Herr Mertesacker, wer hat Ihnen das Fußballspielen beigebracht?
Zuerst mal mein Vater, der selbst sehr Fußball- und Sportbegeistert war. Und dann so in meiner Zeit damals, Ende der 50er Jahre, haben wir uns das eigentlich selbst beigebracht, auf der Straße mit den Nachbarkindern. Wir haben immer zwischen den Häusern gebolzt oder auf Wiesenflächen, Straßenflächen.
Vereinslos?
Nein, 1958, als ich sieben Jahre alt war, bin ich in die „Knaben“ der TSG Wildemann, da wo ich geboren bin. Ein ganz kleiner Verein.
Welche Position?
Das weiß ich noch ganz genau. Damals rechter Verteidiger. Ich war klein und dick und langsam. Und wurde dann immer hinten rechts hingestellt. Naja, mit sieben Jahren ist das so. Gut genährt. So ist das zustande gekommen.
Und wie ging es dann weiter?
Da ich sehr unbeweglich war, habe ich Fußball nie regelmäßig betrieben. Ab und zu mal mit den Jungs auf der Straße. So hat sich das weiterentwickelt bis zum 14. Lebensjahr. Von da an habe ich dann im Winter den zweiten Sport betrieben, den man im Harz gerne mal macht, nämlich Skilanglauf. Durch diese enorme Ausdauer aus den Wintermonaten ging es dann auch im Sommer auf dem Rasen unheimlich bergauf. Durch die läuferische Leistung konnten wir die meisten anderen Mannschaften schlagen. So wuchs natürlich die Motivation für den Fußballsport.
Spielen Sie immer noch?
Nein. Ich habe sechzehn Jahre Leistungsfußball gespielt und noch die Vorjahre dazu, dann muss man das mit 38 nicht mehr haben.
Was heißt Leistungsfußball?
Ich bin mit 20 Jahren in die Verbandsliga gegangen nach TuSpo Petershütte. Das war damals die vierthöchste Liga. Wir haben viel hier im Kreis Hannover gespielt. Gegen Sportfreunde Ricklingen, Sportfreunde Anderten, Stern Misburg, Polizei Hannover. Das war damals so die Verbandsliga Süd. Da habe ich 12 Jahre lang gespielt.
Und Geld verdient?
Nein. Ein bisschen Fahrgeld und 15,- DM haben wir gekriegt, pro Punkt. Da wir aber meistens um den Abstieg gekämpft haben, ist da nicht viel bei raus gekommen. Dann habe ich noch die letzten vier Jahre hier in Ricklingen gespielt. Und danach hatte ich – auf Deutsch gesagt – die Schnauze voll. Aber als die Kinder etwas größer waren, habe ich als Trainer wieder angefangen. Da habe ich auch wieder einen Sinn drin gesehen. Die eigenen Kinder sollten schon mit dem Sport aufwachsen. Ich habe ja drei Söhne und habe teilweise über Jahre drei Mannschaften trainiert. Erst in Pattensen, da haben wir ganz klein angefangen. Wirklich ganz klein, mit Per und Dennis, meinem Ältesten. Ohne Zuschüsse mit ein paar Pfennigen in der Mannschaftskasse. Trikots hatten wir 15 Stück.
Wer war Ihr erster Trainer?
Anfangs hat uns mein Vater trainiert. Es gab natürlich nicht so viele Leute, die damals ehrenamtlich was machen wollten. Früher natürlich noch mehr als heute. Mein Vater hat das Amt übernommen und wir waren einfach froh, dass wir einen hatten, der die Leute zusammen gekarrt hat.
Wie war das mit dem eigenen Vater als Trainer?
Damals hatte man ja Autoritätsverhältnisse. Nicht so wie heute. Obwohl das bei uns auch manches Mal noch relativ autoritär ist. Aber damals, da gab es ja kein Pardon. Mein Vater hat mich auch gnadenlos raus genommen. Naja, ich war auch nicht so gut. Der hat gesagt: „Du lernst es sowieso nicht.“ Das war halt damals so. Trainer und Vater zu sein ist nicht einfach. Wenn meine Kinder ein wenig besser waren, habe ich gesagt, gut, bleib mal draußen und lass den anderen spielen. Das musste man dann natürlich erklären. Mein jüngster Sohn war ein bisschen schlechter. Den habe ich dann spielen lassen, damit er es lernt. Das ist dann natürlich auch nicht immer auf Gegenliebe gestoßen. Da habe ich bestimmt Fehler gemacht, das muss man deutlich so sehen. Dann habe ich ihn sehr viel gelobt und meine beiden anderen Kurzen haben gesagt, was ist denn mit dir los? Letztes Jahr hast du ihn nur zusammen geschissen, jetzt lobst du ihn nur. So gut spielt der doch gar nicht. Dieser Zwiespalt war schon da zwischen Vater und Trainer.
In welcher Jugend haben Sie Ihre Kinder trainiert?
Das ging damals mit der G‑Jugend los. Per und Timo habe ich bis cirka C‑Jugend trainiert. Und den Großen, der eigentlich ein Anti-Fußballer ist, sogar bis zur A‑Jugend.
Wie wichtig war Technik und Ausdauer im Verhältnis in ihrem Training?
