1860 München hat sich nach dem Abschied von Kapitän Sascha Mölders enorm gesteigert und die Restchance auf den Aufstieg erhalten. Hinter den Kulissen ringt Trainer Michael Köllner indes mit seinen Zukunftsplänen. Vieles hängt nun von den beiden letzten Saisonspielen ab.
Wie von der Tarantel gestochen stürmte Marcel Bär in Richtung Spielfeldmitte, ging erst auf die Knie, um sich schließlich auf den Hosenboden zu setzen – die Fäuste geballt, die Glückwünsche der Kollegen erwartend. Meisterschaft? Champions League-Quali? Nein, Bär hatte soeben das 2:0 gegen den bereits feststehenden Drittligaabsteiger Havelse erzielt. Mehr nicht. Aber eben auch nicht weniger. Die Szene kann als Sinnbild herhalten. Sie sagt: Die Münchner Löwen sind wieder da, voller Power, voller Selbstvertrauen. Kurz darauf gab Bär noch den Treffer zum 3:0 dazu. Diesmal führte ihn sein Weg vor die Nordtribüne, wo es nun an einer Gruppe Fans war, sich tanzend um den Verstand zu jubeln.
Zwei Partien stehen nach dem Sieg vom letzten Wochenende noch aus für 1860. Die Vorgabe für den Schlussspurt? Sechs Punkte, natürlich. Es ist nämlich so: Sechzig kann bei voller Punktausbeute noch aufsteigen – wenn der 1. FC Kaiserslautern sein letztes Saisonspiel bei Viktoria Köln verliert. Dass die Löwen wieder dort oben stehen, ist nach einer Hinrunde, in der sie kaum einmal die obere Tabellenhälfte zu Gesicht bekamen, nicht selbstverständlich. Doch sie haben justiert an der Grünwalder Straße, zum Teil radikal. Baumeister des Umschwungs ist Trainer Michael Köllner, der seit zweieinhalb Jahren in Giesing tätig ist und zu den Löwen passt wie kaum ein anderer.
„Der Modus“, sagte Köllner der Presse kürzlich, „ist auf 1860 Prozent eingestellt.“ Da lacht das Löwenherz. Nur wie lange noch? Klar, wenn am Ende der Aufstieg steht und die Odyssee durch Regionalliga und 3. Liga beendet ist, wird Giesing aus dem Lachen nicht mehr rauskommen. Wenn es aber schlecht läuft und der TSV die Aufstiegsrelegation, Platz vier sowie die damit verbundene Qualifikation für den DFB-Pokal verpasst, könnte die Stimmung umschlagen. Dass Michael Köllner dann weiter an der Seitenlinie steht, darf bezweifelt werden. Und auch den Kader könnte in diesem Fall eine mittelschwere Zäsur erwarten.
Nicht die Wampe, nicht Sascha Mölders, dachte sich so mancher TSV-Fan Anfang Dezember letzten Jahres. 1860 lief den eigenen Ansprüchen – 2. Liga! – zu dieser Zeit weit hinterher, hatte weniger Vorsprung auf die Abstiegsplätze als Rückstand auf die Spitze. Und nun sollte mit Sascha Mölders ausgerechnet der Torschützenkönig der letzten Saison nicht mehr zum Kader gehören? Er galt doch als Leader, als 1860-Antiheld – oder eben als die Wampe von Giesing. Mölders habe sich zunehmend auf seine Tätigkeiten neben dem Platz konzentriert, sei gleichzeitig nicht bereit gewesen, sich mit der Reservistenrolle abzugeben, hieß es vonseiten des Klubs. Der Routinier könne der Mannschaft so nicht helfen.
