Heute wird Olaf Seier 65 Jahre alt. Er machte über 200 Spiele für Union Berlin und träumte von der Bundesliga. Als die Mauer fiel, war er aber schon zu alt. Also ging er nach Venezuela.
Wie war das 1990 beim legendären Wiedervereinigungsspiel zwischen Union und Hertha?
Ähnlich. 50.000 Fans im Olympiastadion feierten beide Mannschaften und ein denkwürdiges Spiel. Es gab schon vorher einen großen Medienrummel.
Sie liefen als Kapitän auf.
Eine große Ehre. Wir hielten auch gut mit. Ich glaube, Hertha hatte uns ein wenig unterschätzt. Zur Halbzeit stand es 1:1, am Ende gewann Hertha 2:1. Mit den Spielern haben wir uns gut verstanden, wir waren danach auch gemeinsam essen. Was uns überraschte, war die Sache mit den Trikots und den Schuhen.
Was meinen Sie?
Uns wurden neue Trikots und Schuhe von einem Ausstatter gestellt. Das waren gute Schlappen, aber noch nicht eingelaufen. Also entschieden wir, dass wir in den alten Schuhen spielen.
War das Spiel auch eine Möglichkeit, sich für Westvereine zu empfehlen?
Für einige Mitspieler bestimmt. Aber nicht für mich. Damals war ich schon 31. Obwohl ich natürlich gerne in der Bundesliga gespielt hätte.
Dafür wurden Sie zweimal Meister in Venezuela. Auch nicht schlecht.
Der FC Caracas hielt 1991 ein Trainingslager in Deutschland ab und war auf der Suche nach Spielern. Deutsche Fußballer standen damals im Ausland hoch im Kurs, die DFB-Elf war schließlich gerade Weltmeister geworden. Guillermo Valentiner, ein deutschstämmiger Pharmazieunternehmer und Präsident des FC Caracas, bot mir nach einem Probetraining einen Dreijahresvertrag an.
Wie reagierte Ihre Familie?
Valentiner besaß eines der ersten Mobiltelefone der Welt, das war in etwa so groß wie ein Kühlschrank. Ich weiß noch, wie ich damit meine Frau anrief: „Schatz, der neue Verein ist doch etwas weiter weg!“
In Venezuela kam es damals zu Putschversuchen gegen die Regierung von Carlos Andrés Pérez. Hatten Sie keine Angst?
Wir lebten in einer Art Gated Community in der Nähe von Guillermo Valentines Villa. Aber die Atmosphäre war natürlich beklemmend. Einmal wurden 500 Meter von unserem Wohnort entfernt, ironischerweise „El Paraiso“ genannt, auf offener Straße Menschen erschossen. Nach solchen Vorfällen gab es Ausgangssperren, und das Training wurde abgesagt. Mit Einheimischen hatten wir deswegen kaum Kontakt. Jahre später, ich war längst Trainer beim Köpenicker SC, hat mich ein Spieler mal gefragt: „Trainer, weiß du eigentlich, wo du damals gespielt hast? Das ist die gefährlichste Stadt der Welt.“
Auch heute in Berlin haben Sie Mut zum Risiko.
Wie meinen Sie das?
Wir haben gehört, dass Sie an der Grenze zu Hohenschönhausen leben. Das ist doch BFC-Gebiet.
Ach, diese Reviere haben sich doch vollkommen aufgelöst. Fragen Sie mal die Kinder beim Kietz für Kids Freizeitsport e.V., wo ich momentan als Sportlicher Leiter arbeite. Die sind alle Union-Fans. (Überlegt.) Vielleicht aber auch, weil ich dort arbeite. (Lacht.)
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