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Dieser Text erschien erst­mals am 20. Mai 2018, dem Tag nach Frank­furts Pokal­sieg. Mitt­ler­weile ist er sogar im Ein­tracht-Frank­furt-Museum zu lesen. 

Dass ich meine Freundin liebe, hat etwa 1.453.256 Gründe. Irgendwo weit oben auf der Skala, zwi­schen ihrem Humor und der Art und Weise, wie ihre Nase wackelt, wenn sie redet, ist die lie­be­volle Gleich­mü­tig­keit, mit der sie meine Liebe zum Fuß­ball im Gene­rellen und zu Ein­tracht Frank­furt im Spe­zi­ellen begleitet. Sams­tag­nach­mit­tage in die­sigen Fuß­ball­kneipen, miese Laune nach dem Sta­di­on­be­such, lang­wei­lige Mono­loge über den neuen Links­ver­tei­diger aus Eind­hoven und warum dieser so eine gute Ver­stär­kung sein könnte – auch wenn es sie manchmal nervt, macht sie keine große Sache daraus.

Irgend­wann zu Beginn unserer Bezie­hung, als es die Ein­tracht gerade mal wieder ver­kackt hatte, fragte sie mich einmal, warum ich mir das über­haupt antue. Sie weiß natür­lich, dass man aus der Nummer nicht mehr raus­kommt. Dass man, wenn man sein Herz an einen Verein ver­loren hat, es nicht wieder bekommen wird, auch wenn das manchmal die wahr­schein­lich ein­fa­chere Vari­ante wäre. Ihre Frage war den­noch berech­tigt, denn diese ein­fache Wahr­heit, dass man sich seinen Verein nicht aus­sucht und ihm an- und nach­hängt, ist oft, und wahr­schein­lich für die meisten, irra­tional, anstren­gend und mit­unter schmerz­haft.

Warum gehen wir über­haupt zum Fuß­ball?

Denn warum gehen wir über­haupt zum Fuß­ball? Klar, wenige Dinge sind so schön wie ein Sta­di­on­be­such mit den Kum­pels, der Zusam­men­halt, das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das groß und für die­je­nigen links und rechts von dir genauso wichtig ist. Und natür­lich gibt es sie, die kleinen Bon­bons im Alltag: ein unver­hoffter Sieg, ein Traumtor, das man live im Sta­dion sieht, oder mal eine uner­war­tete Tabel­len­po­si­tion.

Aber der Fuß­ball im Jahre 2018 gibt einem auch genug gute Gründe, um den Fern­seher abzu­schalten oder sich anderen Hobbys zu widmen. Eine Meis­ter­schaft, die nicht mehr span­nend ist. Eine gro­tesk über­fi­nan­zierte Cham­pions League. Eine ver­kaufte WM eines kor­rupten Ver­bands. Zumal es einem der eigene Klub ja auch oft schwer genug macht. Als die Ein­tracht am ver­gan­genen Wochen­ende die Europa League scheinbar ver­schenkt hatte, mit einer blut­leeren Vor­stel­lung, saß mein Cousin, mit dem ich seit 25 Jahren durch dieses Tal namens Fuß­ball gehe, mit leerem Blick neben mir und sagte: Ich kann das nicht mehr. Das zieht zu viel Energie.“ Seit Ros­tock hängt der Ein­tracht der Ruf an, im ent­schei­denden Moment zu ver­sagen, im kol­lek­tiven Gedächtnis der Fans hat er sich zur Gewiss­heit ver­knö­chert. Vor allem nach dem Kovac-Abgang war für viele von uns klar: Jetzt geht dieser Mist wieder von vorne los.

Bliebe die Hoff­nung

Was aber immer bleibt, ist die Hoff­nung. Als Anhänger eines Ver­eins wie Ein­tracht Frank­furt lebt man von der Hoff­nung, und das quasi aus­schließ­lich. Dieser kleine, irra­tio­nale, win­zige Gedanke, irgendwo weit hinten im Kopf, dass mit ein biss­chen Glück viel­leicht ja doch irgend­wann… Aber man weiß natür­lich, dass mit jedem Jahr, mit dem sich der Fuß­ball weiter in seine gegen­wär­tige Rich­tung bewegt, die Chance kleiner und kleiner wird, die Abstände zwi­schen oben und unten größer, und die Sinn­frage damit droht, immer akuter zu werden, auch wenn die Ant­wort darauf, warum wir das über­haupt machen, natür­lich stets die gleiche bliebe. Weil es nun mal so ist.

