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Dieses Inter­view erschien erst­mals im Sep­tember in 11FREUNDE #215. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich. 

Gleich zu Beginn unseres Gesprächs etwas Ver­wir­rendes: Der Song Häss­lich und faul, Musik und der HSV“ stammt nicht etwa von St.-Pauli-Fan Thees Uhl­mann, son­dern vom HSV-Anhänger Carsten Fried­richs und Die Liga der gewöhn­li­chen Gen­tlemen. Worum geht es darin?
Carsten Fried­richs: Das ist ein als Kari­katur gezeich­netes Bild meiner Jugend. Ist natür­lich alles über­trieben, die Zeile Wir hatten Schnurr­bärte schon mit drei­zehn“ stimmt zum Bei­spiel in meinem Fall nicht.

Die Acht­ziger waren wegen der vielen Hoo­li­gans eine ziem­lich fiese Zeit auf den Rängen des Volks­park­sta­dions. Wie hast du das in Erin­ne­rung?
Fried­richs: Zwie­spältig. Einer­seits habe ich mich vor diesen Leuten gefürchtet, ande­rer­seits hatte das auch einen gewissen Reiz. Es war auf jeden Fall aben­teu­er­lich, in die West­kurve zu gehen.

Carsten Fried­richs

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Pau­lina Hil­des­heim

Musik­freunde schätzen ihn als Sänger, Song­schreiber und Texter mit char­mantem Hang zur Selbst­ironie bei Bands wie Super­punk und Die Liga der gewöhn­li­chen Gen­tleman. Selbst­ironie kann er als HSV-Fan gut gebrau­chen. Er hofft auf den Wie­der­auf­stieg, glauben wäre zu viel gesagt.

Thees, warst du auch beim HSV?
Thees Uhl­mann:
Ja, klar. Mein erstes Sta­di­on­er­lebnis war beim HSV, ein 4:2 gegen Dort­mund, zu dem mich ein Leh­rer­kol­lege meines Vaters mit­ge­nommen hat. Meine beiden Omas haben in Ham­burg gewohnt, und wenn wir die besucht haben, saßen diese Löwen (HSV-Hoo­li­gans, d. Red) immer am Spring­brunnen in der Mön­cke­berg­straße. Das fand ich wahn­sinnig auf­re­gend.

Aber das hat dich nicht zum HSV-Fan gemacht?
Uhl­mann: Zuerst schon. In der Gegend, aus der ich komme, war man als Kind HSV-Fan, das war ein­fach so. Irgend­wann hat Natio­nal­spieler Wolf­gang Rolff bei uns in Hem­moor einen Sport­shop auf­ge­macht, so wie jeder zweite Fuß­baller damals. Und dann hat Thomas von Heesen dort eine Auto­gramm­stunde gegeben. Das war eines der Top-Drei-Erleb­nisse meiner Kind­heit.
Fried­richs: Ich wie­derum hatte mal ein inter­es­santes Erlebnis mit Uwe Seeler. Als Knabe habe ich mit der Spiel­ver­ei­ni­gung Blan­ke­nese im Vor­pro­gramm der Uwe-Seeler-Tra­di­ti­onself gespielt. Als die Pro­mi­nenten auf den Platz gekommen sind, haben wir uns alle auf Uwe gestürzt, um Auto­gramme zu holen, bis der irgend­wann sagte: Nimm mal einer die Kinder hier weg!“ Meine Mutter fand das unmög­lich, aber ich kann es im Nach­hinein voll­kommen ver­stehen.

Thees Uhl­mann

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Pau­lina Hil­des­heim

Als Sänger von Tomte wurde er zu einer der wich­tigsten Stimmen des deut­schen Indie-Rock. Seit ein paar Jahren ist er solo unter­wegs und hat auch einen Roman geschrieben („Sophia, der Tod und ich“). HSV-Fan als Kind, verlor er sein Herz in den Wirren der Pubertät an den FC St. Pauli.

