Wegen eines vergleichsweise harmlosen Banners hat der FC Bayern ein unbefristetes Hausverbot gegen einen Fan verhängt. Will der Verein kritische Fans mundtot machen? Er täte sich damit keinen Gefallen.
Ein Stuhl blieb leer. Stellvertretend für die Person, die dort hätte sitzen sollen, war ein Trikot des FC Bayern München über die Lehne gespannt. Das war Anfang Januar im Münchner „EineWeltHaus“. Dort und in einem Berliner Kulturhaus hatte der Club Nr. 12, der Dachverband aktiver Bayern-Fans, Diskussionsrunden unter dem Titel „Katar, Menschenrechte und der FC Bayern – Hand auf, Mund zu?“ organisiert.
Gerne hätten die Veranstalter auch mit einem Vertreter des Vereins über die Verbindungen des FC Bayern zu Katar, das immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht, diskutiert. Doch der Klub ließ die Einladung verstreichen. Stattdessen saßen auf dem Podium unter anderem zwei Nepalesen, die in Katar gearbeitet hatten und von ihren Erfahrungen berichteten. Zudem gehörte zu den Diskutierenden ein Fan der Gruppe Munich’s Red Pride (MRP). Die hatte sich in der Vergangenheit wiederholt kritisch zum Engagement des FC Bayern in Katar geäußert.
Einige Wochen später trat der Verein dann allerdings doch mit jenem Fan in Kontakt. Per Einschreiben erreichte ihn ein Brief der Bayern-Vorstände Karl-Heinz Rummenigge und Jan-Christian Dreesen. Doch in dem Schreiben ging es nicht um eine Gesprächsrunde zum Thema Katar. Es handelte sich um ein Hausverbot, das der Verein für das Vereinsgelände sowie für sämtliche Spiele des FC Bayern ausspricht. Unbefristet.
Als Grund führt der Klub die „nachweisliche Beteiligung bzgl. des unerlaubten Einbringens und Einsatzes eines Banners bei der Spielbegegnung FCB II – FC Halle am 17.02.2020“ an. Bei der besagten Partie hing auf der Tribüne mit den Fans des FC Bayern im Grünwalder Stadion während der gesamten Spielzeit ein Spruchband mit der Aufschrift „Bayern-Amateure gegen Montagsspiele“. Damit taten sie ihren Unmut gegen die aus ihrer Sicht fanunfreundliche Anstoßzeit am Montagabend kund – und das nicht zum ersten Mal. Später zeigten sie ein weiteres Transparent mit der Botschaft „TV-Diktat beenden, Verbandsfürsten absetzen“.
Ein Sprecher des Club Nr. 12 schildert, dass das Mitglied von MRP nach der Partie „auf klare Anforderung des Bayern-Sicherheitsdienstes“ von der Polizei kontrolliert worden sei. „Deshalb haben wir damit gerechnet, dass da noch etwas kommt“, so der Sprecher. Doch dass der Verein mit dem unbefristeten Hausverbot nun gleich die schärfste der zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergriffen habe, sei schlichtweg „abstrus“ und „unverhältnismäßig“. Zumal bislang wegen der beleidigenden Plakate gegen Dietmar Hopp beim Spiel in Sinsheim keinerlei Maßnahmen ergriffen worden seien. Ein Spruchband von MRP gab es bei dieser Partie übrigens nicht.
Laut FC Bayern gehören auch bei den Spielen der zweiten Mannschaft sämtliche Spruchbänder und Choreografien zu den genehmigungspflichtigen Fanutensilien. Wortlaut, Größe sowie Material-Zertifikate müssen bis spätestens eine Woche vor dem Spiel in schriftlicher Form der Direktion Fan- und Fanclubbetreuung vorliegen. Soweit die Theorie. Doch nicht nur in der dritten Liga, auch in den Bundesligen ist es an der Tagesordnung, dass Fans Spruchbänder ohne Anmeldung präsentieren oder sie trotz Ablehnung ins Stadion schmuggeln – ohne dass das in der Regel irgendwelche Konsequenzen hätte.
Dass der Klub nun wegen einer vergleichsweise harmlosen Meinungsäußerung zu solch einer drastischen Maßnahme greift, lässt beim Club Nr. 12 deshalb den Verdacht aufkommen, „dass der FC Bayern dieses Spruchband zum Anlass nimmt, einen kritischen Fan, dessen Gruppe immer wieder das Katar-Engagement des Vereins kritisiert hat, mundtot zu machen.“ Bislang hat der FC Bayern dieser Interpretation nicht widersprochen. Ein entsprechender Fragenkatalog von 11FREUNDE blieb bis zum heutigen Tage unbeantwortet.
