Am Sonntag startet der Afrika Cup in Kamerun. Mit großen Favoriten, aufgeregten Frischlingen und einigen Nebenschauplätzen. Was uns beim Turnier erwartet.
Die Favoriten
Da gibt es gleich einige. Zuallererst: der Titelverteidiger. Algerien schlug den Senegal 2019 im Finale, reitet aber nicht erst seitdem auf einer Welle des Erfolgs. Stolze 34 Spiele ist das Team um Riyad Mahrez (Manchester City) und Ramy Bensebaini (Borussia Mönchengladbach) ungeschlagen. Freundschaftsspiele, Afrika Cup, Arab Cup, Quali-Spiele – alles kein Problem. Algeriens letzte Niederlage stammt vom 16. Oktober 2018, ein 0:1 gegen Benin.
Neben der vielleicht größten individuellen Qualität im Kader bringt der Senegal auch das Höchstmaß an Titelsehnsucht mit nach Kamerun. Noch nie konnten die Löwen der Teranga den Afrika Cup gewinnen, 2002 und 2019 scheiterte das Team jeweils im Finale. Liverpools Sadio Mané soll den Titel nun endlich nach Hause bringen, unterstützt wird er von Edouard Mendy (Chelsea), Idrissa Gueye (Paris Saint-Germain) und Kapitän Kalidou Koulibaly (SSC Neapel).
Und dann wäre da noch der Rekordsieger. Siebenmal konnte Ägypten bereits den Afrika Cup gewinnen. Auch in diesem Jahr treten die Pharaonen mit einem Team an, dass im US-Sport als „top heavy“ bezeichnet werden würde, so sehr hebt sich mit Mo Salah der beste Spieler der Mannschaft vom Rest ab. Nigeria und Ghana müssen nach wackligen Leistungen in der WM-Qualifikationen erst wieder ihre Qualitäten unter Beweis stellen. Kamerun hat Außenseiterchancen und will vom Heimvorteil profitieren.
Warum ist Gernot Rohr nicht mehr dabei?
Tja, gute Frage! Fünf Jahre lang war der Deutsche als Trainer von Nigeria aktiv, sportlicher Erfolg samt Qualifikationen für alle wichtigen Turniere inklusive. Im Dezember wurde er dann aber entlassen. Vom Verband hieß es, man sei mit dem Fußball nicht mehr zufrieden gewesen, speziell gegen kleinere Gegner habe man zu wenig dominiert. Hinter vorgehaltener Hand wurde Rohr außerdem gerne vorgeworfen, zu viele „Deutsche“ zu nominieren. Kevin Akpoguma (TSG Hoffenheim) und Leon Balogun (Glasgow Rangers) sind nicht mehr Teil des Kaders. Das ist auch der ehemalige Kölner Emmanuel Dennis nicht, obwohl er einer der besten Stürmer seines Landes ist. Der Verband hatte ihn schlichtweg zu spät nominiert und seinen Klub, den FC Watford, nicht fristgerecht informiert.
Wer könnte überraschen?
Mali! Ungeschlagen marschierte das Team zuletzt durch die WM-Quali und hat sich für die Playoffs qualifiziert. Und das, obwohl die Adler ihre Heimspiele zuletzt nicht mehr im eigenen Land austragen konnten. Das für die Länderspiele vorgesehene Stadion fiel bei einem Check der FIFA durch die Qualitätskontrolle, gespielt wurde stattdessen in Marokko. Sieben weitere afrikanische Nationen ereilte das gleiche Schicksal. An einer Weltmeisterschaft teilgenommen hat Mali noch nie, die Qualifikation wäre der größte fußballerische Erfolg des Landes. Zuvor ist aber beim Afrika Cup gut was drin für die Mannschaft, die von Amadou Haidara (RB Leipzig), Yves Bissouma (Brighton & Hove Albion) und Diadié Samassékou (TSG Hoffenheim) angeführt wird. 2012 und 2013 reichte es bereits für den dritten Platz. Ähnliches ist Mali auch bei diesem Turnier zuzutrauen.
Die Marktwerte
Der wertvollste Spieler des Turniers ist laut transfermarkt.de Mo Salah vom FC Liverpool. Das Portal taxiert dessen Marktwert auf exakt 100 Millionen Euro. Das wertvollste Team hat der Senegal mit einem Kaderwert von rund 342 Millionen Euro. In der Gruppe bekommt es der Senegal unter anderem mit Malawi zu tun – dessen Team insgesamt 4,3 Millionen Euro wert ist. Unterbieten können das nur noch der Sudan (2,9 Millionen) und Äthiopien (2,8 Millionen).
