Ein Verein wie ein Erdbeben! Boca Juniors sind ein argentinisches Melodram und stehen sich oft genug selbst im Weg. Doch nirgendwo leben die Fans die Emotionen des Fußballs so intensiv aus wie hier.
Die Wahlen bei Boca haben Züge einer Bürgermeisterwahl, mit allem was dazugehört – Intrigen, Schmähkampagnen und Bestechung. Angelicis Vorvorgänger Mauricio Macri tritt im Oktober für die argentinische Präsidentschaftswahl an. Er hat gute Chancen. Er hat sich bei Boca einen Namen als Sanierer gemacht. Unter Macri holte der Club zwischen 1995 und 2007 17 Titel. Ohne ihn wäre Boca heute nicht da, wo es ist. Aber ohne Boca wäre Macri auch nie Bürgermeister von Buenos Aires geworden und heute Präsidentschaftskandidat.
Es sagt eine Menge aus über den Fußball. Und über Argentinien. Wenn Daniel Angelici heute durch sein Stadion schreitet, sieht er überall nur Größe. Es beginnt mit dem Foto in der Umkleidekabine, es zeigt ihn gemeinsam mit Papst Franziskus. Er geht vorbei an der bronzenen Statue Maradonas zu einem gigantischen, 20 Meter großen Maradona-Wandfoto, darunter der Schriftzug: „Genie, Genie, Genie. Von welchem Planeten kommst du.“ Weiter zu einer Tafel, auf der die 18 internationalen Pokale zu sehen sind: Copa Libertadores, Copa Internacional, Copa Intercontinental. Dazu der Slogan: „Rey Mundial de Clubes“. Und gleich mit der englischen Übersetzung: „World King of Clubs.“ Das ist die Botschaft fürs Ausland.
Jeden Tag ein größerer Klub
Der andere Slogan des Vereins lautet: „La Mitad Mas Uno.“ Die Hälfte plus einer. Soll heißen: Wir haben mehr als die Hälfte Argentiniens hinter uns. Das ist die Botschaft fürs eigene Land. Und dann ist da noch eine dritte: „Un club cada dia mas grande“ – Jeden Tag ein größerer Klub. Das ist Bocas Losung für die Zukunft. Für die Sponsoren.
Das größte Problem auf dem Weg dorthin? Da überlegt Angelici nicht lang. Die Bombonera. Sie ist zu alt und zu klein. Das andere: die Gewalt. Die Hooligans, die Ultras – in Argentinien Barra Brava genannt. „Wir wollen sie loswerden, schaffen es aber nicht. Die Gewalt ist ein Spiegel der argentinischen Gesellschaft.“
Der Mastermind hinter der neuen Expansionsstrategie ist Angelicis rechte Hand, Maximiliano Nobili. Er empfängt uns in seinem Büro vor einer Tafel mit dem Schriftzug: „Mach deinen Job mit Leidenschaft oder suche dir einen anderen Beruf.“ Nobili trägt Polohemd und Turnschuhe, er spricht leise und bedacht. Er wirkt etwas fehl am Platz neben den schweren Gemälden aus dem Hafenviertel La Boca und all den Statuen von muskulösen Arbeitern.
10 000 Fans zum Weltpokalfinale in Japan
Es sind Bocas Säulen der Vermarktung: Leidenschaft. Kampf. Geschichte. Schweiß. Immigranten. Hafen. Arbeiter. Sie sehen sich näher am FC Liverpool als den Londoner Klubs. Näher am BVB als an den Bayern. Aber Boca ist Boca. „Wir stehen gerade am Anfang“, sagt Nobili. „Wir haben unglaubliche Möglichkeiten und sie lange nicht genutzt. Welcher Verein schafft es sonst, 10 000 Fans zum Weltpokalfinale nach Japan
zu bringen? Wir blicken jetzt erst richtig in die Welt, auch nach Asien. Als Marke gehört Boca zu den Top 5, zu Barça, Real, Bayern. Aber leider nicht bei den Einnahmen.“
Als Erstes hat Boca Juniors Fußballschulen in mehr als fünfzehn Ländern gegründet, in New York, Miami, Ecuador, in Japan und Indien. Der Verein bedrängt den Verband, die Spiele endlich besser in Europa und Asien zu vermarkten. Boca hat die meisten Facebook-Fans Argentiniens (7 Millionen), die meisten Follower bei Twitter (1,3 Millionen). Es ist die bekannteste Marke des Landes, weit vor River Plate, der Ölfirma YPF oder Aerolineas Argentinas.
Zum ersten Mal nach Jahren ist der Klub zudem schuldenfrei. Die Haupteinnahmen stammen aus dem Sponsoring internationaler Firmen, aus dem Merchandising und Spielerverkäufen, vor allem aus den hochprofitablen Nachwuchszentren. Fernando Gago haben sie 2006 für 20 Millionen Euro zu Real Madrid verkauft. Für Maradona gab es 1984 die damalige Rekordsumme von 12 Millionen Dollar. TV-Gelder und Zuschauereinnahmen sind dagegen eher gering.