Da haben wir viel Mist gebaut früher. Im Nachhinein ist man da klüger. Aber so schlecht kann es auch nicht gewesen sein. Wir haben eigentlich nur was mit dem Ball gemacht. Fast nur Ballspiele, Balltechnik. Zwischendurch mal Ausdauerläufe, das schon, aber immer viel mit dem Ball. Außer wenn sie schlecht gespielt haben, dann gab es Sanktionen. Die natürlich völliger Quatsch waren. Würde ich heute nicht mehr machen, aber gut, ist so gewesen.
Wie viel Post bekommt Per in der Woche?
Alle drei Wochen bringt er die mit und dann sind das schon mal 50 bis 60 Briefe.
Wie viele Liebesbriefe?
Da sind auch welche dabei. Ich denke, im Schnitt sind das zwei oder drei.
Wie wird damit umgegangen?
Autogrammkarte und eine nette Antwort. Muss man so irgendwie mit leben. Du kannst ja nicht jeden Brief beantworten.
Aber die werden nicht an die Brüder weitergegeben?
Nein! (lacht) Das habe ich ja überhaupt noch nie gehört.
Eine Freundin hat er?
Per hat eine Freundin, ja. Im letzten Jahrgang der Schule kennen gelernt und da ist er auch relativ häufig mit zusammen. Ganz normales Verhältnis, wie jeder andere 21-jährige auch. Ganz normale Geschichte.
Wie lange darf Per noch zu Hause wohnen?
Ist eine gute Frage. An sich müssen wir ihm das letztendlich wohl selbst überlassen. Wenn er morgen sagen würde, ich will woanders hin, dann würde ich ihm nie sagen, du bleibst jetzt. Kein Thema. Wenn er das irgendwann sagt, dann ist er vielleicht auch schon ein bisschen weiter, so dass er auswärts selbstständig zu Recht kommt. Aber noch fühlt er sich zu Hause wohl mit seinen Brüdern. Die haben Spaß zusammen. Der braucht das auch. Und ich weiß wirklich nicht, wie das ist, wenn er irgendwo außerhalb wohnt. Im Moment bin ich ganz froh, dass er sich noch bei uns ausheulen kann. Wäre auch schön, wenn er nicht so weit weg wäre, dass man auch immer noch ein bisschen gucken kann. Die Jungs, naja, die bleiben ja auch, also ich war mit 28, 29… ich weiß ja nicht, wie das bei Euch gewesen ist, aber die kriegen alles gemacht, gebügelt, da gibt es was zu essen, da musst du nichts machen. Muss dich um nichts kümmern. Kannst nur abends weggehen und fertig. Gibt sicherlich auch andere, aber so die typischen Jungs…
Was ist in Pattensen los? Kann sich Per da noch ganz normal bewegen?
Ja, ganz normal. Er kommt auch mit, wenn sein Bruder Fußball spielt in der 9. oder 10. Liga. Er kennt ja auch die Leute dort, die Leute kennen ihn. Wir haben da überhaupt keine Berührungsängste. Wir sind ja ganz normale Menschen. Und wollen auch ganz normale Menschen bleiben. Wir haben noch alle Bekannten. Alles läuft bei uns so normal weiter wie vorher, als wenn es das alles nicht gegeben hätte.
Es ist aber auch erklärtermaßen so, dass sie alles weiterlaufen lassen wie bisher?
Wir sind ja gar nicht die Typen, die einen rauskehren und sagen „mein Sohn…“. Um Gottes Willen. Überhaupt nicht unsere Art. Ich hoffe auch nicht, dass das so rüberkommt. Auch wenn wir Samstag, Sonntag Fußball gucken. Da gehe ich zum Beispiel nicht in den VIP. Wir sitzen bei unseren Mannschaften von 96 und da fühlen wir uns wohl. Da kannst du auch mal jubeln und mal fluchen. Das ist unser Ding. Ich laufe da nicht mit Schlips rum.
Wie ist Ihr Engagement bei 96 überhaupt zustande gekommen?
Eigentlich durch den Übergang von Per von Pattensen zu 96. Das war im Jahr 95. Da sah man in Pattensen, dass man nicht in höheren Klassen spielen kann, immer nur Kreisliga. Wir hatten da Riesentalente, wir haben da auch wirklich viele Meisterschaften in Pattensen geholt. Wir sind dann zu 96 mit mehreren rüber. Ein Jahr war ich Trainer bei Per in der D‑Jugend. Nebenbei habe ich noch die A‑Lizenz gemacht. Und nach diesem einen Jahr gab es bei 96 dann keinen Jugendleiter mehr. Ich hatte mich gar nicht beworben. Die haben gefragt: ja, okay, machen wir. Wir hatten ein Team mit dem Mirko Slomka damals und Markus Olm. Der ist jetzt A‑Jugend-Trainer. So hat das angefangen. Ein paar Jahre später hatten wir dann keinen Amateurleiter mehr. Da bin ich auch gefragt worden. Und seit 95, jetzt 11 Jahre, bin ich als Funktionär bei 96 tätig. Habe also auch alles mitgemacht. Höhen, Tiefen, dritte Liga, und war 94 sechs Tage Profitrainer der Zweitligamannschaft. Der Willi Gramann war damals Schatzmeister, die Kinder hatte ich trainiert, und der sagte, du musst mir helfen, wir müssen den Schafstall entlassen und der Peter Neururer kommt erst und wir brauchen jemanden in der Woche, der die Mannschaft bei Laune hält. Dann habe ich gesagt, okay, mache ich. Das war eine Nacht und Nebel Aktion. Die riefen Montagmorgen an und Montagmittag stand ich auf dem Platz.