Der Gastgeber
Bereits 2019 hätte Kamerun den Afrika Cup austragen sollen. Das Turnier wurde dem Land schlussendlich allerdings entzogen, da die Vorbereitungen nicht pünktlich abgeschlossen werden konnten. Nun also der zweite Versuch. Und der steht unter keinem allzu guten Stern. Noch immer befindet sich das Land in einem Bürgerkrieg. Eine englischsprachige Minderheit aus dem Westen des Landes kämpft um ihre Unabhängigkeit, die Zentralregierung schlägt mit Waffengewalt zurück. Und dann ist da eben noch das Corona-Thema.
Welche Rolle spielt Corona?
Kurz vor Turnierstart passte der afrikanische Fußballverband die Auflagen für Stadionbesucher an. So dürfen bei Spielen des Gastgeberlandes Kameruns die Stadien nur zu 80 Prozent ausgelastet sein, bei allen weiteren Partien gibt es eine Kapazitätsgrenze von 60 Prozent. Dass die Stadien voll werden, ist aber auch deshalb eher unwahrscheinlich, weil Fans geimpft sein und ein tagesaktuelles negatives Testergebnis vorweisen müssen. In Kamerun sind allerdings weniger als drei Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.
Gut möglich ist es außerdem, dass das Virus auch Einfluss auf den Turnierablauf haben wird. Etliche Teams haben vor dem Start mit Infektionen zu kämpfen. Gambia, das erstmals beim Afrika Cup an den Start geht, meldete zuletzt 16 positive Fälle im Kader. Auch der Favorit Senegal vermeldete drei positive Fälle, Folgeinfektionen nicht ausgeschlossen. Gabuns Pierre-Emerick Aubameyang (Arsenal) wurde bei seiner Ankunft in Kamerun ebenfalls positiv getestet. Wie groß der zeitliche Toleranzrahmen für das Absetzen und Wiederholen von Spielen ist, ist mit Hinblick auf die nationalen Ligen und Klubs, die ihre Spieler abstellen, noch unklar.
Die ewige Diskussion
Apropos Spieler abstellen: Das ewige Leiden und Murren der europäischen Klubs, die ihre Spieler mitten in der Saison ziehen lassen müssen, blieb auch vor diesem Afrika Cup nicht aus. Speziell Jürgen Klopp geriet in die Kritik, weil er auf einer Pressekonferenz sagte, dass für seine Spieler Salah, Mané und Naby Keita (Guinea) im Winter ein „kleines Turnier“ anstehe. Später präzisierte Klopp, dass er generell ansprechen wollte, das noch ein Turnier anstehe und seine Äußerung ironisch gemeint war. Senegals Nationaltrainer Aliou Cissé bemängelte, dass Klopp das Turnier „erniedrigen“ würde.
Und generell forderten Trainer, Spieler und Experten im Vorlauf mehr Respekt für den Wettbewerb ein. In einem Interview mit der BBC sagte beispielsweise Ian Wright, dass die Berichterstattung „völlig von Rassismus“ geprägt sei: „Es werden Spieler gefragt, ob sie der Berufung ins Team der Nationalmannschaften überhaupt nachkommen werden. Stellen Sie sich vor, das wäre ein englischer Spieler, der die ‚Three Lions‘ vertritt. Können Sie sich die Aufregung vorstellen?“. Auch Sebastien Haller kritisierte mangelnden Respekt. Natürlich würde der Ajax-Stürmer für die Elfenbeinküste auflaufen. „Würde diese Frage jemals einem europäischen Spieler vor den Europameisterschaften gestellt werden?“, frage er in einem Interview mit dem „Telegraaf“.
Die meisten Spieler stellt übrigens die Ligue1 ab, insgesamt sind es 54. Aus der Bundesliga reisen dagegen nur 12 Spieler zum Turnier.
Debütanten
Neben Gambia ist auch die Inselgruppe der Komoren zum ersten Mal dabei. In der Qualifikation schaltete das Team von Nationaltrainer Amir Abdou Kenia und den Kongo aus. Abdou schaute sich nach seinem Amtsantritt 2014 schnell in ganz Europa um, um Spieler mit komorischen Wurzeln aufzuspüren. Dabei stieß er tatsächlich auf einige Kicker, die meisten kommen aus Frankreichs zweiter und dritter Liga. Der wertvollste Spieler des Teams ist Faïz Selemani, der für KV Kortrijk in der ersten belgischen Liga kickt.
