Genervt von den Widrigkeiten des modernen Fußballs? Wir erklären zum Valentinstag, warum wir den Fußball immer noch lieben. Trotzdem und jetzt erst recht und mehr denn je.
„Viel gefeiert, viel geflucht, nie gelangweilt“
Der Blick ist stets der gleiche, eine fein austarierte Mischung aus Mitleid und Ausgrenzung. Du Ärmster, aber nur gut, dass mir das nicht passiert ist. Als hätte ich von einer unheilbaren Krankheit erzählt oder davon, dass der Hund vom Auto überfahren worden sei. Dabei lautet der Satz ganz schlicht: „Ich bin Fan von Arminia Bielefeld.“
Bis heute verstehe ich die Reaktion der Leute darauf nicht. Okay, der Gedanke an die unheilbare Krankheit ist nicht so falsch. Aber tatsächlich ist es eine, mit der sich chronisch leben lässt. Klar weiß ich, was die Leute meinen. Arminia Bielefeld ist ein Fahrstuhlverein, einer, bei dem man heute nicht weiß, ob nicht morgen schon die nächste Katastrophe um die Ecke kommt. Abstieg, Insolvenz, Löschung aus dem Vereinsregister. Aber möchte ich deshalb Anhänger von Mainz 05 sein, mit der Aussicht, Bundesliga-Achter zu werden, wenn es gut läuft, und Fünfzehnter, wenn es richtig miserabel läuft? Oder mit der Klatschpappe in Leipzig auf der Tribüne sitzen? Im Leben nicht.
Seit 1977 bin ich Arminia-Fan und in dieser Zeit neun Mal aufgestiegen und neun Mal abgestiegen. Das ganze Leben ein dramatisches Auf und Ab, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, stets im flotten Wechsel. So viel gefeiert, so viel geflucht, so viel gezittert, nur eines nie: gelangweilt. Wir versuchten, das Schicksal zu zwingen, indem wir zu jedem Spiel eine Tüte „Weiche Katzenpfötchen“ von Katjes mitnahmen und kamen mit diesem Ritual ohne Heimniederlage durch die Hinrunde. Dann platzte die Tüte und die Saison ging den Bach runter.
Vor ein paar Jahren sprang unser Verein im allerletzten Spiel in Dresden dem Teufel von der Schippe, während um uns herum aufgebrachte Dynamo-Fans das Stadion zu Klump bombten. Dann kassierten wir in der folgenden Relegation ganz kurz vor Schluss der Verlängerung das entscheidende Tor gegen Darmstadt, trafen danach noch den Pfosten und wussten, dass der Teufel halt doch immer den längeren Atem hat. Aber es geht eben rauf und runter, und jetzt gerade geht es uns wieder ziemlich gut. Wir stehen in der Zweitligatabelle ganz schön weit oben, und vielleicht kommt zu den neun Aufstiegen bald ein zehnter dazu. Und ich? Fühle mich nach all den Jahren wie ein vom Leben zerzauster Rocker, der es nie nach ganz oben geschafft hat, aber egal. Weißt du, ich habe wirklich alles mitgenommen, Baby. Was kann es Schöneres geben?
„Immer warten auf ein großes Wunder“
„Muss er doch mal schießen!“, grummelt ein Herr mit blauem Schal, winkt ab und holt sich aus Protest noch ein Bier. Gerade hat ein Stürmer des Berliner SV Empor den Ball in aussichtsreicher Position im Dribbling verloren, anstatt die Kugel endlich mal draufzuzimmern. Dann würde den zweihundert Zuschauern, die sich im kleinen Stadion des Jahnsportparks im Prenzlauer Berg unter dem Vordach des Mehrzweckgebäudes drängeln, vielleicht etwas wärmer in der feuchten Novemberkälte. Und dann stünde es nach knapp 40 Minuten auch nicht schon 3:1 für den Gast aus Lichtenberg, was den SV Empor noch ein bisschen tiefer in den Abstiegsstrudel zieht.
Es ist kein spektakulärer Kick in der sechstklassigen Berlin-Liga, und trotzdem finde ich hier alles, was mich am Fußball schon immer glücklich macht. Da ist der Mann im Trainingsanzug, der durch den Maschendrahtzaun linst, um die sechs Euro Eintritt zu sparen. Da ist der Ordner in der Würstchenbude, dessen geschwollene Hände auf langjährige Erwerbsarbeit hindeuten und der zu jedem Isolierkannenkaffee noch einen Tipp gratis gibt: „Dit jewinn’se!“
Da sind die Zuschauer mit Kippe im Mundwinkel, die jeden gelungenen Pass mit aufmunterndem Raunen begleiten. Und da sind die Spielerfrauen, die fröhlich an der Reling schnattern. Sie alle und ich bleiben das ganze Spiel, obwohl ein Tor nach dem anderen für Lichtenberg fällt, am Ende steht es 2:6. Trotzdem warten wir geduldig ab, in der vagen Hoffnung, dass doch noch was Aufregendes passiert, eine tollkühne Aufholjagd zum Beispiel, fünf Tore in drei Minuten, hat es alles schon gegeben, man weiß ja nie.
Aber wir müssen gar nicht auf ein Wunder warten. Denn das Wunder ist der Fußball selbst. So was Schönes, Aufregendes, Herzzerfetzendes gibt es kein zweites Mal. Fußball ist wunderbar. In der Kreisliga und in der Bundesliga und im Novemberregen beim SV Empor.
_