Welche Erfahrungen konnten Sie aus Spielerzeiten für ihre spätere Trainerfunktion nutzen?
Durch Fußball kriegt man ja, hochtrabend ausgedrückt, so genannte Schlüsselqualifikationen wie Disziplin, Teamgeist, Kameradschaft. Gewinnen oder verlieren, diesen Automatismus nimmt man natürlich mit in die heutige Zeit. Was wir auch noch versuchen bei 96 ist, die ganze Jugendarbeit familiär zu halten. Und es gibt gewisse Regeln: „Guten Tag“ sagen, grüßen, Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit. Wir wollen außerdem, dass die Jungs uns kennen lernen und umgekehrt. Das man sich bei uns so einigermaßen wohl fühlt. Naja, solche Grundlagen. Natürlich nicht so streng wie früher. Neben den fußballerischen Aspekten natürlich. Leidenschaft, Begeisterung, Ehrgeiz, dass die Jungs auch im Trainingsspiel gewinnen wollen. Dieses mit dem Herzen dabei sein, was unheimlich wichtig ist für einen Fußballer. Fußball leben. Das versuchen wir weiterzugeben. Das wir dabei natürlich nicht alles richtig machen, ist klar, aber ich sage immer, zwei Sachen sind wichtig: Konsequenz und Zuneigung. Die Jungs müssen Konsequenzen erfahren, damit sie wissen, da geht’s lang, da geht’s weiter. Und dann müssen sie merken, Mensch, da kann ich auch mal hingehen, wenn ich Probleme habe. Der ist nicht so, dass er nur drauf haut, mit dem kann man auch vernünftig reden. Der hört sich das an und versucht, unsere Probleme zu lösen.
Scouts von 96 sind ständig unterwegs. Ab welchem Alter kann man erkennen, aus wem etwas werden könnte?
Wir sind in letzter Zeit dazu übergegangen, dass die Kinder, wenn sie noch sehr jung sind, also F‑Jugend, E‑Jugend, bis zum zehnten Jahr, nur zu uns kommen, wenn sie in der Nähe wohnen. Dann spielen wir mit denen Fußball, trainieren ordentlich, basta. Denn man kann nicht einen Elfjährigen oder Zehnjährigen schon aus Göttingen holen. Das bringt überhaupt nichts. Wir fangen an zu gucken, aber auch dann nur, wenn die Fahrtzeit nicht zu groß wird, sagen wir mal mit dem zwölften, dreizehnten Lebensjahr. Dann sagen wir schon, Mensch, wo wohnst du, Garbsen, das geht, wo wohnst du, Nienburg, musst noch bis zur B‑Jugend oder älteren C‑Jugend dort bleiben. Da fangen wir an. Denn wir haben die Erfahrung gemacht, wenn du zu früh anfängst, mit Zwölfjährigen schon, die jeden Tag zwei Stunden unterwegs sind, da leidet die Schule, dann geht möglicherweise noch die Ehe kaputt, weil ständig einer unterwegs ist. Wir gucken also ab zwölf in der Umgebung und mit 15, 16 kommen die Jungs aus Nienburg, aus Göttingen mit dem ICE, das geht dann relativ schnell. Oder wir bringen sie hier unter. In Wohngemeinschaften, wenn sie gereift sind, oder auch bei Pflegeeltern. Aber ansonsten im kleineren Bereich nur aus der Umgebung.
Das heißt, wenn ein 15jähriger Junge gut am Ball ist, bekommt er wegen einer vagen Hoffnung „neue“ Eltern?
Ich habe da ein Beispiel: Morton Jensen, der jetzt vielleicht am Samstag im Tor spielt. Wir haben den damals mit 16 für die B‑Jugend geholt. Aber wir haben ja kein Internat. Da haben wir einen älteren Kollegen gefragt, der noch ein freies Zimmer hatte. Schule nebenbei haben wir auch besorgt. Wir haben da eine Schulkooperation mit der KGS Hemmingen. Nun hat er sich bombig entwickelt. Ist Amateurtorwart mit 18, könnte noch A‑Jugend spielen. Und saß jetzt sogar bei den Profis schon mit auf der Bank in Gladbach. So schnell kann das dann gehen.
Stellt der Verein auch Ausbildungsplätze?
Wir haben ja eine Menge Sponsoren. Über Harald Wendt haben wir bei Daimler Chrysler Leute untergebracht. Oder bei Conti, auch mal bei VW. Martin Kindt hat Bürokaufleute von uns. In unserer Geschäftsstelle haben wir Praktika zur Verfügung gestellt bekommen. Blade Runner, unser Ausrüster, hat auch zwei von uns, die da eine Lehre machen. Das ist unheimlich wichtig. Wenn die kommen und sagen, Mensch ich brauche irgendwas, dann kümmern wir uns darum. Aber die müssen dann natürlich nebenbei zur Berufsschule gehen und das muss klappen. Die können da keinen auf Larry machen. Sie haben feste Arbeitszeiten und für Sport werden sie frei gestellt.
