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Peter Alt­maier hat richtig zuge­fasst, neu­lich beim Bun­des­prä­si­denten. Höf­lich, aber auch bestimmt griff der barocke Saar­länder zu, als ihm Joa­chim Gauck die Ernen­nungs­ur­kunde zum Bun­des­um­welt­mi­nister am Dienstag im Schloss Bel­levue in die Hand drückte. Wäre ja noch schöner gewesen, wenn Alt­maier, bis­lang Par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­führer der CDU/CSU-Bun­des­tags­frak­tion, vor lauter Glück nichts mehr wahr­ge­nommen hätte um sich herum, wenn er wie para­ly­siert gewesen wäre. Ganz ähn­lich hatte Bas­tian Schwein­steiger sich am selben Tag dafür ent­schul­digt, dass er an der aus­ge­streckten Hand Gaucks nach dem Cham­pions-League-Finale achtlos vor­bei­ge­rauscht war.

Schwein­steiger hatte den ent­schei­denden Elf­meter ver­schossen, er war mit sich und der Welt tief unglück­lich. So tief unglück­lich, dass er drei Tage brauchte, um sich beim ersten Mann des Staates zu ent­schul­digen.

Und das kann zugleich eine gute Nach­richt für Deutsch­land sein. Bas­tian Schwein­steiger ist wieder bei Besin­nung und wird sich nun mit aller Kraft auf das kon­zen­trieren können, was ihm und seinen Mit­spie­lern vom FC Bayern in diesem Mai gleich dreimal miss­glückt war – näm­lich einen Titel zu gewinnen. Am Wochen­ende werden der 27 Jahre alte Mit­tel­feld­chef und seine sieben Natio­nal­mann­schafts­kol­legen in Süd­frank­reich ein­treffen. Die große Frage, die sie begleitet, wird sein: Werden die para­ly­sierten Bayern sich befreien können von der Last der ver­loren Finals und werden sie die Natio­nal­mann­schaft auf ihrem Weg zum EM-Titel vor­an­bringen können?

Bayern sind nur noch zweite Wahl

Was noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen ist, geis­tert dieser Tage durch die luxu­riöse Anlage des zum Mann­schafts­quar­tier umfunk­tio­nierten Four Sea­sons Resort Pro­vence. Werden die Herren Lahm, Bad­s­tuber, Boateng, Neuer, Kroos, Müller, Gomez und Schwein­steiger recht­zeitig zu jener Form auf­laufen können, die oft gewinn­brin­gend war, die die deut­sche Mann­schaft ver­lust­punkt­frei durch die EM-Qua­li­fi­ka­tion und zwi­schen­drin zu viel beach­teten Siegen über große Fuß­ball­na­tionen wie Bra­si­lien und Hol­land gebracht und sie so zu einem heißen Anwärter auf den EM-Titel gemacht hat?

Und nun sind die Bayern nur noch zweite Wahl, national steht Borussia Dort­mund über ihnen, wie Karl-Heinz Rum­me­nigge ein­ge­stehen musste. Man weiß, wie weh den Bayern ein sol­ches Ein­ge­ständnis tut. Und inzwi­schen weiß man eben auch, wie leicht das man­chem Dort­munder den Kopf ver­drehen kann. Geschäfts­führer Hans-Joa­chim Watzke möchte, dass sich die neuen Ver­hält­nisse im deut­schen Fuß­ball nun auch bit­te­schön in der Natio­nal­mann­schaft wider­spie­geln. Wenn man Meister und Pokal­sieger wird, dann darf man davon aus­gehen, dass diese Leis­tung auch ent­spre­chend bei der Natio­nal­mann­schaft gewür­digt wird.“ Joa­chim Löw sei der beste Trainer, den diese Mann­schaft haben könne. Ich gehe davon aus, dass er in jedem Fall die rich­tigen Ent­schei­dungen trifft“, hat Watzke gesagt. Was Herr Watzke nicht gesagt hat, ist, dass der Bun­des­trainer sich noch nie von sol­chen Zurufen hat leiten lassen, ja dass dieser derlei Ein­las­sungen in etwa so schätzt wie die Frau Bun­des­kanz­lerin den Alt­maier-Vor­gänger Röttgen.

