Marc-André ter Stegen spielt nur in der Champions League und im Pokal. Dabei hat der FC Barcelona mit ihm seit September kein Spiel mehr verloren.
So kann man die Geschichte erzählen, wäre da nicht immer noch dieser Schönheitsfehler. Denn in der Liga steht nach wie vor Claudio Bravo im Tor. Der Chilene wurde ebenfalls im Sommer 2014 verpflichtet, und eigentlich musste sich ter Stegen vorkommen wie im falschen Film. Denn Zubizarreta hatte ihm doch versprochen, dass er bei Barca Stammkeeper sein werde. Wieso holte er also einen Nationaltorhüter für zwölf Millionen Euro von Real Sociedad?
„Claudio macht seine Sache bislang sehr gut“
Aber selbst das eklärt ter Stegen mit dieser frühreifen Diplomatie, für die ihn die Trainer und Medienberater loben und bei der ihn die Journalisten am liebsten durchschütteln möchten. Also, sagt der Keeper. Er habe ja etliche Szenarien mit seinem alten Torwarttrainer Uwe Kamps durchgespielt – eine Verletzung genauso wie eine mögliche Konkurrenzsituation. Er sagt: „Dass Barca nicht nur einen Torhüter auf hohem Niveau braucht, ist normal. Man sieht das auch beim FC Bayern: Die haben hinter Manuel Neuer zwei weitere klasse Torhüter.“
Kurz nachdem Claudio Bravo auftauchte, verletzte sich ter Stegen am Rücken und fiel über einen Monat aus. Während der Deutsche sich also in der Reha abstrampelte, sah er, wie Bravo fehlerfrei spielte. In den ersten acht Partien kassierte er kein einziges Gegentor. Aktuell führt Barcelona die Primera Division an, und Bravo hält weiterhin großartig. Bei 35 Ligaspielen musste er nur 19 Mal hinter sich greifen.
„Claudio macht seine Sache bislang sehr gut“, sagt ter Stegen also. Aber die Situation haue ihn nicht um. Schließlich spiele er nicht in „irgendeinem Kirmes-Pokal“ oder in der zweiten Mannschaft, sondern in der Copa del Rey und in der Champions League.
„Ich muss ihn ausschalten!“
Aber trotzdem ist da doch eine Unzufriedenheit hinter dem Lächeln, oder? Herr ter Stegen? Der Torwart überlegt. Dann sagt er: „Auch wenn ich ihm nie etwas Schlechtes wünschen würde, muss ich ihn am Ende ausschalten.“
Es ist ein Geduldsspiel. Ein Duell, in dem zwei offenbar perfekte Torhüter darauf warten müssen, dass der andere den ersten Fehler macht. Dass er einmal zu spät aus dem Tor rennt. Dass er einmal eine Flanke unterläuft. aus der Hand rutscht. Dass ihm einmal ein Schuss aus der Hand rutscht. Dass er langsamer ist als der Kontrahent. High noon. Die spanischen Journalisten haben die Titel schon im Anschlag.
Heute wartet Bravo also wieder – und ter Stegen kann vorlegen. In einem Spiel, das im Übrigen ein weiteres Fernduell ist, und zwar zwischen dem aktuellen König der Torhüter und seinem Kronprinzen. Und auch in Deutschland wissen die Journalisten, wie sie Titel produzieren – so wurde aus Ter Stegens Zitat „Es wird ein Spiel auf Augenhöhe“ Anfang der Woche bei einigen Medien kurzerhand die Nachricht „Ter Stegen sieht sich auf Augenhöhe mit Neuer.“
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