Das ist ein sehr großer Aufwand, der dort im älteren Jugendbereich betrieben wird. Lohnt sich das denn wirklich?
Der Aufwand wird betrieben, klar. WG oder Fahrgeld und Vertrag, das sie hier leben können, das wird schon gemacht. Nur, du kriegst nicht alle hoch. Wenn du einen hoch kriegst pro Jahrgang, dann hast du schon alles erreicht. Einen pro Jahrgang in den Profibereich einführen, das ist unsere Zielsetzung.
Aber die Jugendarbeit ist schon so angelegt, das es prinzipiell jeder Spieler bis in den Profibereich schaffen soll?
Sagen wir mal ganz deutlich: Es interessiert, ich übertreibe mal, absolut niemanden, ob die Meister werden oder nicht. Wäre ein schönes Nebenprodukt, wenn die A‑Junioren jetzt Bundesliga-Meister werden würden. Oder die B‑Junioren, D‑Junioren Kreismeister. Die Kinder freuen sich und der Trainer auch. Aber entscheidend ist: Was kommt oben an? Der Verein sagt ganz klar: dafür ist Jugendarbeit da. Deswegen spielen ja ein Morton Jensen oder Sören Halfar, die beide noch A‑Jugend spielen könnten, schon höher, damit sie rangeführt werden. Wir könnten die auch alle in den gleichaltrigen Klassen spielen lassen, weil wir sagen, wir wollen Meister werden. Wollen wir aber nicht. Wir wollen individuell die Jungs nach oben bringen. Das ist das Entscheidende.
Warum ist dann nicht die Zielsetzung höher als ein Spieler pro Jahrgang?
Das ist eine gute Frage. Normalerweise müssten wir selbst sagen, wir müssten vier oder fünf nach oben bekommen. Kriegst du nicht hin. Aus verschiedenen Gründen. A wird von oben vielleicht auch nicht genug gefördert. Im Moment haben wir Probleme, dass auch gute Amateurspieler oben nicht trainieren, weil der Bereich abgeschlossen ist. Ein weiterer Grund ist, dass die einfach bis zum Ende nicht durchkommen, weil sie es von sich aus, vom Charakter her, von der Einstellung her nicht packen. Irgendetwas passiert, dann gehen sie nicht mehr zum Training, sind verletzt und melden sich nicht ab. Einfach menschliche Schwächen. Wir sagen immer drei Dinge sind entscheidend: F‑K-K. Fußball –Kopf – Körper. Ein guter Fußballer, ein guter Körper, aber wenn der Kopf fehlt, die falsche Einstellung da ist, geht es irgendwann nicht mehr weiter. Und da hoch zu kommen ist auch nicht so ganz einfach. Da müssen die drei Dinge da sein. Und du musst Glück haben, dass du von oben auch gesichtet wirst und reingeführt wirst. Und wenn du dann da oben spielst, musst du auch noch ordentlich spielen, damit du oben bleibst.
Spielt man bei 96 erstmal in der A‑Jugend, steigen auch die Chancen, von oben entdeckt zu werden. Die jungen Spieler ‚sind kurz davor’. Wie geht man in der Jugendabteilung psychologisch mit diesen Aussichten um?
Wir sagen den Jungs immer, auch den Kleineren schon, ganz klar und deutlich: du musst davon ausgehen, dass du kein Profi wirst. Punkt, Ende, Aus. Denn die Eltern sind ja wie die Verrückten. „Mein Junge muss Bundesliga spielen!“ Wir sagen denen, du musst immer vom Schlechtesten ausgehen, das ist Ansage. Du kannst nie mit Fußball Geld verdienen. Aber wenn die genau wissen, es kommt einer hoch, oder zwei, leben die natürlich trotzdem immer mit einem wahnsinnigen Druck. Schaffe ich es oder schaffe ich es nicht? Für uns ist es ganz wichtig, dass wir darauf achten, was die nebenbei machen? Wir achten auf die Schule, haben einen ehrenamtlichen Laufbahnberater der guckt, was ist da los. Müssen wir im Zeugnis nachhelfen? Können wir für dich eine Lehrstelle finden? Damit die, die es mal nicht schaffen, aufgefangen werden. Und das sind nicht wenige. Es ist ja nicht ganz einfach, Profi zu werden. Das ganze Land spielt Fußball. Zuletzt bleibt dann oft nur die Enttäuschung. Da machen wir auch noch viel falsch. Wir wollen ja auf alle Fälle verhindern, dass die Jungs dann „geschädigt“ nach Hause gehen. Das sie einen Knacks kriegen. Weil sie irgendwann merken, Mensch, es kommt nur einer hoch und ich schaffe es einfach nicht. Das ist ein Riesenproblem, aber nicht nur bei uns, sondern überall. Und die Jungs haben ja nur eins im Kopf in der A‑Jugend: Alle 20 wollen hoch. Die stehen direkt vor der Tür. Manche schaffen es, manche sacken irgendwo ab. Da gibt es unterschiedliche Wege und Typen. Wir haben super Talente gehabt, die dann zum Beispiel aus Kopfgründen stecken geblieben sind. Und dann hatten wir in der A‑Jugend einen jungen Spieler wie den Hannes Winzer, der hat sich bei den Amateuren mit dem Trainer so ein bisschen gekabbelt und dann ist er nach Havelse und da spielt er jetzt 5. Liga und macht Bombenspiele. Vielleicht schafft der es ja auch noch mal. Man kann auch mit 24 noch Profi werden.