Aber auch die Fans wollen sich nicht so einfach abspeisen lassen. Sie haben einen Anwalt eingeschaltet, der den FC Bayern mit Frist bis zum 10. April aufgefordert hat, das Hausverbot zurückzunehmen. Denn, so Anwalt Andreas Hüttl: „Für dieses Hausverbot gibt es keine Rechtsgrundlage. In dem Schreiben fehlt jegliche Begründung für die Maßnahme.“ So gebe es etwa in der Stadionordnung des städtischen Stadions an der Grünwalder Straße keinen Passus, der eine Anmeldung von Spruchbändern vorsehe. Als Mieter könne der FC Bayern nicht einfach seine eigenen Regeln aufstellen. Zudem sei es unzulässig, solch ein Verbot unbefristet auszusprechen: „Lebenslange Sanktionen sieht unser Rechtssystem nicht vor. Nicht einmal der DFB wagt sich, Stadionverbote unbefristet auszusprechen, weil er weiß, dass ihnen das um die Ohren fliegen würde.“ Eine weitere Frage, die sich Hüttl stellt: Wie ist der Verein überhaupt an die Personalien des betreffenden Fans gelangt. Zur Klärung will der Anwalt den Datenschutzbeauftragten des Freistaats Bayern einschalten.
Doch all dies sind nur die formaljuristischen Punkte, die Hüttl an der Maßnahme kritisiert. Inhaltlich sei das Spruchband zu „100 Prozent von der Meinungsfreiheit gedeckt“. Zudem setzt er das Banner in den Kontext der Diskussionen um die Anti-Hopp-Banner: „Da hat DFB-Präsident Fritz Keller ausdrücklich betont, dass Kritik selbstverständlich zulässig sei, auch wenn sie überzeichnet daherkomme. Das wird durch das Handeln des FC Bayern nun komplett konterkariert, wenn sie ein harmloses Banner mit solch einer Schärfe sanktionieren.“
Die Chancen, dass die Münchner ein Einsehen haben und das Hausverbot zurücknehmen, hänge außergerichtlich davon ab, ob, „die Bayern-Verantwortlichen die Größe besitzen, diesen Fehler einzugestehen“. Sollte es zu einer gerichtlichen Klärung des Sachverhalts kommen, rechnet sich der Anwalt hingegen gute Chancen aus.
„Wir lassen uns nicht mundtot machen“
Doch auch fernab der juristischen Auseinandersetzungen dürfte sich der FC Bayern mit der Eröffnung dieses Nebenkriegsschauplatzes keinen Gefallen getan haben. „Dieses Vorgehen verhindert den notwenigen Dialog, den doch alle so dringend einfordern“, gibt Hüttl zu bedenken. Auch für Franz, Mitglied bei MRP, steht fest: „Deutlicher kann man nicht zeigen, dass man an einem Dialog kein Interesse hat.“
Und so scheint es, als befinde sich der FC Bayern auf bestem Wege, die Fronten zwischen aktiver Fanszene und Verein, die sich in der Causa Hopp verhärtet hatten, weiter zu zementieren. Unlängst hatte Karl-Heinz Rummenigge befunden, dass man manchen Fans in der Vergangenheit „viel zu viel“ zugestanden habe und nun ein „Umdenken“ stattfinden müsse. Wie dieses „Umdenken“ aussehen könnte, hat der Klub mit seinem Vorgehen gegen das Montagsspiel-Banner gezeigt. „Es wird verzweifelt versucht, ein Zeichen zu setzen“, glaubt der Sprecher des Club Nr. 12.
Ob der Klub mit dieser Politik der harten Hand Erfolg hat? Wohl kaum. In einer Stellungnahme kündigten weitere Fangruppen der Münchner Südkurve wie die Ultras der Schickeria an: „Freie Meinungsäußerung, die naturgemäß kritische Aussagen und Positionen enthält, gehört zu unserem Selbstverständnis als Fankurve dazu. Wir werden für sie kämpfen.“ Und auch der Fan-Vertreter kündigt an: „Wenn der Verein diese Linie fährt, wird er mit den Konsequenzen leben müssen. Wir lassen uns nicht mundtot machen, im Gegenteil: In Zukunft werden Spruchbänder wie dieses wohl eher noch häufiger zu sehen sein.“ So dürften es wohl mehrere Stühle sein, die bei künftigen Gesprächsrunden zwischen Fans und Verein unbesetzt bleiben.