Und was hätte Watzke gesagt, wenn die Bayern das Cham­pions-League-Finale gewonnen hätten? Aber das ist es ja. Die Bayern sind ange­knackst, die Dort­munder lächeln als Sieger. Und natür­lich sind die Dort­munder Hum­mels, Gün­dogan, Götze, Sven Bender und Schmelzer sehr gute Fuß­ball­spieler, des­halb haben sie Andere ver­drängt, die zum Bei­spiel noch vor zwei Jahren im WM-Kader standen. Nur wenn Löw zum 29. Mai seinen vor­läu­figen EM-Kader eine End­lich­keit ver­leihen und daher drei Feld­spieler sowie einen Tor­wart strei­chen muss, könnte es sein, dass das Dort­munder Quin­tett gesprengt wird. Kaum vor­stellbar, dass Löw einen der Bayern aus­sor­tieren wird. Die acht Münchner bilden das Rück­grat der Natio­nalelf, sie bringen es zusammen auf 341 Län­der­spiele. Die fünf Dort­munder dagegen auf 32.

Jetzt-erst-recht“-Mentalität

Es ver­wun­dert daher wenig, dass man im deut­schen Tross offi­ziell die Sorge um die men­tale Ver­fas­sung der Bayern-Profis für unbe­gründet hält, wie es Hans-Dieter Her­mann hat aus­richten lassen. Für den Team­psy­cho­logen sind die Erfolgs­aus­sichten der Natio­nal­mann­schaft durch die bit­tere Nie­der­lage gegen Chelsea nicht geringer geworden. Er gehe davon aus, dass sie eine Jetzt erst Recht“-Mentalität ent­wi­ckeln würden. Wir werden die Bayern-Spieler ein­fach in unseren Team­spirit für die Euro­pa­meis­ter­schaft auf­nehmen. Ich bin mir sicher, dass sie sich schnell darauf ein­lassen und sehr schnell nach vorne schauen“, sagte Her­mann.

Franz Becken­bauer war da noch vor wenigen Tagen ganz anderer Ansicht. Der sah in Löw den wahren Leid­tra­genden des Münchner Dramas. Der Bun­des­trainer bekomme in ein paar Tagen tief depri­mierte Bayern-Spieler, deren psy­chi­sche Ver­fas­sung ver­ständ­li­cher­weise erbärm­lich“ sei. Selbst der hüb­sche, aber völlig bedeu­tungs­lose Erfolg unter der Woche gegen Hol­land konnte da kaum trau­ma­lin­dernd wirken. Der Münchner Trainer Jupp Heyn­ckes sagte, dass das Drama dahoam“ für ihn mit jedem Tag schlimmer wird“. Weit jün­gere Männer, wie die Spieler, emp­finden das viel­leicht anders. Sie können noch etwas reißen in diesem Sommer. Es tue noch sehr weh, aber man sei als Leis­tungs­sportler zu aller­erst ehr­geizig, wie es Kapitän Philipp Lahm aus­drückte. Wir wollen Erfolg. Das ist unsere Moti­va­tion. Wir werden den Span­nungs­bogen wieder auf­bauen.“ Der 28-Jäh­rige sieht in der Auf­gabe sogar einen Vor­teil: Das ist besser, als jetzt vier Wochen in den Urlaub zu fahren.“

Und selbst die Dort­munder wollen nicht auf die Bayern ver­zichten. Die Bayern werden selbst­be­wusst sein und auch die Füh­rungs­rolle hier im Team über­nehmen, auf­grund ihrer Stel­lung und ihrer Län­der­spiele“, sagte Mats Hum­mels.

Aber es ist eben nicht nur der psy­chi­sche Knacks durch die ver­lo­renen Titel, der die momen­tane Situa­tion so heikel macht. Auch Löw ist auf­ge­fallen, dass seine Münchner Natio­nal­spieler nicht ihre sport­liche Top­form erreicht haben. Manuel Neuer hielt zwar einige Elf­meter, aber in den ver­gan­genen Spielen unter­liefen ihm immer mal wieder Leicht­sinns­fehler. Ähn­li­ches ließe sich über Jerome Boateng sagen, und vor allem Schwein­steiger, der sich nach langer Abwe­sen­heit durch die Spiele arbei­tete, spielte zuletzt noch in einer anderen Geschwin­dig­keit Fuß­ball. In einer gerin­geren als der Rest der Gruppe. Und obgleich auf einer zen­tralen Posi­tion wie der seinen nur ungern Ver­än­de­rungen vor­ge­nommen werden, ist die Kon­kur­renz dort groß. Toni Kroos und Sami Khe­dira haben schon gezeigt, dass sie das Fehlen des eigent­li­chen Spiel­len­kers kom­pen­sieren können.

Selbst Thomas Müller, der Shoo­ting­star der WM 2010, wird bedrängt, vom Mön­chen­glad­ba­cher Marco Reus. Dass dieser dem­nächst für Borussia Dort­mund auf­läuft, wird seine Chancen in der Natio­nal­mann­schaft nicht schmä­lern.

Tagesspiegel@11Freunde