Christoph Daum hat Rivalitäten in Deutschland, Belgien oder der Türkei erlebt. Fotomontagen, fliegende Handys und Waffen auf den Tischen gab es aber nur in Istanbul.
Christoph Daum, Sie haben in Deutschland, Österreich, Belgien und der Türkei trainiert. Wo sind die Rivalitäten am intensivsten?
Die Rivalitäten in der Türkei haben eine ganz andere Dimension als etwa hierzulande. Wir sprechen ja gerne von Leidenschaft, die Steigerung davon kann man bei den großen Istanbuler Derbys sehen: Fanatismus. In den letzten Jahren durften oft nicht mal mehr Auswärtsfans mit zu den Spielen, um Ausschreitungen zu verhindern. Und von denen hat es genug gegeben. Schon eine Woche vor dem Spiel ist die Stimmung sehr emotional. Und diese Emotionalität wird von den Medien aufgenommen und befeuert. Man muss nur einen Blick in die Zeitungen werfen. Mit welch martialischen Überschriften und Bildmontagen dort Stimmung gemacht wird, wäre hier undenkbar. Auch die Fernsehsendungen sind voller Provokationen.
Lassen sich die Spieler davon beeinflussen?
Bei einigen führt es dazu, dass sie schon vor Spielbeginn voller Adrenalin sind. Mit Fenerbahce haben wir einmal 3:1 gegen Galatasaray gewonnen, da gab es bereits beim Warmmachen das erste Handgemenge. Aber gerade zuhause hast du auch eine Platzhirschmentalität. Da willst du zeigen, wer Herr im Hause ist. Die Spieler von Galatasaray haben sich irgendwann nicht mehr auf dem Platz warmgemacht, wenn sie bei uns gespielt haben, sondern in den Katakomben.
Oft schlägt die Leidenschaft der Fans über die Stränge.
Ja. Im vergangenen Jahr wurde der Mannschaftsbus von Fenerbahce beschossen. Das war der absolute Tiefpunkt und ein krimineller Akt. Die Hintergründe sind noch immer nicht geklärt, es kann also sein, dass das mit Fußball gar nichts zu tun hatte. Aber in der Türkei hat es zu einer Welle der Solidarität geführt, die über die Grenzen der Fanlager hinausging.
Haben Sie sich im Stadion selber mal bedroht gefühlt?
Manchmal, ja. Es ist nicht nur so, dass die Fans unglaublich laut brüllen, sie pflegen auch die Unart, Dinge aufs Feld zu werfen. Manche Anhänger nehmen alte Handys mit, die sie nicht mehr brauchen. Dann werfen sie erst den Akku, und anschließend das Gerät. Beliebt sind auch Wasserflaschen. Da flogen manchmal so viele, dass man problemlos einen Getränkehandel hätte eröffnen können. Das hat immer wieder zu kleineren Verletzungen bei meinen Spielern geführt.
Haben Sie auch Gegenstände abbekommen?
Ja, aber ich habe da nie drauf reagiert. Ich habe mich immer an die Regel gehalten: Nie mit dem Gesicht zu den Fans zur Bank zurückgehen. Immer mit dem Rücken zu den Fans stehen. Das ist für die Spieler natürlich nicht so einfach, bei Ecken sind immer sehr viele von Gegenständen getroffen worden. Aber die meisten wissen, dass es die Anhänger nur noch aggressiver macht, wenn sie eine Szene machen. Also schütteln sie sich einmal und dann geht es weiter.
Das Derby scheint den türkischen Fans heilig zu sein.
Das ist es auch. Wie wichtig der Derbysieg ist, merkt man auch daran, dass selbst eine Meisterschaft einen Makel hat, wenn man den Rivalen in der Saison nicht besiegt hat. Wenn du mit Fenerbahce Meister wirst, aber Galatsaray nicht geschlagen hast, hat der Titel einen schlechten Beigeschmack. Der Derbysieg ist also fast so wichtig wie die Meisterschaft.
Sie haben Besiktas und auch Fenerbahce trainiert. War der Wechsel zwischen den Vereinen je ein Problem?
Ich hatte bei beiden Klubs Erfolg und bin Meister geworden, daher nein. Die Besiktas-Fans haben immer gesagt: „Das ist unser Trainer, den haben wir nur für eine gewisse Zeit ausgeliehen.“
Wie ist so ein Wechsel für die Spieler?
Als ich Anfang der neunziger Jahre das erste Mal in der Türkei arbeitete, war ein Wechsel zwischen den Istanbuler Vereinen undenkbar. Mittlerweile ist das nicht mehr so problematisch. Nur wenn ein Spieler lange und erfolgreich bei einem Verein war, schlägt ihm bei einem Wechsel eine gewisse Häme entgegen. Problematisch sind heutzutage eher Transfers von Spielern von den Großklubs zu kleineren Vereinen. Dort bekommen die bei den Fans kein Bein auf den Boden. Das gleiche gilt für einen Wechsel von einem Istanbuler Großklub zu Trabszonspor. Da besteht noch immer eine große Ablehnung, weil sich viele Fans kleinerer Vereine von den Istanbuler Vereinen benachteiligt und zurückgesetzt fühlen.
