Mario Götze wird offenbar für längere Zeit keinen Fußball spielen können. Sind wir mitverantwortlich?
Als André Schürrle am Abend des 13. Juli 2014 den Ball auf Verdacht in den Strafraum chippte und Mario Götze ihn dann machte, platzte es noch einmal aus ihm raus. Die kindliche Freude eines Jungen, der mit einem Talent gesegnet ist und eigentlich nur spielen will. Mit dem Ball. Mit seinen Mitspielern. In diesem Moment atmete er die pure Freude ein.
Doch Mario Götze ist schlau. Schlau genug, um wenig später bereits zu wissen, dass das Stigma „WM-Held“ ein Leben lang an ihm kleben wird wie altes Kaugummi. Dass der Mythos vom spielfreudigen Supertalent immer dann bemüht wird, wenn es mal nicht so läuft bei ihm. Dass die Frage „Was ist nur los mit ihm?“ nur eine falsche Ballannahme entfernt ist.
Die Wunder wurden weniger
Dass Mario Götze Wunderdinge mit dem Ball vollbracht hat, ist wahrlich lange her. Im Trikot des FC Bayern spielte er solide bis gut. Aber das reicht bei einem wie Götze offenbar nicht. Also ging er zurück zu Borussia Dortmund. Fans waren erst sauer, dann freudig erregt. Und Verantwortliche hofften, dass er sich nur das Schwarz-Gelbe Superheldencape überstreifen brauchte, um wieder zu schweben wie in jenen magischen ersten zwei Jahren seines Profidaseins. Doch daraus wurde erstmal nichts. Götze spielte selten und wenn dann selten auffällig. Er war plötzlich ein ganz normaler Fußballer.
Eine Schüssel Cornflakes zu viel?
Und so gingen sie alle auf Ursachenforschung. Experten, Medien und Fans fragten immer öfter: Was ist ist nur los mit ihm? Warum versprüht der Magier keinen Zauber mehr? Warum sitzt er scheinbar so teilnahmslos auf der Bank? Hat er keinen Bock? Ist er satt von seinem Millionengehalt? Nimmt er seinen Job als Profi nicht ernst genug? Isst er gar abends vielleicht eine Schüssel Cornflakes zu viel vor dem Schlafen?
Die Frage, ob es einen Anfang Zwanzigjährigen belasten könnte, dass jeder jeden Tag wissen will, was denn nur los sei mit ihm, stellte so gut wie niemand.
Dass bei ihm irgendwann immer seltener über Sportliches, sondern auch abendfüllend über sein Privatleben oder gar sein Gewicht diskutiert wurde, war erniedrigend. Dass ein Focus-Autor einen enttäuschten Brief an ihn veröffentlichte, war unerträglich. Und dass Lothar Matthäus – der ja selbst nicht müde wird, über die Ungerechtigkeit seiner Wahrnehmung hierzulande zu klagen – ihm medienwirksam zum Karriereschritt nach China riet, war kein Scherz des Postillon. Sondern eine Schlagzeile, zu der sich Menschen ernsthaft äußern sollten. Es ist absurd.
Und während sich eine Fußballnation über Mario Götze das Maul zerriss, warfen sich wenigstens die BVB-Bosse Watzke und Zorc bei jeder Gelegenheit schützend vor Götze. Das ist ihnen hoch anzurechnen.
Ist das noch Medizin?
Nun wurde öffentlich, dass Götze unter einer Stoffwechselkrankheit leidet, die ihn für unbestimmte Zeit außer Gefecht setzt. Die Meldung war keine zwei Stunden alt, da hatte so manches Boulevardblatt schon einen Sportmediziner gefunden, der sich zur Ferndiagnose hinreißen ließ. Das ist nicht nur im weiten Feld der Stoffwechselerkrankungen haarsträubend. Es ist der vorläufige Tiefpunkt.
Vielleicht sollten wir alle einfach ein paar Dinge akzeptieren: Mario Götze kann ein überragender Fußballer sein. Aber er darf auch ein ganz normaler Mensch sein. Mit Stärken, Schwächen und Geheimnissen.
Mario Götze ist 24 Jahre alt. Er ist krank. Details kennen nur wenige. Wie schwer die Krankheit ist, wissen wohl nur sein Arzt und er.
Er muss mal Luft holen. Ganz tief. Man sollte ihn einfach in Ruhe lassen.