Thees, du singst an einer Stelle deiner neuen Platte: Ich wär so gern wie Jürgen Klopp“. Wieso das denn?
Uhl­mann: Eigent­lich ist das ein Song über den ver­stor­benen Sänger Avici, den ich geliebt habe. Die etwas groß­mäu­lige Pas­sage geht so: Du warst die neuen ABBA, ich wär gern Jürgen Klopp. Du aber von Schweden und ich des deut­schen Rock.“ Jürgen Klopp ist schon Wahn­sinn, das ist ja quasi der deut­sche Außen­mi­nister. Ich finde ihn gut als Macher, als Gewinner, als dezenten Deut­schen.
Fried­richs: Inter­es­santer Drei­klang: Macher, Gewinner, dezenter Deut­scher.
Uhl­mann: Mal ehr­lich: Sich hin­zu­setzen, zu sagen I’m the normal one“ und dann die Cham­pions League zu gewinnen, das ist doch wirk­lich ne Ansage. Die Eng­länder können, glaube ich, immer noch nicht richtig fassen, dass es so einen freund­li­chen und sou­ve­ränen Deut­schen gibt.
Fried­richs: Ich weiß gar nicht, ob der in ganz Eng­land beliebt ist. 50 Kilo­meter weiter in Man­chester sieht das ver­mut­lich anders aus. Ich finde auch nicht, dass ein Trainer unbe­dingt Sym­pa­thie­träger sein muss. Von mir aus darf er ein Stink­stiefel sein. Ernst Happel war jetzt viel­leicht auch nicht das, was man im engeren Sinne sym­pa­thisch nennt.
Uhl­mann: Dafür aber mit seinen Ziga­retten und diesem Stepp­mantel bis zum Boden wahn­sinnig iko­nisch.
Fried­richs: Stimmt, der Look war ne glatte Eins.

Welche Rolle spielt Fuß­ball in eurem Leben, das ja eigent­lich von der Musik geprägt ist?
Uhl­mann: Meine Tochter hat mal gesagt: Warum suchst du dir kein Hobby, das dich glück­lich macht?“ Da waren wir gerade beim Reiten und sie hat sich gefreut, dass ihr Pferd so schön hop­pelt, wäh­rend ich par­allel zweite Bun­des­liga gehört habe und tau­send Tode gestorben bin.

Die Fans von HSV und St. Pauli eint, dass die Zeiten gerade nicht rosig sind. Wie sehr lei­dest du an deinem Verein, Carsten?
Fried­richs: Für mich ist Fuß­ball dann doch eher Zer­streuung. Ich gehe halt gerne mit meinen Freunden ins Sta­dion. Natür­lich war das in den letzten Jahren nicht unbe­dingt ver­gnü­gungs­steu­er­pflichtig, aber in der Gesamt­schau seit meinem ersten Besuch um 1978 ist die Bilanz völlig okay. Ich habe Meis­ter­schaften und einen Euro­pa­po­kal­sieg mit­er­lebt, und jetzt ist es halt gerade mal nicht so toll. Aber davon lasse ich mir nicht das Wochen­ende ver­derben, das wäre ja schreck­lich.

Warst du nach meh­reren Fast-Abstiegen erleich­tert, als das Elend ein Ende hatte?
Fried­richs: Nein, der Ver­lust dieser Kon­ti­nuität, dass der HSV immer in der ersten Liga spielt, war schon doof. Und ich muss dann doch zugeben, dass mich der jah­re­lange Abstiegs­kampf durchaus mit­ge­nommen hat. Ich erin­nere mich an das Rele­ga­ti­ons­spiel in Fürth, da hatte ich vor Auf­re­gung einen Schwä­che­an­fall. Da wurde mir kurz schwarz vor Augen, als ich von meinem Fern­seh­ca­napé auf­stand. Meine Freundin hat einen tüch­tigen Schreck bekommen, mir war es im Nach­hinein ziem­lich pein­lich.