Was muss sich auf Seiten des Profitrainers verändern? Wäre ein hungriger Montabell nicht besser als ein Brdaric, der 10 Spiele das Tor nicht trifft? Müsste der Trainer nicht mutiger sein?
Es ist ja häufig so, dass unsere Bundesliga-Trainer natürlich mehr Vertrauen in ihre fertigen Spieler haben. Einfach das Vertrauen, so einen jungen Spieler mal durchspielen zu lassen, ist nicht da. Das liegt natürlich auch daran, dass der Druck auf den Trainer unheimlich groß ist. Das ist ja das Problem im heutigen Fußball. Wenn du zwei, drei Spiele verlierst, dann fragen die Sponsoren schon, was ist denn mit euch los? Dann hast du ein leeres Stadion und so weiter. Das ist ja heute das „Schlimme“ am Fußball. Da hängt sehr viel am Geld. Wenn du keinen Erfolg hast als Trainer, dann dauert das zehn Spiele und dann bist du weg. Und deswegen ist es so schwierig für einen Trainer, junge Leute zu bringen. Es sei denn, du musst, weil du kein Geld hast. Siehe Kaiserslautern, siehe damals Stuttgart. Und dann sieht man mit einem Mal, die sind ja gar nicht so schlecht. Die spielen ja wie die anderen auch. Oder vielleicht sogar besser. Und es ist ja Gott sei Dank im deutschen Fußball inzwischen so, dass wieder viele Junge spielen. Die U17 ist jetzt im Halbfinale der Europameisterschaft, die U21 spielt oben mit. Da sind viele Spieler, die jetzt auch Stammspieler in der Bundesliga sind. Deswegen sind die ja so gut. Das ist in den letzten Jahren ja Gott sei Dank wiedergekommen. Und warum haben wir eine junge Abwehr? Weil es von 25 – 30 immer nur Ausländer in der Bundesliga gab, die dann die Posten übernommen haben. Damals hat man die Jungs halt nicht gefördert. Und jetzt sind wir wieder dabei und deswegen haben wir so eine junge Mannschaft. Die vielleicht jetzt im Jahr 2006 einfach überfordert ist. Durchaus möglich.
Wie ist das Konzept der Jugendarbeit bei Hannover 96?
Damals, so ’96, als ich angefangen habe als Jugendleiter, haben wir uns hingesetzt und uns gefragt, wie wollen wir das denn anfangen? Dann habe ich mit dem Mirko Slomka gesagt, wir müssen unser Konzept auf vier T’s stellen. Erstens: Trainer. Wir brauchen gute Trainer. Trainer sind das Wichtigste. Fußball ist Dienstleistung. Und bei Dienstleistungen brauchst du gute Leute, keine Maschinen und keine Gebäude. Zweitens: Trainerfortbildung. Wir machen inzwischen einmal im Monat eine große Trainerfortbildung mit allen Trainern. Dazu kommt natürlich drittens noch Talentsichtung, was inzwischen auch ein bisschen besser wird bei uns. Das vierte T ist Talentförderung. Da machen wir auch eine ganze Menge. Allerdings, das ganz große Problem ist, dass die 10, 11, 12jährigen in aller Regel ganz oben nicht ankommen. Es kommen mit 15, 16 immer wieder neue Spieler dazu, die weitere Anfahrtswege haben. Die sind noch nicht so ausgereizt. Die haben früher mehr so aus Spaß Fußball gespielt, auf der Straße, und die sagen jetzt: ich will. Und unsere, die von klein auf dabei sind – manchmal haben wir da zu viel gemacht. Wir haben schon überlegt, fahren wir nicht zuviel zu Turnieren? Wollen wir nicht mal ein bisschen kürzer treten? Wir können ja auch ein bisschen weniger machen, dass die noch ein bisschen Dampf nach oben haben.
Das ist interessant. Also die von klein auf geförderten Talente verbrauchen sich mit der Zeit?
Genau. Zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Fußball. Wir waren am Montag in Bremen bei einer Trainerfortbildung und bei Werder genau das gleiche. Der Christian Schulz, der bei Bremen Profi ist, der war in der C‑Jugend schon dabei, aber alles andere kam später erst dazu. Aus den genannten Gründen. Das ist leider so. Die von klein auf sind satt, dann kommen die Auswahlmaßnahmen noch dazu. Der DFB hat jetzt eine Statistik gemacht: Die mit 14, 15, 16, 17 in allen Auswahlmannschaften gespielt haben, in Landesauswahlen, in DFB-Auswahlen, die sind mit 18 alle. Da passiert nichts mehr.
Inwieweit ist Peter Neururer an der Jugendarbeit aktiv interessiert?