Eine nachvollziehbare Argumentationslinie, die trotzdem Zweifel hinterließ. Schließlich war und ist der Kader der Münchner keinesfalls so breit aufgestellt, dass Führungsspieler mal eben ersetzt werden könnten. In diesem Fall klappte es jedoch. Der Ersatz? Genau, Marcel Bär. Der zu Saisonbeginn aus Braunschweig gekommene Angreifer steigerte sich von Woche zu Woche. Mittlerweile steht er selbst an der Spitze der Torjägerliste und verkörpert das neue Selbstvertrauen beim TSV. „Cello Bär will die Kanone haben“, sagte er nach dem Sieg über Havelse ins „Magenta“-Mikrofon. Allerdings griffe es zu kurz, den aufseheserregenden Mölders-Abschied in Richtung Regionalliga samt Bär-Aufstieg zum Fixpunkt der Offensive als alleinigen Grund für die Stabilisierung heranzuziehen.
Nur die Auftritte seit der Trennung von Mölders gerechnet, belegen die Sechzger zwar Platz zwei im Ligaranking. Doch fielen in diese Zeit auch die erfolgreiche Umstellung des Systems von 4−4−2 auf 4−1−4−1 sowie Insolvenz und Ligarückzug von Türkgücü München. Keines der Spitzenteams profitierte derart von der Annullierung aller Türkgücü-Spiele wie 1860 München. Zudem lichtete sich das Lazarett. Aktuell fehlt Michael Köllner lediglich ein Akteur: der 17-jährige Leandro Morgalla.
Sei‚s drum. Außer Frage steht, dass sich die Löwen aus dem Tief gekämpft haben und im dritten aufeinanderfolgenden Jahr oben anklopfen. Eine simple Feststellung des Trainers bringt das Ganze wohl auf den Punkt: „Wir haben in der Saison mehr richtig als falsch gemacht.“ Bleibt es bei guten Entscheidungen in München und schlechten in Kaiserslautern, könnten die Relegationsspiele gegen Zweitligist Dresden also noch Realität werden. „Ich glaube nicht, dass Kaiserslautern in Köln etwas reißt“, sagte 1860-Präsident Robert Reisinger im Fantalk schon einmal voraus. Daneben besteht sogar noch die Minimalchance auf den direkten Aufstieg. Doch dürfte das formstarke Braunschweig in seinen letzten beiden Partien gar nicht mehr punkten – unwahrscheinlich.
Ein anderes, weitaus düstereres Szenario ist das folgende: Sechzig gewinnt am Samstag nicht bei Meister Magdeburg und bringt zum Saisonabschluss gegen Dortmund II auch den vierten Platz nicht ins Ziel. Leere Hände wären die Folge. Schlechte Argumente im Ringen um den Verbleib von Michael Köllner die andere. Dass sich der Trainer seine Gedanken macht, eine Aufstiegsperspektive will, ist kein Geheimnis. Zwar ließ er sich letztens im „Einmal Löwe, immer Löwe“-Shirt ablichten und versicherte seine starke Bindung an die Giesinger stets glaubhaft, doch sagte er vor der Havelse-Partie auch: „Man muss überlegen: Wie schätzen wir 1860 München aktuell ein – und wo wollen wir morgen sein? Der Verein beschäftigt sich ebenfalls mit diesem Morgen, aber ich muss ja dann nach drei, vier Spielen den Kopf hinhalten, wenn es sportlich nicht läuft.“
Heißt: Trotz Vertrages bis 2023 muss in Breite und Qualität des Kaders investiert werden, um Köllner vom Bleiben zu überzeugen. Zumal Bundesliga-Absteiger Fürth anklopfen soll. Allerdings sind die Löwen im finanziellen Segment längst nicht ganz oben anzusiedeln, wodurch sich die Kaderzusammenstellung in Liga 3 von Jahr zu Jahr komplizierter gestaltet. Gehen die letzten beiden Spiele in die Binsen, könnte die Vereinsführung zu Veränderungen gezwungen sein – die Leistungsträger um Marcel Bär erregen schließlich auch bei der finanzstärkeren Konkurrenz Aufsehen. So weit ist es, freilich, noch nicht. Das weiß auch der zuweilen kauzige Trainer. Eine Weisheit Köllners: „Die Saison ist am Ende aus. Und nicht vorher.“ Tritt das bestmögliche Ende ein, wären die Augen jedoch nicht auf ihn, sondern auf einen seiner Angreifer zu richten. Welche Jubelorgie legt Marcel Bär erst hin, wenn er die Löwen nach oben schießen sollte?