Thees, wie bist du vom HSV-Fan der Kind­heit zu einem Anhänger des FC St. Pauli geworden?
Uhl­mann: Meine HSV-Vor­liebe hat bereits nach­ge­lassen, als ich in der D‑Jugend mit dem Fuß­ball­spielen auf­ge­hört habe. Was dann später kam, war die klas­si­sche Pauli-Kar­riere: rein in die Sub­kultur, zu den Punks, die damals schon so Fan­zine-Punks waren. Da war für mich als 16-Jäh­rigen der FC St. Pauli das abso­lute Epi­zen­trum. Ich bin also über den Umweg der Kultur wieder zum Fuß­ball gekommen.
Fried­richs: Irgend­wann war es in der Ham­burger Sub­kul­tur­szene voll­kommen ange­sagt, für St. Pauli zu sein. Da war es fast schon ein Akt der Rebel­lion, HSV-Fan zu sein. Ich hab mal als Job auf dem Kiez Flyer ver­teilt, dabei stolz meinen HSV-Schal getragen und wurde extrem böse ange­guckt. Das war richtig geil!

Was nervt euch an der gegen­wär­tigen Fan­kultur?
Fried­richs: Mir geht allein schon dieser Begriff auf die Nerven: Kultur.

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Pau­lina Hil­des­heim

Vor­sicht, du redest mit dem Magazin für Fuß­ball­kultur“.
Fried­richs: Ich weiß. Das ist ja auch ein grif­figer Titel, aber letzt­lich wird vieles zur Kultur ver­klärt, damit es sakro­sankt ist, etwa die Ess­kultur. Und mal ehr­lich, dass Leute ihren Lebens­sinn darin sehen, ob sie nun Ben­galos abbrennen dürfen oder nicht, das finde ich jen­seits von Gut und Böse. Dafür bin ich auch ver­mut­lich zu alt. Wenn ich das schon höre: Emo­tionen respek­tieren, das ist unsere Kultur, laber Rha­barber …“ Geht’s nicht ne Nummer kleiner?
Uhl­mann: Wenn 8000 Leute aus Dresden sich dafür ent­scheiden, ein Camou­flage-Shirt anzu­ziehen, im Gleich­schritt durch die Gegend zu laufen und dabei Ost‑, Ost‑, Ost­deutsch­land!“ zu rufen, finde ich das schon heftig. Ich hab halt Angst vor dem Gebräu, das dahinter ste­cken könnte. Mit Ost­deutsch­land ist ja nicht was Regio­nales gemeint, dahinter steckt ja auch eine Idee.
Fried­richs: Was hin­zu­kommt: Camou­flage geht allein schon aus ästhe­ti­schen Gründen nicht. Die Casuals in Eng­land kaufen sich wenigs­tens für 700 Euro einen Bur­berry-Mantel, um sich darin gegen­seitig auf die Glocke zu hauen. Ansonsten sind solche Sachen immer ein schmaler Grat. Es gab mal eine Aktion von Frank­fur­tern, die in Schlach­ter­kit­teln nach Kai­sers­lau­tern gereist sind. Irgendwie hat es ja auch was.
Uhl­mann: Was mich stört, ist, dass alles nur noch auf Außen­wir­kung aus­ge­richtet ist. Alle wollen per­ma­nent zeigen, dass sie die Tollsten und Stärksten sind.
Fried­richs: Biss­chen Krieg der Knöpfe“.
Uhl­mann: Naja, Krieg der Knöpfe“ mit Hell’s Angels und Kampf­sport­lern.
Fried­richs: Die Dresdner Choreo beim letzten HSV-Spiel fand ich übri­gens ganz lustig. Die hatten einen Dino und dann haben sie von oben eine Kack­wurst abge­seilt. Der Dino hat die gegessen, wieder aus­ge­schieden, und davon hat sich eine St.-Pauli-Zecke ernährt.