Bis jetzt guckt er Amateure. Leider haben wir ihn bei den A‑Junioren noch nicht gesehen, obwohl die ja in letzter Zeit auch sehr, sehr gut gespielt haben. Bremen geschlagen, den Tabellenführer Cottbus geschlagen. Das tut uns im Moment ein bisschen weh, das wir da von oben nicht die richtige Resonanz kriegen. Das war bei Ewald Lienen anders. Der hat zwar auch nicht die A‑Jugend geguckt, aber da kam dann doch schon mal der Co-Trainer und hat geschaut, sich unterhalten. Wäre ja schön, wenn mal der Cheftrainer zur A‑Jugend kommen würde und sagt, Mensch, hast ein super Spiel gemacht. Dem leuchten die Augen. Oder man sagt, hier komm, nächste Woche kannst du mal zum Training kommen, dann erzählen wir dir mal, was du vielleicht noch machen kannst. Und wenn das die anderen sehen, dann sagen die doch auch, Mensch, jetzt gebe ich noch mal Gas. Eigentlich eine ganz einfache Geschichte. Aber leider tut sich da nichts. Kann ich auch offen drüber reden. Ich habe da kein Problem mit. Würde ihm das auch selbst sagen. Ist ja offen zu sehen und das tut uns im Moment ein bisschen weh. Da haben wir auch schon viele Gespräche geführt, aber das ist nun einmal so. Die eine Philosophie ist so, die andere so.
Ist das ein generelles Problem in der Bundesliga, diese Ignoranz gegenüber den eigenen Talenten?
Nein. Gut, als Außenstehender kann man sich immer nicht so ein Urteil über andere Vereine erlauben, aber wenn man jetzt im Kicker liest, Gladbach 6,7 junge Spieler, die der Köppel da hoch geholt hat. Und in Bremen war der Thomas Schaaf sonntags bei der A‑Jugend. Oder in Kaiserlautern oder wo auch immer. Ich denke mal, das ist sicher unterschiedlich zu sehen, aber die Tendenz geht eher dahin, das man den eigenen Nachwuchs richtig begutachtet. Auch aus finanziellen Gründen ist das wichtig. Aber das Fußballgeschäft ist ja heutzutage leider so, dass man aus Nachwuchsspielern über den Berater nicht soviel verdienen kann. Man holt dann Spieler, die vielleicht ein bisschen teurer sind und dann halten viele Leute die Hände auf. Das bringt möglicherweise mehr. Ich will da keinem etwas unterstellen, aber so ist das. Wie gesagt, so ist das Geschäft.
Die Probleme scheinen bekannt. Was wird unternommen, um die Grenze zwischen Amateur- und Profibereich aufzuweichen?
Also das wäre für uns wirklich Gold wert und wir sind da auch dran. Im nächsten Jahr soll der Kader mit 20% aus dem eigenen Nachwuchs bestehen. Es soll ein Integrationstraining stattfinden mit Nachbesprechung durch die Co-Trainer. Wir hatten letzte Woche ein Gespräch mit Herrn Vehling und mit Carsten Linke, da haben wir das auch gesagt. Warum laden sie nicht mal die Leistungstrainer zum Spiel ein? Haben eine gewisse Wertschätzung für die übrig? Die machen ja auch sehr viel ehrenamtliche Arbeit und reißen sich auf Deutsch gesagt den Hintern auf. Da sollte man doch einfach mal sagen: Mensch Leute kommt doch mal vorbei, wir reden mal miteinander. Wie stellt ihr euch das vor? Was müssen wir noch machen?
Eigentlich ganz einfach.
Es ist alles so einfach (lacht). Bei uns im NLZ (Niedersächsisches Leistungszentrum) da haben wir offene Türen, da reden wir miteinander, da redet der Amateur-Trainer mit dem A‑Jugend-Trainer. Der Jens Rehagel (NLZ-Chef) und ich haben jeden Tag telefonischen Kontakt. Das läuft. Und dann macht das auch Spaß.
Es wäre ja wahrscheinlich auch ein großer Zuschauermagnet, wenn in der Profimannschaft plötzlich der eigene Nachwuchs begeistert.
Wenn ich Präsident wäre oder was zu sagen hätte, dann würde ich die Leute halten, die hier groß geworden sind. Ich würde den Dabrowski nicht gehen lassen, ich würde den Mertesacker nicht gehen lassen. Das sind Identifikationsfiguren. Der Enke muss gehalten werden, den Stendel würde ich hier in die Nachwuchsarbeit einarbeiten. Aber leider, nichts gegen die Jungs, kommt dann wieder einer aus Schweden, einer aus Island, einer aus Dänemark dazu. Da kannst du am Anfang vielleicht nicht so viel mit anfangen, wenn sie gut Fußball spielen ja, aber die Identifikationsfiguren darf man deswegen nicht gehen lassen. Da muss man sich drum kümmern. Eigentlich ist es bitter und schade. Aber die Philosophie des Vereins scheint ja eine andere zu sein: Die Fluktuation hoch zu halten, den Abstand zu haben zu den Spielern. Und dann sagen die Spieler irgendwann, gut, wenn das hier so ist, dann gehen wir halt. Wie es Dabrowski gemacht hat. Keine Wertschätzung, also weg.
Wie haben Sie persönlich die Entwicklung ihres Sohnes miterlebt?
Eigentlich ist es Wahnsinn. Wenn man so zurückdenkt, vor zwei Jahren, da hat er noch Oberliga gespielt. Ich frage mich auch immer, wie kommt so etwas zustande? Fußball ist ja meistens nicht erklärbar und in diesem Fall muss man sagen, gut, er hatte die drei Vorrausetzungen gehabt. Fußball, Kopf, Körper. Vor allem der Kopf war einigermaßen klar. Wir haben nie zu ihm gesagt: Du musst Bundesligaspieler werden. Sondern: Geh hin, mach mit, gib dein Bestes. In der Schule hat er Gott sei Dank auch noch Fußball gehabt. Zu Hause haben wir sehr viel gemacht. In jedem Urlaub ins Schwimmbad und dann Kopfball, hin und her. Wie so eine kleine Meisterschaft, schafft der eine 100, macht der Andere 120. So haben wir immer wieder mit Fußball zu tun gehabt.
