Brasiliens Serie A ist ein riesiges Trainergrab. Nach 18 Spieltagen sind bereits 19 Fußball-Lehrer entlassen oder haben selbst die Flucht ergriffen. Bestandsaufnahme eines Himmelfahrtskommandos.
Genau 180 Minuten hatte es Nelsinho Baptista (68) auf der Trainerbank von Sport Recife ausgehalten. Dann packte den Routinier auf seiner insgesamt 32. Trainerstation seit 1985 die blanke Wut. Soeben hatte der Klub mit dem er vor neun Jahren den brasilianischen Pokal gewonnen hatte, zwar ein achtbares 1:1 gegen Botafogo erkämpft, aber Baptista hatte bereits am zweiten Spieltag der brasilianischen Serie A die Nase gestrichen voll. „Ich bin raus bei Sport“, verkündete der Mann, der zuvor durchaus erfolgreich in Japan gearbeitet hatte, den verdutzten Journalisten auf einer von ihm selbst einberufenen Pressekonferenz: „Mit diesen Personen, die alle Welt aufs Kreuz legen, kann ich nicht zusammenarbeiten.“
Ständig wird gespielt
Baptistas Demission im April war der Beginn einer in Brasilien einzigartigen Kahlschlagkultur rund um die Trainergilde. Der Fußballlehrer, der alle großen brasilianischen Klubs trainierte, erlebte nach fast einem Jahrzehnt Aufenthalt im ziemlich zuverlässigen Japan, wie im heimischen Brasilien sämtliche Versprechen gebrochen wurden. Statt einer schlagkräftigen Mannschaft wurde ein Leistungsträger nach dem anderen verkauft. Baptista entschied sich: Ich bin dann mal weg.
Inzwischen sind seit Saisonbeginn im April trotz WM-Pause bereits eindrucksvolle 18 Spieltage absolviert, alle 4,5 Tage steht also ein Meisterschaftsspiel statt. In die viel zu langen 108 Stunden dazwischen packen die Spielplaner dann noch die Hin- und Rückspiele im brasilianischen Pokal, die Hin- und Rückspiele in der Copa Libertadores und der Copa Sudamericana und die bisweilen atemberaubend langen An- und Abreisen quer durch die Klima und Höhenzonen eines ganzen Kontinentes. Obendrein erfreut in Vorbereitungszeit eine wochenlange Regionalmeisterschaft die Terminplaner.
Nachhaltigkeit nicht möglich
So kam Flamengo aus Rio de Janeiro im vergangenen Kalenderjahr auf 83 Pflichtspiele. Zum Vergleich: Bayern München absolvierte im gleichen Zeitraum nur 53 Partien. „Eine nachhaltige Trainerarbeit ist in Brasilien eigentlich nicht möglich“, sagte Brasiliens Weltmeisterkapitän von 1994 Dunga nach dem WM-Desaster 2014. Da hatte er gerade das Amt des Nationaltrainers übernommen und pochte nach dem historischen 1:7 gegen Deutschland auf strukturelle Veränderungen. Doch man ahnt es schon: Nicht die Strukturen wurden geändert, sondern der Trainer entlassen, als es mit der Seleçao in der WM-Qualifikation nicht so recht lief.