Aber die Hoff­nung stirbt eben nicht nur zuletzt, manchmal geht sie auch ein­fach in Erfül­lung. Als ich am Samstag im Ber­liner Olym­pia­sta­dion stand und schreiend meinen Cousin im Arm hielt, als Mijat Gaci­n­ovic seine 70 Meter in die Ewig­keit rannte, fühlte sich das an, als löste sich ein Knoten, den ich, die zahl­losen anderen Fans, der Verein, die Stadt, seit 30 Jahren nicht hatten lösen können. Und er löste sich auf eine Weise, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht so per­fekt hätte aus­malen können. In diesen acht, neun Sekunden, auf diesen 70 Metern, über die Gaci­n­ovic mit seinen dünnen Bein­chen raste, mit dem ungleich stäm­mi­geren Hum­mels hinter sich, wie er sich vier, fünfmal umsah, wäh­rend das Tor immer näher und das Geschrei immer größer wurde, vor sich eine zu einer tobenden Masse ver­schmel­zende Fan­kurve, die Mit­spieler die an der Sei­ten­linie mit ihm rannten, als wollten sie ihn ins Tor tragen; in diesen acht, neun Sekunden, stand die Welt still, war alles schwe­relos. Die ganze Wucht, die dieser Sport haben kann, alles, was ihn zu etwas so Großem und Bedeut­samen macht, steckte in diesem einen Sprint, in diesen acht, neun Sekunden. Und wäh­rend Mijat Gaci­n­ovic ein­fach wei­ter­lief, über die Bande, hin zu den Fans und noch weiter, bis in ihre weit offenen Herzen, hielt ich meinen heu­lenden Cousin im Arm, und er seinen.

Weil es sich lohnt, weil alles gut wird“

Als Anhänger von Ein­tracht Frank­furt steht man nun vor der eigen­ar­tigen Auf­gabe, seine Fan-Iden­tität neu zu jus­tieren, irgendwie anzu­passen. Weg vom War-ja-klar, hin zum Wir-haben-es-geschafft. Weg vom Trauma von Ros­tock, hin zum Wunder von Berlin. Als mich meine Freundin damals fragte, warum ich mir das antue, ant­wor­tete ich im Scherz: Weil es erdet“, und im Ernst: Weil es ein Teil von mir ist.“ Außerdem ist es, bei allem Schmerz und aller Ent­täu­schung, ein großer Spaß, und etwas zu haben, das einen kon­stant emo­tional berührt, auch wenn nicht immer nur auf posi­tive Weise, ist von unschätz­barem Wert. Man fühlt, man ist ver­bunden mit etwas, man lebt. Das wäre heute meine Ant­wort, wenn sie mich noch einmal fragen würde, ergänzt viel­leicht durch ein: Weil es sich lohnt, weil alles gut wird, weil man doch irgend­wann mal auf der Seite der Sieger steht, auch wenn es 30 Jahre dauert und man schon gar nicht mehr daran geglaubt hat.“

Sekunden nach dem Tor zum 3:1 schrieb mir meine Freundin eine Nach­richt, dass sie zuhause fast habe weinen müssen. Nicht unbe­dingt wegen des Titels oder wegen Ein­tracht Frank­furt, sie ver­folgt die Spiele wie gesagt eher gleich­mütig. Son­dern weil sie weiß, wie viel mir das alles bedeutet und dass wir nun eben gemeinsam in der Sache drin­ste­cken. Von zahl­losen emo­tio­nalen Momenten an diesem Wochen­ende war dieser einer der emo­tio­nalsten, den viele andere Frank­furt-Fans in ihren jewei­ligen Vari­anten so ähn­lich erlebt haben werden (Jeder Fan, mit dem ich gespro­chen habe, hat dut­zende Nach­richten von Freunden und Ver­wandten bekommen). Hätte ich sie nicht sowieso schon gefragt, ob sie mich hei­raten will, hätte ich es in diesem Moment wohl getan. Wahr­schein­lich sogar mit dem Zuge­ständnis, dass wir nicht in einer Fuß­ball­kneipe hei­raten.