Alte Hasen und Frischlinge
Das erfahrenste Team des Turniers sind die Black Stars aus Ghana. Auf 122 Einsätze bringt es der Kader insgesamt. Das deutliche Gegenteil sind Gambia, Sierra Leone, Malawi, Sudan und die Komoren. Kein einziger Spieler dieser fünf Teams hat laut transfermarkt.de je ein Spiel beim Afrika Cup bestritten. Der Spieler mit der größten Afrika-Cup-Erfahrung ist übrigens Ghanas André Ayew. 31 Mal statt er innerhalb des Turniers auf dem Rasen.
Die Premiere
Der erste Afrika Cup fand 1957 mit ganzen drei Teilnehmern statt: Ägypten, Äthiopien und Gastgeber Sudan. Südafrika wollte ebenfalls antreten, wurde aber aufgrund der Politik der Apartheid vom Turnier ausgeschlossen. So qualifizierte sich Äthiopien direkt für das Finale. Dort unterlag die Mannschaft Ägypten mit 0:4. Alle vier Tore schoss Mohamed Ad-Diba, der in der Folge zum Spieler des Turniers gewählt wurde. Später schlug er die für einen Profifußaller ungewöhnliche Karriere eines Schiedsrichters ein und leitete 1968 das Finale des Afrika Cups zwischen Kongo und Ghana.
„Das waren Hobbyspieler“
Eine der lustigsten Figuren in der Geschichte des afrikanischen Fußballs ist der Togolese Tchanilé Bana. 2002 betreute er Togos Nationalteam, allerdings war sein Engagement nicht von Erfolg gekrönt, beim Afrika Cup in Mali schied Togo bereits in der Vorrunde aus. Doch Bana durfte im Amt bleiben. Erst 2009 wurde er entlassen, nachdem er zu einem Turnier in Kairo eine togolesische Nationalmannschaft anmeldete, die allerdings ausschließlich aus Spielern seines privaten Ausbildungszentrums bestand. Grotesk wurde es im September 2010. Bei der FIFA wurde ein Länderspiel zwischen Bahrain und Togo angemeldet, das staatliche Fernsehen übertrug die Partie. Togo unterlag bei diesem Auswärtsspiel 0:3, und Bahrains Trainer Josef Hickersberger unkte:„Die waren physisch so schwach, die konnten kaum 90 Minuten auf den Beinen stehen.“ Nachforschungen ergaben bald, dass der togolesische Verband nie eine Mannschaft nach Bahrain geschickt hatte.„Die Spieler, die an diesem Match teilgenommen haben, waren nicht echt. Das waren Hobbyspieler“, sagte Interimspräsident Seyi Memene. Bana, der diesen Zirkus inszeniert und dafür 150.000 Dollar Antrittsprämie erhalten hatte, wurde vom nationalen Fußballverband für drei Jahre gesperrt.
Oliver Bierhoff von Ghana
Ein Bundesligaspieler wurde 1992 zur tragischen Figur im Elfmeterschießen zwischen Ghana und der Elfenbeinküste. Im dramatischsten Finale in der Turniergeschichte verschoss Anthony Baffoe (u.a. Fortuna Düsseldorf) beim Stand von 10:11 den letzten Elfmeter. Später sagte er:„My soul was empty! Es war ein minutenlanges Gefühl der Leere, das mich überfiel. Ich habe mir dann aber überlegt, dass es besser war, dass ich verschossen habe, als irgendein junger Spieler. Und der Fehlschuss hat mich in Afrika wohl sogar noch bekannter gemacht als vorher. Ich habe aber auch danach weiter Elfmeter geschossen – und verschossen.“ Später wurde Baffoe Manager der Black Stars und Verantwortlicher für internationale Beziehungen. Die„Welt“ nannte ihn den„Oliver Bierhoff von Ghana“.
Sergej Barbarez und Anthony Baffoe.
Kicken für den Frieden
Der Afrika Cup 2004 stand im Zeichen einer Völkervereinigung. Ruanda hatte sich erstmals für das Turnier qualifiziert, und so standen mit einem Mal Hutu und Tutsi gemeinsam auf dem Fußballplatz, jene Volksgruppen, die wenige Jahre zuvor einen blutigen Bürgerkrieg erlebt hatten. Die Hutu-Regierung ließ zwischen Anfang April und Mitte Juli 1994 über 800.000 Tutsi ermorden. Dazu noch 200.000 moderate Hutu, die sich an dem Völkermord nicht beteiligen wollten. Ruanda schied beim Afrika Cup 2004 in der Vorrunde aus. Im Team stand unter anderem der in Deutschland lebende Michel Kamanzi. Der damals 29-jährige war weit weg vom Fußballprofitum. Er kickte damals für die SG Betzdorf, Rheinlandliga, Westerwald.