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Seite 4: Wir lieben Fahrstuhlmannschaften – und Amateure

Viel gefeiert, viel geflucht, nie gelang­weilt“

Jens Kirschneck

Jens Kirschneck kann sich nichts Schö­neres vor­stellen, als Fan eines Fahr­stuhl­klubs zu sein.

Der Blick ist stets der gleiche, eine fein aus­ta­rierte Mischung aus Mit­leid und Aus­gren­zung. Du Ärmster, aber nur gut, dass mir das nicht pas­siert ist. Als hätte ich von einer unheil­baren Krank­heit erzählt oder davon, dass der Hund vom Auto über­fahren worden sei. Dabei lautet der Satz ganz schlicht: Ich bin Fan von Arminia Bie­le­feld.“ 

Bis heute ver­stehe ich die Reak­tion der Leute darauf nicht. Okay, der Gedanke an die unheil­bare Krank­heit ist nicht so falsch. Aber tat­säch­lich ist es eine, mit der sich chro­nisch leben lässt. Klar weiß ich, was die Leute meinen. Arminia Bie­le­feld ist ein Fahr­stuhl­verein, einer, bei dem man heute nicht weiß, ob nicht morgen schon die nächste Kata­strophe um die Ecke kommt. Abstieg, Insol­venz, Löschung aus dem Ver­eins­re­gister. Aber möchte ich des­halb Anhänger von Mainz 05 sein, mit der Aus­sicht, Bun­des­liga-Achter zu werden, wenn es gut läuft, und Fünf­zehnter, wenn es richtig mise­rabel läuft? Oder mit der Klatsch­pappe in Leipzig auf der Tri­büne sitzen? Im Leben nicht. 

Dann platzte die Tüte

Seit 1977 bin ich Arminia-Fan und in dieser Zeit neun Mal auf­ge­stiegen und neun Mal abge­stiegen. Das ganze Leben ein dra­ma­ti­sches Auf und Ab, him­mel­hoch jauch­zend, zu Tode betrübt, stets im flotten Wechsel. So viel gefeiert, so viel geflucht, so viel gezit­tert, nur eines nie: gelang­weilt. Wir ver­suchten, das Schicksal zu zwingen, indem wir zu jedem Spiel eine Tüte Weiche Kat­zen­pföt­chen“ von Katjes mit­nahmen und kamen mit diesem Ritual ohne Heim­nie­der­lage durch die Hin­runde. Dann platzte die Tüte und die Saison ging den Bach runter. 

Vor ein paar Jahren sprang unser Verein im aller­letzten Spiel in Dresden dem Teufel von der Schippe, wäh­rend um uns herum auf­ge­brachte Dynamo-Fans das Sta­dion zu Klump bombten. Dann kas­sierten wir in der fol­genden Rele­ga­tion ganz kurz vor Schluss der Ver­län­ge­rung das ent­schei­dende Tor gegen Darm­stadt, trafen danach noch den Pfosten und wussten, dass der Teufel halt doch immer den län­geren Atem hat. Aber es geht eben rauf und runter, und jetzt gerade geht es uns wieder ziem­lich gut. Wir stehen in der Zweit­li­ga­ta­belle ganz schön weit oben, und viel­leicht kommt zu den neun Auf­stiegen bald ein zehnter dazu. Und ich? Fühle mich nach all den Jahren wie ein vom Leben zer­zauster Rocker, der es nie nach ganz oben geschafft hat, aber egal. Weißt du, ich habe wirk­lich alles mit­ge­nommen, Baby. Was kann es Schö­neres geben?

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Immer warten auf ein großes Wunder“

Philipp Köster

Die Schön­heit des Fuß­ball­sports offen­bart sich Philipp Köster auch im November im Prenz­lauer Berg.

Muss er doch mal schießen!“, grum­melt ein Herr mit blauem Schal, winkt ab und holt sich aus Pro­test noch ein Bier. Gerade hat ein Stürmer des Ber­liner SV Empor den Ball in aus­sichts­rei­cher Posi­tion im Dribb­ling ver­loren, anstatt die Kugel end­lich mal drauf­zu­zim­mern. Dann würde den zwei­hun­dert Zuschauern, die sich im kleinen Sta­dion des Jahn­sport­parks im Prenz­lauer Berg unter dem Vor­dach des Mehr­zweck­ge­bäudes drän­geln, viel­leicht etwas wärmer in der feuchten Novem­ber­kälte. Und dann stünde es nach knapp 40 Minuten auch nicht schon 3:1 für den Gast aus Lich­ten­berg, was den SV Empor noch ein biss­chen tiefer in den Abstiegs­strudel zieht. 

Es ist kein spek­ta­ku­lärer Kick in der sechst­klas­sigen Berlin-­Liga, und trotzdem finde ich hier alles, was mich am Fuß­ball schon immer glück­lich macht. Da ist der Mann im Trai­nings­anzug, der durch den Maschen­draht­zaun linst, um die sechs Euro Ein­tritt zu sparen. Da ist der Ordner in der Würst­chen­bude, dessen geschwol­lene Hände auf lang­jäh­rige Erwerbs­ar­beit hin­deuten und der zu jedem Iso­lier­kan­nen­kaffee noch einen Tipp gratis gibt: Dit jewinn’se!“

Das Wunder ist der Fuß­ball selbst

Da sind die Zuschauer mit Kippe im Mund­winkel, die jeden gelun­genen Pass mit auf­mun­terndem Raunen begleiten. Und da sind die Spie­ler­frauen, die fröh­lich an der Reling schnat­tern. Sie alle und ich bleiben das ganze Spiel, obwohl ein Tor nach dem anderen für Lich­ten­berg fällt, am Ende steht es 2:6. Trotzdem warten wir geduldig ab, in der vagen Hoff­nung, dass doch noch was Auf­re­gendes pas­siert, eine toll­kühne Auf­hol­jagd zum Bei­spiel, fünf Tore in drei Minuten, hat es alles schon gegeben, man weiß ja nie. 

Aber wir müssen gar nicht auf ein Wunder warten. Denn das Wunder ist der Fuß­ball selbst. So was Schönes, Auf­re­gendes, Herz­zer­fet­zendes gibt es kein zweites Mal. Fuß­ball ist wun­derbar. In der Kreis­liga und in der Bun­des­liga und im Novem­ber­regen beim SV Empor.

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