Unseren Autoren wurde ein Interview mit Marco Delvecchio zugesagt. Was sie nicht bedachten, war die Divenhaftigkeit des italienischen Stürmers, selbst bei einem Altherrenturnier.
Irgendwann merkte auch Thomasz Waldoch, den Fußballfans als gewissenhafter Treter in Erinnerung, dass man Delvecchio an diesem Tag schon mit einer UZI ins Knie schießen müsste, damit er ein Foul gepfiffen bekommt. Und polierte dem missmutigen Italiener fortan bei jeder Gelegenheit die Schienbeine. „Das wird nix mit dem Interview“, sagte ich zum Kollegen, als Delvecchio mit schmerzverzerrtem Gesicht liegenblieb, nur um Sekunden später aufzuspringen und den Schiri zu bestürmen, etwa das zwanzigste Mal. Kurz vor Schluss vergab er dann auch noch die Chance zum Ausgleich, mit dem Schlusspfiff stürmte er schimpfend vom Platz, als sei er gerade um den Europameistertitel betrogen worden, was blöd war, schließlich ging meine erste Interviewfrage in etwa diese Richtung. Wir folgten seinen Hasstiraden in die Katakomben.
Dort saß Delvecchio wie ein trotziger Schuljunge vor der Kabine und erläuterte in einem lauten, leidenschaftlichen Monolog seiner lächerlich schönen Frau, was für eine Schweinerei das alles war. Das Spiel, der Schiri, der Waldoch. Verschüchtert stand ich im Gang und hielt mir meinen Collegeblock vor die Brust. „Stronzo“, hörte ich und merkte, wie mich ein Blick kalten Hasses traf. Der hilflos wirkende Pressesprecher wechselte ein paar Worte auf Italienisch mit seinem Starstürmer, und obwohl mir der italiensche Kollege versicherte, es sei um das Interview gegangen, kam es mir doch vor, als habe Delvecchio gerade mich und meine Familie mit klaren, ehrabschneidenen Worten bedacht. „Later“, sagte der Pressesprecher, „no“, hörte ich von Delvecchio, „after next game“, so der Pressesprecher.
Ein ganzes Wörterbuch an italienischen Schimpfwörtern
Dummerweise war der 1. FC Nürnberg der nächste Gegner des AS Rom. Und damit Andreas Wolf Delvecchios Gegenspieler, der ja lediglich eine Variation des Waldochschen Verteidigertypus ist. Zwanzig Minuten, viele, viele Tritte, ebensoviele Schwalben, eine 2:4‑Niederlage des AS Rom und ein ganzes Wörterbuch an italienischen Schimpfwörtern später waren der Kollege und ich die einzigen Menschen in der Halle, die nicht über Delvecchios Divenhaftigkeit lachten. In den Katakomben, der AS Rom war ausgeschieden, fragte ich sachte nach dem Interview. „After shower“, log der Pressesprecher, während Marco Delvecchio mich und meinen Kollegen ansah, als würde er am liebsten Dinge mit uns tun, die er sich bei Thomasz Waldoch und Andreas Wolf nicht getraut hatte.
Nach der wahrscheinlich längsten Dusche in der Geschichte des Fußballsports kam Marco Delvecchio dann tatsächlich aus der Kabine. Wie einer Drei-Wetter-Taft-Werbung entstiegen stapfte er auf uns zu, drückte mir halb entschuldigend halb widerwillig die Hand und ging mit dem Verweis “Mangiare“ in Richtung VIP-Bereich, zu dem wir keinen Zutritt hatten. „Later“, log der Pressesprecher erneut, aber da war bereits die Erkenntnis gereift, dass es vielleicht ganz okay ist, wenn manche Fußballer unerreichbar bleiben. Auch, wenn man sie früher im Panini-Album hatte.