Die Trainingseinheiten im Urlaub gingen von ihm aus?
Natürlich. Die haben nie Nein gesagt. Manchmal habe ich auch Druck gemacht, aber im Großen und Ganzen haben sie nie Nein gesagt. Und dann kommt vielleicht so eine Entwicklung zustande. Natürlich kam auch Ewald Lienen, der auf ihn gesetzt hat. Er wurde dann relativ bald Stammspieler. Und dann ging es schnell. Dann kam die U21 und dann hat er sich da wohl auch vernünftig verhalten. Das ist ja auch wichtig, dass du da nicht gleich auftrittst als wenn du der Größte bist. Und dann ist er ja über Klinsmann zur Nationalmannschaft gekommen. Und klar ist man da stolz drauf. Das zeigt man nach Außen nicht so, aber innerlich denke ich schon, das ist ja Wahnsinn, was da passiert ist. Und dann sitzt du am Fernseher – vor vier Jahren haben wir die Weltmeisterschaft zusammen geguckt – und jetzt spielt er mit den Jungs zusammen. Davor habe ich diese Liste auf seinem Schreibtisch gesehen, da standen dann die Namen: Ballack, Kahn, etc.
Wie ist Ihr Kontakt zu Jürgen Klinsmann als Eltern? Per ist ja noch relativ jung.
Das ist sensationell gewesen, dass ein Bundestrainer sich mit den Eltern beschäftigt. Der hat uns eingeladen zum Elterngespräch. Das ist mir noch nie passiert. Das machen wir ja selbst bei 96 im Bereich der ganz Kleinen sehr selten. Da war ein Länderspiel in Bremen und da hat der Jürgen uns angerufen und gesagt, Mensch, das ist doch nicht so weit weg, kommt doch mal hoch. Der Jogi Löw, Bierhoff war dabei, Per, meine Frau und ich. Und dann hat er mit uns geredet und hat uns gesagt, wenn es Probleme gibt, ihr könnt uns jederzeit anrufen, gerade zur Weltmeisterschaft. Fand ich klasse. Sehr positiv. Man merkt das ja schon, wie der Druck unheimlich groß wird und das jetzt so langsam losgeht.
Durch ihren Sohn sind sie ja ein Stück näher an der Nationalmannschaft. Teilen Sie die öffentliche Kritik an Jürgen Klinsmann?
Wenn einer kommt und macht viel Neues, steht der in Deutschland immer in der Kritik. Aber er hat viel Neues gemacht, hat viel Gutes gemacht, hat viele junge Spieler rein gebracht, vier von 96 Asamoah, Ernst, Kehl, Mertesacker – was willst du mehr? Haben wir also so schlechte Arbeit in den letzten zehn Jahren nicht gemacht. Das ist irgendwie eine Bestätigung. Und deswegen, hört sich vielleicht lächerlich an, aber manchmal ist es wie im Traum.
Was hat Per erzählt von seinem ersten Aufenthalt bei der Nationalmannschaft?
Der redet ja nicht viel. Also er spricht dann mal einen Satz, sagt, dass es gut war. Er fährt unheimlich gerne zur Nationalmannschaft, das weiß ich. Die kommen menschlich untereinander wohl ganz prima aus. Diese positive Grundstimmung, die von den Trainern verbreitet wird, nehmen die Spieler sehr gut an. Die haben ja auch richtig an die Mütze gekriegt, in der Türkei und Südafrika. Aber Per kam immer wieder und hat gesagt „hat Spaß gemacht, war in Ordnung“. Olli und Lehmann, sagt er, sind super Typen. Der eine schreit ein bisschen mehr, der andere weniger. Und auch von Ballack sagt er: klasse Typ. Dann gehen sie nach einem gewonnen Spiel auch mal länger weg. Das hat alles ordentlich geklappt. Das da eine gewisse Hierarchie besteht, ist logisch. Das der dem Ballack nicht erzählt, wo er lang laufen muss, ist klar. Das scheint zu laufen. Er ist ja auch nach allein Seiten hin offen. Das er mit einem so zusammen hängt, da ist er nicht so der Typ für. Mit der Bremer Riege kommt er sehr gut aus. Mit Borowski und Frings, Owomoyela, das sind so seine. Aber ich muss auch sagen, dass hier in Hannover momentan eine gute Stimmung in der Mannschaft ist. Der Hanno Balitsch, Dabrowski, Stendel, Schröter – das sind klasse Typen, mit denen kann man gut reden und das macht ihm auch Spaß.
Wie viel dreht sich um Per in den eigenen vier Wänden?
