt bereits an seinem zweiten Standbein – im März tanzt er unter den kritischen Augen von Fachleuten wie Jorge Gonzalez bei einem Kölner Privatsender durch das Abendprogramm, gegen Michael Wendler und Sandy Meyer-Wölden.
„Gut, das war es dann wohl“, sagt Pressesprecher Kuhn und beendet schließlich die Veranstaltung. Häßler nickt kurz, steht auf, tritt von der Bühne. Aus dem Hintergrund hallt ein einzelnes Klatschen durch die Halle – Italia-Vizepräsident Laurence Hein bekundet seinem neuen Startrainer strahlend seine Dankbarkeit. Immerhin einer, der an diesem Vormittag lächelt. Hausmeister Krebs stemmt die Arme in die Hüften – er muss jetzt wieder aufräumen. Er kennt das ja schon, von Jürgen Drews und Nino de Angelo.