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Es hat ange­fangen zu nie­seln und wir fahren durch die nass­grauen Straßen von Lever­kusen. Die Taxi­fah­rerin weiß nicht genau, wo es hin­geht. Das ist ja alles neu hier“, sagt sie, schaut in den Rück­spiegel, dann über die Schulter und zu Tim Jür­gens, der auf dem Bei­fah­rer­sitz ebenso ratlos über die Schulter blickt. Wir lassen die BayA­rena links liegen. Jür­gens’ Hand fährt durch die Luft, zeigt in ver­schie­dene Rich­tungen. War die Geschäfts­telle nicht mal da hinten?“ Doch da hinten steht nur ein Gerüst. Ja, ich glaube auch.“ Wir wenden. Wasser pras­selt auf die Scheiben. Ach, lassen Sie uns ein­fach mal hier raus. Wir werden es schon finden.“ Wir hoffen es zumin­dest. Hier im Regen. Hier unter der halb­fer­tigen Tri­büne der neuen BayA­rena.



Wir sind tat­säch­lich richtig. Simon Rolfes, René Adler, Gon­zalo Castro, die uns von den rie­sigen Pla­katen rund um die Bau­stelle BayA­rena grüßen, weisen uns den Weg. Und als wir das Restau­rant der Geschäfts­stelle betreten, grüßt auch Bernd Schneider. Seine Finger fahren über einen Stapel Papiere, geschäftig, er nippt an seinem Was­ser­glas. Rudi Völler sitzt drei Tische weiter, auch geschäftig, doch vor allem: gut gelaunt. Ein kurzes Hallo“ in die Runde, wir wollen nicht stören, sind etwas zu früh. Rudi Völler nickt: Wir treffen uns gleich in der Adidas-Lounge.“ Dann lächelt er und nippt am Kaffee. Dieses Rudi-Lächeln. Wir fühlen uns wohl, irgendwie zu Hause, dort im gedeckten Ess­zimmer der großen Bayer-Familie. Im Fahr­stuhl sagt Tim Jür­gens: Das wird gut.“

Welt­män­nisch auf den Rasen schauen

In der Adidas-Lounge warten die 11Freunde-Foto­grafin Andrea Borowski und ihre Assis­tentin. Ich habe mal gelesen“, sagt Tim Jür­gens, dass Rudi Völler es nicht son­der­lich mag, foto­gra­fiert zu werden.“ Andrea schraubt an der Kamera herum. Nun“, ant­wortet sie, es liegt an euch, dass er nach dem Gespräch noch gute Laune hat.“ Dann schenken wir uns Wasser ein, knab­bern uns durch den bunten Plätz­chen­teller, blät­tern im Sta­di­on­ma­gazin und ver­su­chen wichtig und welt­män­nisch auf den Rasen zu schauen. So wie die Senior-Pro­duct-Manager von Adidas. Am Ende sehen wir doch nur aus wie Tim Jür­gens und Andreas Bock.

Ein paar Kräne über­ragen die Tri­bünen, sie sind nach oben offen, das Dach fehlt, die BayA­rena bekommt für einen Augen­blick den Charme eines süd­ame­ri­ka­ni­schen Fuß­ball­sta­dions. Doch die ben­ga­li­schen Feuer brennen nicht, die Papier­rollen fliegen nicht über die Ränge, die Sonne glüht nicht auf den Rasen. Es regnet immer noch, und an der Sei­ten­linie eilt Bayer-Pres­se­spre­cher Uli Dost ent­lang. Es gibt viel zu tun.

In einem Wand­ständer stehen fein säu­ber­lich auf­ge­reiht die Auto­gramm­karten der aktu­ellen Bayer-Spieler. Die Vor­der­seite zeigt sie im Trikot, auf der Rück­seite posieren sie mit Hammer und Schutz­helm, im Gesicht sind sie mit Ruß beschmiert, wie Arbeiter, die ihr halbes Leben unter Tage ver­bracht haben. Stellt man sie neben­ein­ander, sehen sie aus wie die Vil­lage People“. Ich stecke eine Karte, die von Arturo Vidal, für meinen Kol­legen Dirk Gie­sel­mann ein. Er wird später sagen: Schön. Spielt die Karte die Melodie von ›YMCA‹, wenn ich sie schüt­tele?“

Rudi Völler trägt schwarzes Sakko und blaues Hemd. Der Bart ist noch dort, wo er immer war, das Haar grau wie seit 20 Jahren. Es ist der Rudi aus unseren Bil­dern, der 1983 Bun­des­liga-Tor­schüt­zen­könig wurde, der 1990 den Welt­meis­ter­pokal in den Himmel von Rom streckte, der 1993 die Cham­pions League mit Olym­pique Mar­seille gewann und der Ruuudi, der 2002 plötz­lich im End­spiel von Yoko­hama stand und an der Sei­ten­linie machtlos zusehen musste, wie Oliver Kahn den größten Fehler seiner Natio­nal­mann­schafts­kar­riere machte – den ein­zigen.

Wir bli­cken gemeinsam auf die Kräne über der Nord­tri­büne, auf die Stahl­träger, auf das Sta­dion im Werden. Völler erin­nert sich an seine ersten Jahre, an die ersten Aus­wärts­spiele im Ulrich-Haber­land-Sta­dion. Früher“, sagt er, da wirkte alles ein biss­chen grau. Fast leblos.“ Nun schaut er schon ein biss­chen stolz – obgleich nie­mals wichtig, nie­mals unnahbar, nie­mals so wie es ein Manager viel­leicht tun müsste. Völler guckt ein­fach wie Rudi. Und wäh­rend er auf den Rasen blickt, ver­weist er stets auf das ganze Gebilde, auf den einen Strang, an dem sie alle und gemeinsam ziehen. Dann zeigt Völler auf die Wand mit den Karten und hält einen Stift mit der Auf­schrift Werkself“ hoch. Das war die beste Idee, die wir bei Bayer je hatten.“ Erst in den letzten Jahren begann man in Lever­kusen offensiv und kreativ mit dem ver­meint­li­chen Laster, dem Image des Pil­len­klubs“ umzu­gehen. Heute ist das Bayer-Kreuz sogar bei den Fans Kult.

Rudi Völler redet besonnen. Nur einmal, als wir über Trends und Ver­än­de­rungen spre­chen, hebt sich seine Stimme und auch sein Zei­ge­finger. Wir ver­än­dern in Lever­kusen nie­mals nur um den Ver­än­derns­willen“, sagt Völler. Dann lehnt er sich wieder zurück. Ganz ent­spannt blickt er sogar noch einmal auf die Wei­zen­bier-Geschichte zurück, von der bis heute ver­mut­lich häu­figer erzählen musste als vom WM-Titel 1990. Waldi ruft mich jedes Jahr am 6. Sep­tember an und bedankt sich für den Pau­laner-Wer­be­ver­trag, den er damals nach dem Island-Spiel bekommen hat.“ Wir geraten kurz ins Plau­schen, reden über Kino­filme, über Dinge, die nichts mit Fuß­ball zu tun haben, über den pri­vaten Rudi Völler, der sich mit Freunden auch über fuß­ball­ferne Themen unter­hält. Über Gott und die Welt, sagt er. Über Politik zum Bei­spiel.

Foto­grafin Andrea Borowski bereitet das Licht vor. Wäh­rend wir aus der Tür gehen, hören wir Rudi Völler zu ihr sagen: Wissen Sie, ich rede sehr gerne über Fuß­ball. Das kann ich stun­den­lang machen.“ Als wir uns umdrehen, schmun­zelt Völler. Aber Foto­ter­mine, die mag ich nicht so gerne.“