Man muss ja nicht jeden Tag über Fußball reden. Ihn nervt das ja auch. Wenn er Probleme hat, soll er kommen. Wir dürfen es ja nicht übertreiben, die anderen beiden sind ja auch noch da. Der Große interessiert sich ja auch nicht für Fußball, der guckt auch keine Länderspiele. Ist Dortmund-Fan und wenn 96 gegen Dortmund spielt, dann schreit der für Dortmund, also das ist sensationell. Und der Kleine, da gibt es auch nie Neid. Per ist ja sehr großzügig. Der hat dem Großen seine Ausbildung bezahlt, gibt dem Kleinen immer Geld, wenn er Fahrten macht. Da ist der schon sehr kulant. Tritt auch zu Hause nicht auf wie ein Affe.
Väter sind die größten Kritiker. Ist das so?
Manchmal ja. Aber im Großen und Ganzen, weil ich in diesen Regionen nie gespielt habe, kann ich mir eigentlich kein Urteil erlauben. Ich bin ja auch sehr emotional. Und manches Mal, wie jetzt neulich als er von Kaiserslautern nach Hause kam, als er dieses Kopfballduell gegen diesen kleinen Halfar da verloren hat, da habe ich ihn auch… also wie kannst du gegen den ein Kopfballduell verlieren, das ist ja unglaublich, was du dir da für einen Mist zusammen gespielt hast! Das gibt manchmal Ärger. Das hat ihn so ein bisschen angenervt. Aber wir haben uns dann so langsam wieder gefunden. Kommt aber sehr selten vor. Wenn ich mich ärgere, dass 96 verliert. Das ist dann wieder nachteilig für den ganzen Bereich.
Wie viel Fan steckt noch im Profi Per Mertesacker?
Er ist unheimlich Fan. Er lebt also noch den Sport. Natürlich auf seine Art. Also insofern, dass wir jedes Spiel gucken zu Hause. Wenn er dann zum Beispiel Spieler sieht wie Ronaldinho und wenn die klasse Tore schießen, dann ist er begeistert. Der lebt das richtig. Und das halte ich auch für sehr wichtig. Auch für junge Spieler, die müssen nicht nur Fußball spielen können, sondern die müssen sich mit der Sportart richtig begeistert identifizieren. Sonst kommen die nicht weiter. Die musst du nachts wecken und fragen: „Fußball?“ Antwort: „Jawoll, gehen wir hin.“
Wie kann er sich gegen Ronaldinho auf das Fußball spielen konzentrieren? Wir würden nur große Augen machen.
Das schätze ich an ihm. Da hat er auch die nötige Kaltschnäuzigkeit, das er dann sagt, gut, jetzt stehe ich auf dem Platz, jetzt muss ich da durch. Wenn du dann Angst hast, geht das nicht. Und das ist eigentlich das, was die jungen Spieler haben müssen, die den Sprung so früh nach oben schaffen. Wenn du sagst, Mensch, im Fernsehen hat der so ein Tor gemacht und jetzt kommt er auf mich zu, ich meine, da habe ich ja manches Mal mehr Angst als Per. Sein erstes Bundesligaspiel gegen Kaiserslautern, da spielten Klose und der Hristov noch, meine Güte. Und als sie in Frankreich gespielt haben gegen Henry – was wird das bloß? Aber es muss gehen dann, wenn du auf dem Platz stehst.
Wie versuchen Sie als Eltern ihrem Sohn den großen Druck zu nehmen, Weltmeister werden zu müssen?
Ein junger Spieler geht auf den Platz und will. Per sagt sich, ConfedCup, da waren wir gut. Mannschaftliche Geschlossenheit. Wenn wir uns nur schön zusammenpacken, machen Sardinien, machen das Trainingslager. Bundesliga ist weit weg. Wir sind abgeschottet, jetzt spielen wir Fußball. Jetzt haben wir eine Mannschaft und jetzt wollen wir jedes Spiel gewinnen. Wir haben es gegen Argentinien gesehen, die konnten wir schlagen, und gegen Brasilien haben wir auch ein gutes Spiel gemacht. Ich glaube schon, dass die denken, sie können. Sollten sie auch. Optimistisch sein und alles geben. Und das machen sie auch. Da wird der Klinsmann die zu peitschen. Die sehen, die Zuschauer stehen hinter uns. Der Schiri vielleicht noch ein bisschen. Und jetzt geht’s los. Ich bin da auch nicht so skeptisch wie viele. Wir sagen ihm immer: Geh dahin und lern was! Du hast im Prinzip nichts zu verlieren. Du kannst Fehler machen, aber reiß dir den Hintern auf. Was kann dir passieren, wenn du mit dieser Einstellung zum Training und zum Spiel gehst? Wenn du dann wirklich schlecht spielst, dann verzeiht dir das jeder. Das Leben ist ja ganz einfach. Du musst nur was dafür tun. Und das versuchen wir von Außen ihm anzutragen. Mit den anderen Sachen muss er selber fertig werden. Aber mit 21 hat der jetzt schon 20 Länderspiele, knapp 70 Bundesligaspiele, da ist die Grundlage da.
Wie nervös sind Sie so kurz vor der Weltmeisterschaft?
Ich bin schon sehr angespannt, das muss ich ehrlich sagen. Da fiebere ich mit. Wenn 96 spielt, ist es natürlich noch extremer als bei der Nationalmannschaft, weil da noch mehr dran hängt für den Verein insgesamt. Aber das ist schon der Hammer, wenn man dann zuguckt. Und hoffentlich macht er dann keinen Scheiß, auf Deutsch gesagt.