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Seite 3: Wir lieben den VfL Bochum – und Beinschüsse

Der VfL Bochum rettet mich vor dem Fuß­ball“

Christoph Biermann

Vom großen Fuß­ball will Chris­toph Bier­mann nichts wissen, wenn sein Lieb­lings­verein im Fern­sehen kommt.

Gut, dass die Was­ser­fla­sche leer und vor allem nicht aus Glas war. Sonst wäre sie wohl in tau­send Teile zer­split­tert, obwohl sie doch auch nichts dafür konnte, dass der Karls­ruher SC in der Nach­spiel­zeit noch den Aus­gleich geschossen hatte, und das auch noch in Unter­zahl. Wütend brab­belte ich vor mich hin, wie einer dieser alten Männer, die gemeinhin als ver­wirrt“ bezeichnet und später dann auf­ge­griffen“ werden. Dabei hörte mir nie­mand zu, ich war näm­lich allein in meiner Ere­mi­tage: nur der Fern­seher, der Zweit­li­gist VfL Bochum und ich. 

Ich könnte an dieser Stelle zur großen Beschwerde dar­über anheben, dass ich mir Spiele zu selt­samen Anstoß­zeiten anschauen muss, bevor der rich­tige Fuß­ball gezeigt wird. Ich könnte beklagen, dass mein Klub es seit einem Jahr­zehnt nicht hin­be­kommt, mal wieder in der Bun­des­liga zu spielen, mit der ich im Ruhr­sta­dion auf­ge­wachsen bin. Ich könnte über selt­same Manage­men­tent­schei­dungen oder Spieler mit sehr über­sicht­li­chem Talent spotten. Aber das würde der Sache nicht gerecht werden, denn seit 45 Jahren macht dieser Klub mich glück­lich. Denn er rettet mich, jede Woche, ob am Freitag um halb sieben, am Samstag um eins oder am Montag um halb neun.

Der VfL Bochum rettet mich vor dem Fuß­ball, oder genauer: vor dem gewal­tigen Haufen Schrott, der sich inzwi­schen über dem Fuß­ball auf­türmt. Ich will gar nicht die ganze Litanei über Gier und Kor­rup­tion her­un­ter­beten und wie die Großen sich auf Kosten der Kleinen den Fuß­ball so hin­ge­bas­telt haben, wie er ihnen gefällt. Ich will nicht die Welt der Mitt­wochs-um-neun-Uhr-Klubs beklagen und eine win­ter­liche WM in Katar. All das erschöpft mich viel zu sehr, und noch mehr tut das jeden Tag der mediale Müll von Push­nach­richten über angeb­liche Krisen irgendwo und über das Wochen­ende der Giganten“, wenn doch nur der Tabel­len­zweite beim Tabel­len­vierten antritt, dar­ge­boten von gebeu­telten Außen­re­por­tern, die an der Säbener Straße das pure Nichts ver­breiten – diese ganze Men­ta­li­täts­scheiße halt. 

Sonst wäre es ja auch keine Liebe

Aber dann kommt der VfL Bochum, und alles ist wieder in Ord­nung. Außer natür­lich unsere Innen­ver­tei­di­gung. Das liegt nicht etwa daran, dass es mensch­lich edler oder mora­lisch hoch­wer­tiger ist, einen eher mit­tel­tollen Verein zu sup­porten, zu dem selbst den größten Social-Media-Hys­te­ri­kern keine Brea­king News ein­fallen. Aber ich habe halt keinen anderen, wes­halb ich also auf dem Sofa hocke, mit ver­schränkten Armen, und still den Fern­seher anschreie. Und wenn sich die Dinge zuspitzen, ver­stoße ich sogar gegen das in der Woh­nung gel­tende Rauch­verbot, schließ­lich habe ich im Laufe vieler Jahre eine hoch­ent­wi­ckelte Technik ent­wi­ckelt, Tore rein­zu­rau­chen. 

Manchmal mache ich mich von meiner Mönchs­zelle auch auf den Weg ins Sta­dion, da ist es noch viel schöner. Aber auch allein daheim fühle ich mich nie einsam, weil ich weiß, dass ich einer von Hun­dert­tau­senden bin. Bei unseren Ekstasen auf dem Sofa ver­si­chern wir uns ver­läss­lich, worum es bei dem ganzen Quatsch eigent­lich geht. Um sinn­lose, rück­halt­lose und frag­lose Liebe, die nicht klein­zu­kriegen ist. Aber sonst wäre es ja auch keine Liebe.

