Der VfL Bochum ist seit Monaten das Team der Zweiten Liga. Dahinter steckt eine Strategie, die schon Eintracht Frankfurt zu Erfolgen führte.
Wer sich in diesen Tagen, an denen der VfL Bochum auf dem zweiten Platz der Zweiten Liga steht, ein wenig mit der Mannschaft beschäftigt, dürfte schnell stutzen. Was soll das denn sein: ein globales Kuriositätenkabinett? In der Abwehr spielen ein Grieche, der aus der spanischen zweiten Liga kam, und ein Costa Ricaner aus Schottland. Im Mittelfeld taucht ein Ghanaer auf, der aus der Türkei kam und vorher in Italien spielte, außerdem ein in Kampala geborener Deutsch-Ugander mit dem typisch ugandischen Namen Herbert Bockhorn. Vorne stürmt ein Kongolese, der über Marokko, die Türkei und Belgien in Bochum landete, sowie ein 26-jähriger Ungar, der schon bei elf Vereinen spielte und Goalgetter in der zweiten koreanischen Liga war. Die Aufzählung des 15-Nationen-Teams ist nicht einmal annähernd vollständig, und wer kommt als nächstes? Ein Italo-Russe aus Mexiko? Ein Chinese aus Norwegen?
Das klingt jedoch schräger und mehr nach zusammengewürfeltem Haufen als es in Wirklichkeit ist. Zumal dahinter ein Plan steckt, den man „Drittel-Strategie“ nennen könnte. Jedenfalls erklärt Sebastian Schindzielorz, der Geschäftsführer Sport des Klubs: „Ich würde den Kader dritteln.“ Die Legionäre aus aller Welt machen ein Drittel der Spieler aus, daneben gibt es erprobte Zweitliga-Fachkräfte, für die beispielhaft Torwart Manuel Riemann, Mannschaftskapitän Anthony Losilla und Stürmer Simon Zoller stehen. Das dritte Drittel bilden Youngster, vielfach aus dem eigenen Nachwuchs, von denen U21-Nationalspieler Maxim Leitsch und der 18-Jährigen Armel Bella-Kotchap gerade die Innenverteidigung bilden.
Aber besonders auffällig sind eben jene Transfers, bei denen „es ein gewisses Risiko gibt“, wie Schindzielorz zugibt. Rechtsverteidiger Cristian Gamboa nahm mit Costa Rica schon an einer WM teil und spielte in den ersten Ligen in England, Norwegen und Schottland. Aber bei Celtic Glasgow war er nur noch Ersatz, bevor er nach Bochum kam. Verteidiger Vasilios Lampropoulos wurde mit AEK Athen griechischer Meister, spielte Champions League, landete aber bei Deportivo La Coruna in der zweiten spanischen Liga. Und der Ghanaer Raman Chibsa machte 94 Spiele in der italienischen Serie A, bevor es ihn zu Gaziantep in die Türkei verschlug.
Diese Spieler haben also schon mal ihre Qualität bewiesen, man wusste nur nicht, ob sie wieder dahin kommen. „Das ist nicht ganz unähnlich zu dem, was Eintracht Frankfurt gemacht hat“, sagt Schindzielorz. Fredi Bobic verpflichtete auch eher Spieler aus Frankreich oder Spanien als aus Deutschland und stellte eine globale Truppe zusammen, die erst den Pokalsieg schaffte und dann eine sensationelle Saison in der Europa League hinlegte. Anders als Bobic hat Schindzielorz allerdings weniger Spieler ausgeliehen, sondern ablösefrei verpflichtet.
„Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich auch am liebsten einen 20-jährigen deutschen U‑Nationalspieler verpflichten, weiterentwickeln und irgendwann mit Gewinn transferieren“, sagt er. Aber das liegt weit außerhalb der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Selbst bei jungen, ambitionierten Zweitligaspielern wie dem Wiesbadener Daniel-Kofi Kyereh oder dem Ingolstädter Maximilian Thalhammer, die zu St. Pauli bzw. Paderborn wechselten, hatte Schindzielorz im Wettbieten keine Chance. Der VfL Bochum, ganz früher mal in der Bundesliga „unabsteigbar“, dann eifriger Fahrstuhlklub, steckt seit elf Jahren in der zweiten Liga fest. Dementsprechend liegt der Etat im Mittelfeld der Liga.