Die Süper Lig hat Geld, Stars, Tradition, aber für die internationale Spitze reicht es nicht. Ist der türkische Fußball vielleicht zu emotional?
Türkische Klubs erzielen ja immer wieder internationale Achtungserfolge, aber insgesamt fehlt es an Kontinuität. Hier wollen alle immer den sofortigen Erfolg, dafür werden die Mannschaften mit viel Geld verstärkt. Wenn es dann am letzten Spieltag, aus welchem Grund auch immer, doch nicht für die Meisterschaft reicht, ist der Trainer der Schuldige und muss gehen. Das ist mir zweimal passiert. Die Entlassung des Trainers ist aber noch nicht genug, auch die Mannschaft wird wieder umgekrempelt. So kann natürlich keine Kontinuität entstehen.
Woher kommt dieser Mangel an Kontinuität?
Ein Problem war sicherlich, dass viele Klubs bis vor kurzem alle zwei Jahre Vorstandswahlen hatten. Erst durch eine Satzungsänderung haben die Klubs heute einen Turnus von drei oder vier Jahren, so kann ein Vorstand auch mal über eine gewisse Strecke seine Aufbauarbeit durchsetzen. Problematisch bleibt aber die Zusammenstellung des Vorstandes. Da gibt es einen Präsidenten und 15 Vizepräsidenten. Und für jeden davon ist das Amt gesellschaftlich extrem wichtig.
Sie kennen wahrscheinlich die Geschichte von Jörg Berger, bei dessen Verhandlungen mit einem türkischen Klub der Vereinsboss plötzlich eine Pistole auf den Tisch legte. Ist Ihnen mal etwas Ähnliches passiert?
Jörg lebt ja leider nicht mehr, deswegen kann man ihn nicht mehr fragen, ob er das als Einschüchterung empfunden hat. Denn wir müssen die andere Mentalität in der Türkei bedenken. Mittlerweile hat es ein wenig abgenommen, aber vor zwanzig Jahren war es absolut üblich, dass viele Personen einen Waffenschein hatten und auch eine Waffe besaßen. Dementsprechend üblich war es auch, dass man diese Waffe erstmal ablegte, wenn man mit mehreren Personen zusammensaß. Auch ich saß mit Leuten zusammen, die erstmal ihren Holster abgeschnallt haben.
Sie haben lange in Deutschland gearbeitet. Hatten Sie hierzulande einen Erzrivalen?
Einen wirklichen Trainerrivalen hatte ich nicht. Zu Beginn vielleicht Jupp Heynckes, aber das hat sich mit den Jahren beruhigt. In Deutschland habe ich meist um die Deutsche Meisterschaft mitgespielt, da war dann naturgemäß der FC Bayern mein Rivale. Da haben die Trainer durch die Möglichkeiten des Vereins immer einen kleinen Vorteil. Aber durch die vielen Trainerwechsel gab es den einen Widersacher nicht.
Sie waren von 1986 bis 1990 Cheftrainer des 1. FC Köln, von 1996 bis 2000 Cheftrainer beim Rivalen aus Leverkusen. Gab es deswegen jemals Probleme mit den Fans?
In Köln nicht. Zu meiner Kölner Zeit hatte der FC sportlich einen klaren Vorsprung. Selbst wenn wir in Leverkusen spielten, war das eher wie ein Heimspiel. Da standen Leute in Bayer-Jacken, die haben zu mir gesagt: „Ich habe zwar das Bayer-Kreuz hier drauf, aber mein Herz schlägt für den FC“.
Und in Leverkusen?
In Leverkusen war es zu Beginn nicht ganz so einfach. Ich war ein Feindbild, weil ich mich als FC-Coach hin und wieder provokant in Richtung des anderen Rheinufers geäußert hatte. Vor dem Derby gegen Köln bat ich die Vertreter der Fanklubs um ein Treffen. Ich sagte ihnen: „Wenn wir spielen, unterstützt ihr die Mannschaft 90 Minuten lang. Anschließend komme ich nochmal raus, dann könnt ihr mich zehn Minuten beschimpfen. Aber es kann nicht sein, dass ihr negativen Stimmungen mir gegenüber mit ins Spiel nehmt und die Mannschaft darunter leiden muss.“ Wir gewannen das Spiel mit 4:0, die Fans überhäuften mich mit Geschenken und sagten: „Jetzt bist du einer von uns.“ Und mittlerweile gucken eher die Bayer-Fans schmunzelnd zum anderen Rheinufer.
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