Ein Verein wie ein Erdbeben! Boca Juniors sind ein argentinisches Melodram und stehen sich oft genug selbst im Weg. Doch nirgendwo leben die Fans die Emotionen des Fußballs so intensiv aus wie hier.
Es gab Zeiten, Anfang der Achtziger, da konnte Boca Juniors keine Gehälter zahlen, da stand der Verein vor der Pleite. Sogar die Bombonera wurde vorübergehend geschlossen. Später, Ende der Neunziger, folgte eine Zeit, in der sie Stars wie Riquelme und Palermo halten konnten, doch bei den Gehältern in Spanien, England und Italien können argentinische Klubs bis heute nicht mithalten. Mehr als 1500 Profis spielen derzeit im Ausland. „Wir können nicht mal ein Viertel zahlen“, gibt Nobili zu.
Mithalten können sie bei Mitgliederzahlen. Ende April hat Boca Nummer 100 000 empfangen – in einer neugeschaffenen Kategorie zweiter Klasse. Mitglieder erster Klasse (67 204) haben Anrecht auf Dauerkarten. Sie zahlen pro Jahr 10 000 Pesos, etwa 1000 Euro. Der Marktwert der Tickets ist etwa fünfmal so hoch. Im Todesfall werden Dauerkarten weitervererbt, sie gelten als einer der größten Wertgegenstände der Stadt. „Wir könnten 250 000 Dauerkarten vergeben, haben aber nur 50 000 Plätze“, sagt Nobili.
„Dass wir das Viertel ganz verlassen, ist nicht vorstellbar.“
Er beschreibt da die große Magie des Klubs. Aber auch das große Dilemma. Das was er den „Clash der Kulturen“ nennt. Die Alten wollen die geliebte Bombonera nicht aufgeben. Die Jungen dagegen wollen ein neues Stadion und endlich ihre Chance.
Schon seit zehn Jahren gibt es Pläne für eine Erweiterung der Bombonera, aber dafür müssten in dem historischen Hafenviertel etwa 60 Häuser abgerissen werden. „Wenn sich nur ein Bewohner wehrt, können wir nicht bauen“, sagt Präsident Angelici. „Dass wir das Viertel ganz verlassen, ist nicht vorstellbar.“
Also hat er einen Neubau ins Spiel gebracht, 300 Meter entfernt, auf dem Trainingsgelände. Aber selbst der würde zu einer Rebellion führen, befürchten sie im Verein. Sie sind in der Hand des „Boca-Volkes“. Es bestimmt bei Trainerentscheidungen kräftig mit und bei Wahlen, selbst bei der Ticketvergabe. Hier im Viertel La Boca haben sie nach einem Arbeiterstreik sogar mal eine unabhängige Republik ausgerufen. Sie sind stolz auf ihre einfache Herkunft, italienische Einwanderer des 19. Jahrhunderts, sie sind stolz auf ihre kleinen bunten Häuser, die Kräne, die Lagerhallen, den Geruch von Schweiß, Eisen und schwerer Arbeit.
„La Bombonera bleibt. Boca ist das Volk.“
Der Verein war schon immer mit seinem Stadtteil verschmolzen. Das ganze Viertel ist in Blau und Gelb angemalt, Stromkästen, Laternenpfähle, Treppen, selbst manche Krämerläden und Rosenkränze der Autofahrer. Auf Plakatwänden wirbt der Verein für die Wahl der Miss Boca Juniors 2015. Auf anderen schreiben Fans ihre Botschaften, ebenfalls in Blau und Gelb: „Mit Millionären gibt es keine Demokratie. La Bombonera bleibt. Boca ist das Volk.“
Ursprünglich waren die Vereinsfarben Schwarz und Weiß, dann Hellblau, aber da die Rivalen sie schon trugen, mussten sie sich neue Farben suchen. Der damalige Vorsitzende Juan Briccheto ging zum Hafen und beschloss, die Nationalfarben des ersten einlaufenden Schiffes zu übernehmen. Es war ein schwedisches, die „Drottning Sophia“.
Briccheto war schon der dritte Präsident. Sein Vorgänger war erst 17 gewesen und hatte nach nur neun Tagen einen Freund abgelöst, der noch weniger Erfahrung hatte. Daher der Name Boca Juniors, die Junioren. Bricchetto selber starb am Tag vor Eröffnung der Bombonera, am 25. Mai 1940.