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Theodor Barth

Den Gegen­spieler tun­neln, ganz ohne Bein­be­rüh­rung“

Max Dinkelaker

Einst gab sich Max Din­ke­laker als Stümer aus. Später begriff er, was wirk­lich im Fuß­ball zählt.

Die Idee war ver­wegen, aber zum Schei­tern ver­ur­teilt. Im Spät­herbst 2009 zog ich aus meiner Hei­mat­stadt Berlin nach Frei­burg, offi­ziell zum Stu­dieren, ins­ge­heim aber auch, um end­lich eine Lauf­bahn als Tor­jäger ein­zu­schlagen. Mehr noch als das, ich wollte sie erzwingen. In Berlin ging das nicht, da kannten mich alle – und meine fuß­ballerischen Fähig­keiten. Ange­kommen in der süd­ba­di­schen Prärie, beim glor­rei­chen SC Eich­stetten, behaup­tete ich – gelernter Mit­tel­feld­wusler, auf­ge­rundet sieben Toren in 263 Jugend­spielen – schon immer etat­mä­ßiger Stürmer gewesen zu sein. Ein Knipser, tech­nisch her­aus­ra­gend, trick­reich und listig, eine Art Alex­ander Iaschwili, nur in gna­denlos effi­zient. War ich natür­lich nicht.

Was sich tie­fen­psy­cho­lo­gisch hinter dieser Hoch­sta­pelei ver­barg, war die Sehn­sucht danach, regel­mäßig Bewun­de­rung und Zunei­gung ent­ge­gen­ge­bracht zu bekommen. Denn der schönste Moment für jeden Fuß­baller, jene Aktion, die uns in der Woche danach selig durch den Alltag fliegen lässt, ist nun mal das selbst­er­zielte Tor. Ein Schuss, die Gewiss­heit, dass der sitzen wird, die Wärme in der Brust, wenn er dann sitzt, ein schon Sekunden später unmög­lich zu rekon­stru­ie­render Laufweg, Umar­mungen, Gebrüll, das Gefühl, in der ver­blei­benden Spiel­zeit unbe­siegbar zu sein. Mehr geht nicht. Außerdem ist es ja so: Brave Arbeits­bienen im Mit­tel­feld tau­chen am Montag nicht nament­lich in der Lokal­zei­tung auf. Nie. Des­halb wollen ja alle knipsen. 

Bloß ist nicht jeder von uns zum Tor­jäger geboren, die meisten haben allen­falls einen mit­tel­mä­ßigen Rie­cher und stehen nicht immer richtig, son­dern über­schlagen nur in etwa jedem 31. Spiel. So wie ich. Wes­halb ich als­bald wieder dorthin beor­dert wurde, wo ich hin­ge­höre, etwa fünfzig Meter ent­fernt von beiden Toren, in den umkämpften und erbar­mungs­losen Mit­tel­kreis einer holp­rigen und schlecht gemähten Ama­teur­sport­an­lage. 

Gutes Spiel, Junge

Es dau­erte einige Monate, bis ich das nicht mehr als Pro­blem begriff. Denn das Groß­ar­tige am Fuß­ball sind eben nicht nur die Tore, son­dern auch die kleinen Momente. Die, die nie­mand so richtig regis­triert. Die man ganz für sich alleine hat. Und die sich am Ende doch für alle sum­mieren zu einer Art hin­ge­wor­fener Bilanz: Gutes Spiel, Junge!

Wir lassen diese Momente am späten Sonn­tag­abend oft noch ein letztes Mal Revue pas­sieren, bevor wir sie irgendwo im Kopf ver­stauen, Platz schaffen für nächsten Sonntag und dann zufrieden neben einem leeren Piz­za­karton auf der Couch ein­pennen. Was war das für ein but­ter­wei­cher Flug­ball, was für eine sau­bere Brust­an­nahme vor dem 1:0. Und dann war da der gut ange­brachte Spruch zum geg­ne­ri­schen Trainer und der Pass vor dem Pass, der der ent­schei­dende gewesen wäre, wenn vorne mal einer richtig stehen würde. Und, vor allem, der Tunnel, den man dem Gegen­spieler ver­passt hat, ganz sauber durch, ohne Bein­be­rüh­rung, raf­fi­niert und sinn­voll, keine prol­lige Zir­kus­nummer, nach der der Trainer dich zurecht anbrüllt, dass du die Scheiße blei­ben­lassen sollst. All das macht glück­lich. Und zufrieden. Oder man ist eher der Tor­jä­gertyp.