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Sie sind eher rar gesät, die wirk­lich lus­tigen Mann­schafts­fotos. Höchs­tens alle paar Jahre bringt irgendein Kinds­kopf oder ein Kom­mu­ni­ka­tions-Stra­tege einen kleinen (PR-)Gag auf den ansonsten streng uni­formen Bil­dern unter. Vor der Bun­des­liga-Saison 2000/01 etwa posierte der dama­lige Schalker Thorsten Legat mit einer bis unter die Ach­seln hoch­ge­zo­genen Sport­hose – und bekam dafür von Manager Rudi Assauer eine Geld­strafe in fünf­stel­liger Höhe auf­ge­brummt. Die Kicker von Han­nover 96 bauten sich Mitte der Acht­ziger mal auf einem Aus­flugs­böt­chen mitten im städ­ti­schen Maschsee zum Shoo­ting auf – was des­halb beson­ders witzig war, weil alle Spieler auf der Back­bord-Seite standen und die Nuss­schale sich bedroh­lich zu neigen begann.

Die Brille? Kein Spaß!

Auch auf dem dies­jäh­rigen Grup­pen­bild der 2. Mann­schaft des SC Aadorf im Schweizer Kanton Thurgau hat sich jemand einen Scherz erlaubt – so scheint es zumin­dest auf den ersten Blick: Ein gewisser Mat­thias Müller (vor­dere Reihe, 3. v.l.) trägt fröh­lich grin­send seine rot-getönte Brille im Oakley-Stil zur Schau. Wobei: Wirk­lich lustig ist das mit der Brille nicht, der Stürmer trägt sie näm­lich, weil er annä­hernd blind ist. Laut eines Berichts des Schweizer Bou­le­vard­blatts Blick“ beträgt Mül­lers Seh­kraft nur unge­fähr zehn Pro­zent, zudem ist er kom­plett far­ben­blind und kann her­an­na­hende Objekte (wie etwa einen her­ein­ge­flankten Ball) erst viel später erfassen als Nor­mal­se­hende.

Den­noch spielt Mat­thias Müller lei­den­schaft­lich gern Fuß­ball – nicht etwa Blin­den­fuß­ball, son­dern im Team und im Wett­be­werb mit Nor­mal­se­henden. Und zwar in der 5. Liga“, das ist die neunt­höchste Schweizer Spiel­klasse. Zwi­schen­zeit­lich war der heute 25-Jäh­rige sogar eine Etage höher am Ball, in der 4. Liga“. Denn Müller hat früh gelernt, sein Han­dicap so gut wie mög­lich zu kom­pen­sieren: Es ist unglaub­lich, wie lauf­stark er ist“, lobte sein Assis­tenz­trainer Rainer Leder­gerber gegen­über dem Blick“ und fügte wohl­mei­nend an: Würde er 20 oder 30 Pro­zent mehr sehen, könnte er uns sicher­lich noch viel mehr helfen.“

Kein Fuß­ball, wenn die Sonne tief­steht

Bereits seit seiner Geburt leidet Mat­thias Müller unter dieser sel­tenen Augen­krank­heit mit dem unschönen Namen Achro­mat­opsie. Er sieht die Welt nur in Schwarz und Weiß oder in Grau­tönen, zudem ist seine visu­elle Wahr­neh­mung äußerst ver­schwommen. Manche Gegen­stände oder Formen kann Müller nur aus nächster Nähe erkennen. Und weil seine Augen bei hellem Licht – spe­ziell bei tief­stehender Sonne – noch schlechter funk­tio­nieren, trägt der Ama­teur-Kicker auf dem Spiel­feld fast immer diese rot-getönte Brille, die irgendwie an den großen Edgar Davids erin­nert.

Klar, dass einer wie Müller in Fuß­bal­ler­kreisen auch mal blöde Sprüche kas­siert. Die steckt er weg. Seine eigenen Mann­schafts­kol­legen und der Aadorfer Trai­ner­stab aber unter­stützen den gelernten Maschi­nenbau-Inge­nieur, wo sie nur können. Chef­coach Gaetano Russo und Assis­tent Leder­gerber haben sogar die Farbe der Mar­kie­rungs­hüt­chen für die Trai­nings­ein­heiten so gewählt, dass Müller sie best­mög­lich erkennen kann. Die Mit­spieler sind ange­halten, ihren stark seh­be­hin­derten Kol­legen nach Mög­lich­keit nur flach anzu­spielen, weil der hohe Bälle gegen das Licht erst sehr spät erkennen kann.

Wahre Wun­der­taten

Es hat sicher­lich Mut gebraucht, um mit dem Fuß­ball zu beginnen“, ver­riet Müller dem Blick“ und erklärte anschau­lich, warum das so war: Einer­seits, weil es ein sehr ehr­gei­ziger Sport ist. Ande­rer­seits, weil man viel­leicht nicht von allen akzep­tiert wird, da man nicht auf dem­selben Niveau spielen kann wie ein Nor­mal­se­hender.“

Die schönsten Fuß­ball­tage für Mat­thias Müller sind jene, wenn der Himmel und die Sonne hinter einer geschlos­senen Wol­ken­decke liegen. Dann sieht er für seine Ver­hält­nisse beson­ders gut. Und dann ver­bringt er mit­unter wahre Wun­der­taten. Vor zwei Jahren, damals noch in der 4. Liga“, rutschte der Mann mit der mar­kanten Brille einmal kurz vor Spiel­schluss in eine flache Her­ein­gabe und mar­kierte den 3:2‑Siegtreffer im Derby gegen den FC Tobel-Affeltrangen, der dar­aufhin den Gang in die Fünft­klas­sig­keit antreten musste. Noch heute erzählt man sich in den betei­ligten Ort­schaften von diesem Tor.

Mätte ist noch nicht fertig

Zum Lohn“ für die Deklas­sie­rung des unge­liebten Rivalen rasierten die Aadorfer ihrem Mat­thias (Spitz­name: Mätte“) anschlie­ßend die kom­plette Matte ab. Ob er sich nach seinem nächsten Treffer wieder eine Glatze schneiden lässt? Das werden wir noch sehen“, wit­zelte Müller im Blick“, je nach Stim­mung und Wich­tig­keit des Tores viel­leicht.“ Seine rot-getönte Brille aber, so viel scheint sicher, wird der Aadorfer Tor­jäger auch künftig tragen. Auch auf dem offi­zi­ellen Mann­schafts­foto.