Polizeigewalt, Hooliganismus, leere Stadien – Fußball in Weißrussland ist sicherlich kein Zuckerschlecken. Noch dazu, wenn man sich als Frau für eine bunte Fankultur engagiert.
Westeuropäische Fußballfans verbinden Weißrussland vor allem mit zwei Namen: Aleksander Hleb und BATE Baryssau. Der eine ist ein Spieler, der einst für den VfB Stuttgart und den FC Barcelona aktiv war. Der andere ist ein Klub, quasi der FC Bayern Weißrusslands, der sich immerhin schon viermal für die Champions League qualifizieren konnte.
Ansonsten erlangte die ehemalige sowjetische Republik vor allem aufgrund ihres autokratischen Präsidenten Alexander Lukaschenko Aufmerksamkeit, der das Land seit mehr als 20 Jahren regiert und der es mit den Menschenrechten nicht sehr genau nimmt.
Die 24-jährige Volha Trafimowitsch stammt aus Weißrussland und ist seit ihrer Kindheit Fußballfan. Das erste Mal besuchte sie im Alter von zehn Jahren ein Spiel des FK Njoman Hrodna. Der Klub aus ihrer Heimat Hrodna spielt seit 1991 ununterbrochen in der ersten weißrussischen Liga, größte Erfolge sind der Pokalsieg 1993 und die Vize-Meisterschaft 2002.
Seit drei Jahren arbeitet Trafimowitsch zudem als Fanbeauftragte in Hrodna, anfangs ehrenamtlich, seit einigen Monaten hat sie offiziell die Funktion „Spezialistin in der Arbeit mit Fans“ inne. Wir haben sie getroffen.
Volha Trafimowitsch, im vergangenen Jahr haben Sie an einem Seminar in Deutschland teilgenommen, bei dem es um sozialpädagogische Fanprojekte ging. Warum existieren solche Projekte nicht in Weißrussland?
Weil es es schlichtweg keine kulturellen Ansätze dafür gibt. Fans sollen hier Eintritt bezahlen – mehr nicht. Für deren persönliche Probleme interessiert sich niemand. Nur wenn es beispielsweise Probleme mit Choreographien gibt, kommt es schon mal vor, dass sich die Klubs für Fans einsetzen.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Zusammen mit ein paar Ultras wollten wir einmal bei der Polizei – bei uns heißt sie Miliz – eine Choreographie mit 30 Doppelstockhaltern genehmigen lassen. Die Polizei erlaubte aber nur 15, was die Performance natürlich beeinträchtigt bzw. unmöglich gemacht hätte. Als sich der Klub sich schließlich einmischte, wurden immerhin 26 Doppelstockhalter genehmigt. So ist das ständig. Die Polizei entscheidet, wie es ihr passt, und der Verein versucht derweil zu helfen, wie er kann. Aber auch das hat seine Grenzen.
Das sind aber sicherlich nicht die größten Probleme im weißrussischen Fußball.
Schlimmer ist das aggressive Vorgehen der Polizei vor Ort. Die Fans werden am Stadioneingang und den Eingängen zu den Sektoren sehr genau durchsucht. Ich habe ja die Sicherheitskontrollen in Deutschland gesehen. Die sind auch sehr genau, aber bei uns treibt man das bis zur Absurdität. Da können sich die Sicherheitsleute fast benehmen, wie sie wollen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei einer Auswärtsfahrt nach Gomel wurden unsere Fans in einen speziellen Raum gebracht, wo sie von oben bis unten durchsucht wurden – überall, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die wurden wie Verbrecher behandelt. In anderen Stadien fotografierte man die Fans einzeln und nahm ihre persönlichen Daten – ohne dass irgendwas vorgefallen war. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir in einer anderen Stadt seelenruhig in einem Café gesessen haben und dann von der Polizei mitgenommen und auf die Station gebracht wurden. Dort fragten uns die Beamten uns dann aus und durchsuchten uns, so dass wir das Spiel verpassten.
Wie reagieren Sie als Fanbeauftragte in solchen Situationen?
Ich versuche einen kühlen Kopf zu bewahren und sachlich mit den Polizisten zu reden, aber das ist häufig aussichtslos. Wehren kann man sich kaum, was wiederum mit der fehlenden Rechtssicherheit im Land zu tun hat.
Welche speziellen Probleme haben die Fans Ihres Vereins?
Hier landet ein Fan schon auf der Polizeistation, wenn er nur einen Aufkleber mit ins Stadion bringt. Ein Dialog ist nicht möglich, denn die Polizei tritt sehr aggressiv auf. Das fängt schon in der Ansprache an. Da kann man sich häufig Sprüche anhören wie: „Warum seid ihr Penner überhaupt ins Stadion gekommen? Wegen euch Idioten geht mein freies Wochenende drauf.“
Wie würden Sie die Ultra-Kultur in Weißrussland charakterisieren?
Ultras haben sich in den vergangenen zehn Jahren bei uns entwickelt, aber sehr zaghaft. Sie organisieren Choreographien und denken sich kreative Gesänge aus. Bei einem Heimspiel beteiligen sich zwischen fünf und zehn Prozent der Stadionbesucher an unterstützenden Gesängen. Der Rest schweigt meistens. Gerade die jungen Fans schauen zu den Ultra-Bewegungen in anderen europäischen Ländern auf.
Von welchen Größenordnungen sprechen wir denn?
In der vergangenen Saison hatten wir durchschnittlich 1635 Zuschauer bei unseren Spielen. Davon sind etwa 100 aktive Fans, die aber nicht alle zu den Ultras gehören. Im Durchschnitt fahren etwa 20 Anhänger regelmäßig zu den Auswärtsspielen. Es ist also alles sehr übersichtlich.