Das macht die Arbeit nicht leichter, auch weil die meisten Zuschauer sich durchaus noch an Spiele gegen Dortmund, Schalke und Bayern erinnern können. Die Zweitklassigkeit wird ums Ruhrstadion immer noch nicht als Normalität, sondern als Makel empfunden. „Es ist die Historie des Klubs, die gilt es zu respektieren“, sagt Schindzielorz schicksalsergeben, zumal er selbst zu dieser Historie gehört. Der VfL Bochum wurde für ihn als Kind zum Anlaufpunkt, als seine Familie aus Polen nach Deutschland übersiedelte. Später spielte er fünf Jahre als Profi für den Klub, bevor er nach Köln und später Wolfsburg wechselte.
Als der Klub im September 2019 Robin Dutt entließ und lange Zeit im Tabellenkeller steckte, spürte Schindzielorz „die Wucht des Traditionsklubs“ auf sehr unangenehme Weise. Doch im Moment macht sich selbst beim schnell mäkeligen Bochumer Publikum wieder etwas Optimismus breit. Seit dem Restart in der letzten Saison holte keine Mannschaft mehr Punkte als der VfL Bochum. Das ungewöhnliche Konglomerat aus Legionären, Routiniers und Youngstern funktioniert.
Vorsichtig optimistisch, Bochum Geschäftsführer Sport Sebastian Schindzielorz
Dass die Mannschaft nach neun Saisonspielen sogar Tabellenzweiter ist, will Schindzielorz dennoch nicht überbewerten: „Die Zweite Liga ist sehr ausgeglichen, die Spiele sind immer auf Messers Schneide, und da können auch schnell mal zwei oder drei Spiele auf die andere Seite kippen.“ Zuletzt passte es, Fortuna Düsseldorf wurde allerdings bei fast neunzigminütiger Überzahl mit 5:0 abgeschossen, beeindruckender war der hochverdiente 3:1‑Sieg beim da noch ungeschlagenen Tabellenführer Hamburger SV. Andererseits war der VfL bei der 0:2‑Heimniederlage gegen die SpVgg Fürth, das Team der Stunde, chancenlos. Und bei der wahrlich bescheidenen Eintracht aus Braunschweig gab es ein 1:2 – Braunschweig schoss den Siegtreffer in Unterzahl.
Spielerisch ist Bochum zweifellos ein Spitzenteam der Liga, aber manchmal wirkt es auch schludrig und zu selbstbewusst. Personifiziert wird das durch den Austro-Kroaten Robert Zulj. Über ihn wurde schon bei Union Berlin gespottet, man würde nicht wissen, ob Zulj oder Maradona in die Kabine käme, wenn er durch die Tür trat. An manchen Tagen löst er das Selbstbild ein und ist der beste Spielmacher der Zweiten Liga, an anderen wirkt er wie ein staatlich anerkannter Stehgeiger. Trainer Reis hat ihn nach zu viel aktiver Erholung auf dem Platz auch schon nicht mal für den Kader nominiert, aber beim Sieg im Volksparkstadion war er einer der Besten und gegen Düsseldorf schoss er bereits seine Saisontore vier und fünf.
Schindzielorz findet das Team ausdrücklich „nicht schwierig“. Auch das globale Mischmasch sei kein Problem. „Ist doch egal, ob einer aus Wanne-Eickel oder Costa Rica kommt, wenn er sich mit dem Verein und seinen Werten identifiziert.“ Der brasilianische Linksverteidiger Danilo Soares ist längst einer der Publikumslieblinge, und Christian Gamboa aus Costa Rica ist auf dem Weg dahin. Etwaige Konflikte in der nicht nur internationalsten, sondern auch durchschnittlich ältesten Mannschaft der Liga, scheint Trainer Reis bislang souverän zu moderieren. Auch der 47-Jährige hat jahrelang in Bochum gespielt, wo er zudem sieben Jahre lang als Nachwuchstrainer arbeitete. „Er vereint als Trainer beide Welten“, sagt Schindzielorz. Einerseits kenne er aus seiner Zeit als Spieler „viele Kabinen“, sei „aber auch schon affin dem gegenüber, wie die neue Generation arbeitet.“ Reis arbeitet mit Datenanalysen und einem täglichen Monitoring des Gesundheitszustands seiner Spieler. Es macht den Eindruck, als würde in Bochum gerade ziemlich viele Welten unter einen Hut passen.