Kaum ein Ereignis bewegte, faszinierte und erschütterte Fußballdeutschland am Wochenende weniger als das Frankfurter Stadtderby. Ein Ortstermin. Es soll ein historischer Tag sein, jener Sonntag, als Harald Stenger in den Katakomben des Waldstadions steht und auf seinem Handy wischt. Gerade hat er sich ein Spiel angeguckt, ein besonderes, angeblich. Ein sogenanntes Stadtderby. Harald Stenger wartet. Er blickt von seinem Handy auf. Er sieht Heribert Bruchhagen. Er deutet ein Nicken an. Heribert Bruchhagen streckt ihm seine Hand entgegen. Heribert Bruchhagen nickt. Derbystimmung. Ekstase.
Drei Stunden zuvor, am Frankfurter Hauptbahnhof, kurbelt ein Taxifahrer am Lenkrad. Sein Name sei egal, weil er denkt wie viele Taxifahrer dieser Stadt, so sagt er. „Scheiß aufs Derby. Wir spielen zweite Liga. Schlimm genug.“ Er schüttelt mit dem Kopf. Er will kein Derby. Das Derby ist was für Marketingleute. Er will erste Liga. Er wartet auf den Aufstieg und fährt Taxi. Wenn er das Fenster runterkurbeln würde, dann könnte er die Gesänge aus den Kurven hören. Er parkt seinen Wagen. Er lässt die Fenster geschlossen. Er wünscht ein gutes Spiel, trotz allem. Eines sagt er noch, bevor er fährt. „Ich hasse Jupp Heynckes. Er hat die Eintracht zerstört.“
Wann wird ein Spiel zum Derby?
Zehn Minuten vor Anpfiff. Im Wald vor dem Stadion steht berittene Polizei. Die Pferde sehen aus, als würden sie schlafen. FSV Frankfurt gegen Eintracht Frankfurt. Wann wird ein Spiel zum Derby? Drinnen, in den Rängen, hängt ein Banner. Zwei Adler sind darauf, der Eintrachtadler und der des FSV. Darüber steht: Zwei Herzen in einer Brust, Frankfurt am Main. Darunter sitzen Frankfurter mit einem Derby-Frankfurt-Freundschafts-Schal, halb Eintracht, halb FSV. Aus dem Block der Eintracht-Ultras schallen Rufe: „Hurra, Hurra, die Frankfurter sind da.“
Wer will da widersprechen? 50.000 Zuschauer nicken mit dem Beat. Anpfiff. Ein Gedanke: Derbys sollten kein Fall für Historiker sein. Derbys brauchen Rivalität. Die lässt sich nicht ausbuddeln. Eintracht gegen den FSV, das gab’s das letzte Mal vor 50 Jahren, vor Gründung der Bundesliga. Eintracht gewann 4:0. Eher ein Fall für Historiker.
4:0. Wie schon vor 50 Jahren
Es läuft die vorletzte Minute des Spiels, Benjamin Köhler steht im Strafraum des FSV frei. Er zieht den Ball an, magnetisch. Er schießt. Eintracht 4. FSV 0. Der Endstand, wie damals. Vor Gründung der Bundesliga. Die Eintracht-Fans singen: „Ihr könnt nach Hause fahren.“ Und sie fahren nach Hause. Auf ihren Autos kleben zwei Adler. Ekstase.