Jürgen Klopp hat den FC Liverpool nach seinen Vorstellungen verändert. Die Mannschaft kann dem FC Bayern gefährlich werden – trotz ihres Formtiefs zu Jahresbeginn.
Wenige Minuten nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit steht jeder, ja wirklich jeder im Anfield Stadium. Auch die älteren Zuschauer hält jetzt nichts mehr auf ihren Sitzschalen. Eine Dame mit Goldohrringen und rot-weißem Schal in der Nähe der Presseplätze stampft im Takt der Fangesänge mit ihrem Gehstock auf den Beton unter ihren Füßen: „Allez allez allez!“
Auf dem im Flutlicht funkelnden Rasen, inmitten des manchmal ohrenbetäubenden Getöses von allen Seiten des Stadions, läuft die Mannschaft des FC Liverpool zu ihrer wohl besten Form seit Jahren auf. Sie kontern und kombinieren, sie rennen und sie grätschen. Am Spielfeldrand stapft Jürgen Klopp in zackigen Bewegungen durch seine Coaching-Zone, schreit Kommandos über das Feld und ballt jedes Mal die Hände zu Fäusten, wenn einer seiner Spieler einen Zweikampf gewinnt – selbst wenn er dadurch nur einen Einwurf an der Mittellinie herausgeholt hat.
Fünf Tore in 33 Minuten
Es ist das Champions-League-Halbfinale der Saison 2017/18. Die AS Roma, die zuvor den FC Barcelona aus dem Turnier geworfen hat, ist im Hinspiel zu Gast in Liverpool – und wird von den „Reds“ zwischenzeitlich so mitleidlos an die Wand gespielt, dass so mancher Liverpooler Fan seinen tränenfeuchten Augen kaum trauen mag. Zwischen der 36. und der 69. Spielminute schießt Liverpool fünf Tore.
Was sie an diesem Abend im April sehen, ist der Kloppsche Heavy-Metal-Fußball in seiner brutalsten Ausprägung. Die Römer haben dem gewaltigen Druck in dieser Phase nichts entgegenzusetzen. Aber sie erholen sich und schießen in den Schlussminuten noch zwei Tore zum 5:2‑Endstand. Für sie ist es trotzdem eine Demütigung, die sie auch mit einem 4:2‑Sieg im Rückspiel nicht wieder geradebiegen können. 33 Minuten im Liverpooler Dauerregen kosten sie schließlich den Einzug ins Finale.
Gleiches Schicksal?
Das Ganze ist jetzt fast ein Jahr her. Aber wenn die Bayern nicht aufpassen, dann könnte sie im Achtelfinale der diesjährigen Champions League das Schicksal der Römer ereilen.
Liverpool hat seit Jürgen Klopps Ankunft in England im Oktober 2015 zwar trotz einiger Gelegenheiten noch keinen Titel gewonnen. Aber es ist dem Trainer immerhin gelungen, aus dem Klub wieder einen anerkannten Titelkandidaten zu formen – in England und in Europa.