Unseren Autoren wurde ein Interview mit Marco Delvecchio zugesagt. Was sie nicht bedachten, war die Divenhaftigkeit des italienischen Stürmers, selbst bei einem Altherrenturnier.
Das alljährliche Traditionsmasters in Berlin ist eine rundum schöne Sache. Man sieht gealterten Fußballgranden dabei zu, wie sie ihre Bauchansätze schwerfällig über den Kunstrasen schleppen, erinnert sich an eine selige Zeit, in der man ebenjene Pavel Kukas und Martin Max’ begeistert in sein Panini-Album klebte und kann nebenher noch ein paar Interviews führen, mit Ex-Spielern, die ansonsten unerreichbar bleiben.
Typen wie Marco Delvecchio. Delvecchio, Sturmlegende des AS Rom und Finaltorschütze bei der EM 2000, stand als wohl prominentester Name im Traditionsmasters-Aufgebot des AS Rom. “Ha!“, jubilierte der aufstrebende Jungjournalist in mir und formulierte erste knallharte Fragen: „Welche Bodylotion benutzt Francesco Totti?“, „Wofür steht das A. in AS Rom?“ „Herr Delvecchio, verraten Sie unseren Lesern: Warum haben Sie das Angebot von Wattenscheid 09 damals abgelehnt?“. Flugs war eine Interviewanfrage gestellt, wenig später die Antwort: „20 minutes time, after the first game, Marco will be pleased to talk to you.“ „Ha!“
Wurst, Bier und Schweiß
Also fand ich mich mit meinem Kollegen Sebastian am frühen Nachmittag in der Max-Schmeling-Halle ein. Die heilige Dreifaltigkeit des Fußballgeruchs – Wurst, Bier und Schweiß – lag in der Luft. Am Spielfeldrand stand Olaf Thon und frotzelte zufrieden mit Matthias Herget, und als wir unsere Plätze einnahmen, schlenderte Marco Delvecchio auf den Platz, um sich warmzumachen. „Oh oh“, dachte ich.
Denn dieser Delvecchio war anders. Mit seinen langen, gut geölten Haaren, dem Goldkettchen, das er selbstbewusst über dem Trikot trug, und den ledernen Armbändchen am Handgelenk, die akkurat aufgereit schienen, wirkte er wie ein Gegenentwurf zu den Thomasz Waldochs und Bjarne Goldbaecks auf der anderen Seite, die, während sie sich mühsam dehnten, wahrscheinlich über Haarausfall oder Granufink redeten. Delvecchio schüttelte sich die Mähne aus seinem aus Carrara-Marmor modellierten Gesicht und machte lustlos ein paar Alibi-Stretchingübungen, bevor er sich zum Mannschaftsfoto aufstellte und mit der Siegesgewissheit eines italienischen Superplayboys in die Kamera lächelte.
Wild reklamierend beim Schiedsrichter
Das Lächeln sollte ihm aber schnell vergehen. Bereits nach wenigen Sekunden der ersten Partie klammerte sich Delvecchio an seinen Gegenspieler Waldoch, um in einer Drehbewegung selber plump zu Boden zu gehen und hilfesuchend zum Schiri zu blicken, in der Hoffnung, Waldochs schlimmes Vergehen möge mit aller Härte des Regelwerks geahndet werden. Der Schiri blieb indes unbeeindruckt, sowohl beim ersten als auch beim zweiten, dritten, vierten, fünften und sechsten Versuch Delvecchios, einen Elfer zu schinden, als liefe hier die letzte Minute eines wichtigen Finals und nicht die erste Halbzeit eines Altherrenturniers.
Was freilich nichts daran änderte, dass Delvecchio mit jedem erfolglosen Schwalbenversuch übellauniger wurde. Ab dem dritten Versuch bestürmte er wild reklamierend den Schiedsrichter, anstatt den Kollegen beim Verteidigen zu helfen, was einerseits in einem schnellen Rückstand resultiere, andererseits in lauter werdendem Gejohle auf den Rängen, immer dann, wenn Delvecchio sich gleichermaßen entgeistert und theatralisch vom Schiri abdrehte und hilfesuchend die Arme gen Publikum hob.