Thees, warst du als Fan des FC St. Pauli schon mal nei­disch auf den HSV?
Uhl­mann: Inter­es­san­ter­weise finde ich gerade die HSV-Geschichte der letzten Jahre stimmig: immer zit­tern, es gerade so schaffen und irgend­wann kannst du ein­fach nicht mehr. Mit dem Abstieg gibt es nun immerhin so etwas wie einen emo­tio­nalen Auf­bruch. Darauf bin ich tat­säch­lich ein biss­chen nei­disch.
Fried­richs: Der berühmte Abstiegs­neid.
Uhl­mann: Wenigs­tens pas­siert mal was. Das ist etwas, das mir bei St. Pauli im Moment fehlt. Ich möchte mich nicht ständig über den Miss­erfolg des HSV defi­nieren. Das finde ich trist und blöd.

Klingt nicht nach der ganz großen Ham­burger Riva­lität.
Fried­richs: Sagen wir so, meine Freundin ist St.-Pauli-Fan und mein Band­kol­lege Gun­ther ebenso. St. Pauli wird nie mein Lieb­lings­verein werden, und ich fand den Klub auch immer ein biss­chen panne, aber dass ich einen rich­tigen Hass hätte, kann ich nicht sagen.
Uhl­mann: Was genau fin­dest du an St. Pauli panne?
Fried­richs: Dieses Sen­dungs­be­wusst­sein. Manchmal habe ich den Ein­druck, die kommen sich vor wie die Weiße Rose. Und dann dieses Frei­beuter-Getue! Ande­rer­seits haben sie das natür­lich image­mäßig sehr clever gemacht: sich als Rebellen zu insze­nieren, obwohl sie nur die Mei­nung von 70 Pro­zent der Ham­burger Bevöl­ke­rung wie­der­käuen.
Uhl­mann: Aber das alles ist doch aus sich selbst heraus ent­standen! Wenn wir bei den späten Acht­zi­gern anfangen, ist St. Pauli seitdem gewachsen wie die Grünen, mit allen Vor- und Nach­teilen. Aber ich finde auch, dass diese Geschichte langsam zu Ende erzählt ist.

Womit du auf der Linie von Trainer Jos Luhukay liegst, der gefor­dert hat, die Klub­men­ta­lität in den Müll­eimer zu werfen.
Uhl­mann: Das Drum­herum wird bei diesem Verein immer wichtig sein, und das finde ich auch gut.(Pause.) Aber ich hätte echt gerne mal wieder sport­li­chen Erfolg, das muss ich schon sagen.

Das wird den HSV-Fans ähn­lich gehen. Carsten, was lässt dich glauben, dass der HSV diesmal den Auf­stieg packt?
Fried­richs: Ich habe Hoff­nung, aber keinen Glauben. Dafür bin ich schon zu lange Fuß­ballfan. Lange habe ich zum Bei­spiel daran geglaubt, dass neue Spieler beim HSV an ihre vorigen Leis­tungen anknüpfen werden. Wenn ich Bobby Wood bei Union Berlin gesehen habe, hat der immer geknipst. Und dann kommt der zum HSV und hat … naja. Viel­leicht ist die Bürde dieses Tri­kots zu schwer.
Uhl­mann: Das kenne ich genauso vom FC St. Pauli. Am Anfang kriegen die Neu­zu­gänge gleich immer zu hören: Du spielst hier nicht bei einem nor­malen Verein, du spielst für St. Pauli.“ Und schon geht es mit ihnen bergab.

Und so feiert sich Berlin mit seinen zwei Erst­li­gisten als neue Fuß­ball­haupt­stadt, wäh­rend Ham­burg abge­hängt ist.
Fried­richs: Das halte ich eher für Zufall. Wenn wir 70 sind und mit dem Kopf wackeln, wird viel­leicht wieder Ham­burg ganz vorn sein mit dem HSV und St. Pauli. Viel­leicht gibt es dann ja auch Red Bull Ham­burg. Oder irgendein ver­rückter Scheich kauft Vik­toria.